Dankbar lächelnd ließ sie es geschehen. „Was hältst du davon, wenn wir beide gleich zusammen in den Biergarten gehen? Zuerst in den Park und von dort aus in den Biergarten. Ganz allein, nur du und ich. Vielleicht treffen wir zufälligerweise ein anderes einsames Frauchen samt Hund, mit denen es sich gut
plaudern lässt. Wir werden uns von so einem Stoffel wie Rüdiger nicht den Abend verderben lassen, gelle?“ Bei diesen Worten sprang Linda von der Bank auf und ging noch einmal ins Haus zurück, um vom Garderobenschrank ihre Umhängetasche und die Hundeleine zu holen. Um Rüdiger nicht noch einmal zu begegnen, verließen Linda und Baldo das Grundstück durch den Hintereingang und machten sich auf den Weg in den nahegelegenen Stadtgarten.
Schon von Weitem erkannte Linda Baldos Freundin Tessa, eine aufgeweckte Terrier- Hündin. Doch statt des älteren Herrn, der sie gewohntermaßen ausführte, befand sich das Hundemädchen heute in Begleitung eines etwa fünfzigjährigen attraktiv aussehenden Mannes. Ein südländischer Typ mit dunklem Kurzhaarschnitt. Er saß auf der Bank und warf für die Hündin ab und an ein Stöckchen fort, das sie umgehend zurückbrachte. Als Tessa Baldo erblickte, lief sie laut bellend auf ihn zu und forderte den Rüden zum Toben auf dem Rasen auf.
„Hallo“, grüßte Linda den fremden Mann freundlich und blieb in einiger Entfernung von der Bank stehen. „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass die beiden ein wenig
miteinander balgen. Sie sind nämlich
befreundet.“
„Hallo“, griente der Unbekannte. „Schön zu hören, dass Tessa einen Kumpel hat. Dann habe ich jetzt ja wohl erst einmal Zeit für angenehmere Dinge und muss mich nicht weiter um das verwöhnte Mädchen kümmern.“ Ungeniert musterte er sein Gegenüber. „Wenn Sie mögen, dürfen Sie gern neben mir Platz nehmen, ich beiße nicht.“ Eilfertig rutschte er ein wenig zur Seite und vollführte mit der Hand eine einladende Bewegung.
„Danke, sehr gern“, entgegnete Linda und ließ sich auf der Bank nieder. „Wie kommt es eigentlich, dass Herr Bogan nicht selber mit seinem Hund unterwegs ist? Ihm ist doch hoffentlich nichts zugestoßen?“
„Nein, ihm ist nichts zugestoßen“, antwortete der Mann bereitwillig. „Er testet an diesem Wochenende ein Seniorenheim, für das er sich seit Neuestem interessiert.“
„Oh, aber er ist doch noch gar nicht so alt, oder?“ Linda schien verblüfft.
„Wie man es nimmt“, schmunzelte der Fremde.
„Mein Vater ist zwar achtzig Jahre alt, aber geistig und auch körperlich noch recht gut beisammen.“ Nach einer gedanklichen Pause fuhr er fort. „Dennoch wüsste ich ihn gern besser versorgt, was Essen und ärztliche Betreuung anbelangt. Mittlerweile hat er nämlich begriffen, dass die angeblichen alten Schachteln im Heim gar nicht so senil und tatterig sind, wie er bislang immer vermutete. Eine Sendung im Fernsehen brachte den nötigen Anstoß, wo fröhliche Heiminsassen putzmunter bei einem gemeinsamen Spielabend unglaublich viel Spaß miteinander hatten und dabei sogar das eine oder andere Gläschen Wein zu sich nehmen durften. Aus diesem Grund möchte er sich jetzt ein persönliches Bild von der Situation machen und probt für ein paar Tage das dortige Leben.“ Die Augen des Mannes blitzten übermütig. „Na ja, diese Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen und habe mich deshalb angeboten am Wochenende auf Tessa aufzupassen.“
„Das finde ich total nett von Ihnen, dass Sie sich so um das Wohlergehen Ihres Vaters kümmern“, erwiderte Linda und schaute
nachdenklich gen Himmel, ehe sie seufzend hinzufügte. „Meine Eltern sind schon vor vielen Jahren gestorben.“
„Oh, das tut mir leid.“
„Ist schon gut“, winkte sie ab. „Über den Schmerz bin ich längst hinweg. Außerdem habe ich ja noch meinen Baldo.“
„Im Übrigen steht Ihnen Ihr Kleid ganz zauberhaft, es passt wunderbar zu Ihrem dunklen Typ“, lenkte der Fremde das Gespräch geschickt in eine andere Bahn.
„Meinen Sie wirklich?“, fragte Linda errötend und blickte an sich herunter.
„Ganz sicher.“
„Tja, eigentlich habe ich mich für meinen Mann hübsch gemacht und wollte mit ihm zusammen in den Biergarten gehen, aber er hatte sich bereits etwas anderes vorgenommen.“
„Ich finde es gar nicht so schlecht, dass Ihr Mann keine Zeit hat“, freute sich der Sohn des alten Herrn Bogan. „Somit ergibt sich für mich
und Tessa eine Chance, endlich einmal wieder in den Biergarten zu kommen. Ich war schon eine Ewigkeit nicht mehr dort und kenne außer Ihnen vermutlich niemanden. Was also spricht dagegen, dass wir vier gemeinsam dorthin gehen?“
„Aber, wir wissen doch überhaupt nichts voneinander, wie soll das funktionieren?“, wagte Linda einzuwenden und wusste nicht recht, wie sie sich dem Fremden gegenüber verhalten sollte, den sie auf Anhieb sehr sympathisch fand.
„Ganz einfach“, lachte der. „Rufen wir die Hunde und marschieren los.“ Mit einem Ruck stand er auf und streckte ihr wie selbstverständlich die Hand entgegen. „Mein Name ist übrigens Damian, Damian Bogan.“
„Oh, und ich heiße Linda, Linda Holm.“ Sichtlich verlegen ließ sie sich hochziehen. In aller Seelenruhe spazierten sie nebeneinander durch den Park in Richtung
Biergarten. Die Hunde sprangen munter umher und gebärdeten sich, als würden sie nur auf diese Unternehmung gewartet haben. An einem freien Tisch unter einer riesigen
Kastanie ließen sich Linda und Damian nieder und bestellten beide ein Weizenbier. Von Beginn an herrschte zwischen ihnen ein Gefühl der Vertrautheit. Linda erfuhr, dass Ihr Gegenüber genauso wie sie verheiratet war und im dreihundert Kilometer entfernten Berlin lebte. Die Stunden des Miteinander vergingen wie im Flug und am Ende des Abends verabredeten sie sich noch einmal für den nächsten Tag. Nicht nur den Hunden fiel die Trennung schwer.
Als Linda gegen zweiundzwanzig Uhr nach Hause kam, wartete Rüdiger betrunken im Wohnzimmer auf sie. Umgeben von zahlreichen leeren Bierflaschen hing er wie ein nasser Sack in der Sofaecke und beäugte sie misstrauisch.
„Wo hast du dich denn solange rumgetrieben? Bist doch sonst nie mehr als zwei Stunden weg. Und das mit den nuttigen Klamotten.“ Abfällig betrachtete er sie von oben bis unten.
„Ich war mit Baldo unterwegs“, erwiderte sie
hastig und vermied es, ihn dabei anzusehen.
„Du hattest ja weder Zeit noch Lust, um mit mir
auszugehen.“
„Warst du allein?“
„Nein, ich habe eine ehemalige Schulfreundin getroffen“, kam es nach anfänglichem Zögern über ihre Lippen. „Sie besitzt auch einen Hund.“
„Kenne ich die Alte?“, erkundigte sich Rüdiger Holm scheinbar gelangweilt und trank einen ordentlichen Schluck aus seiner Bierflasche, dem ein langgezogener Rülpser folgte.
Nebenbei schaltete er anhand der Fernbedienung die Programme rauf und runter.
„Nein, ich glaube nicht, dass du sie kennst“, antwortete Linda herzhaft gähnend und zog sich die Schuhe aus. Insgeheim hoffte sie, dass Rüdiger nicht weiter bohren würde. Sie hasste es zu lügen. „Ich bin müde und will nur noch ins Bett.“
„Wie heißt denn die angebliche
Schulfreundin?“
„Ich, ich weiß nur ihren Vornamen“, druckste
Linda herum und stellte ihre Schuhe in den
Schuhschrank auf dem Flur.
„Sag mir endlich den Namen!“, brüllte er
hinterher.
„Anne, sie heißt Anne.“ Lindas Herz hämmerte wie wild gegen die Rippen, während sie die Treppe nach oben hastete. Im Schlafzimmer angelangt konnte sie ihren Mann noch immer schimpfen hören. Eilig schlüpfte sie aus dem Kleid und warf sich ein luftiges Nachthemd über. Aus Angst, er könne noch etwas von ihr wollen, ließ sie das Licht aus und stellte sich schlafend.
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