„Ja, ist doch gut. Dass will ich doch auch.“
„Aber nur lustig wird das nicht.“
„Ich freue mich aber trotzdem darauf. Lass mir doch meine Illusionen, Schatz, ich werde versuchen das Beste daraus zu machen.“
„Okay, dann wünsche ich dir viel Erfolg.“
Die Mutter wollte das Gespräch beenden und sagte deshalb: „Jetzt rufe ich erst mal Lydia an“, was einen allgemeinen Aufbruch zur Folge hatte.
Marc und Emilie packten ihre Schulsachen und verabschiedeten sich, der Vater küsste seine Frau auf die Stirn und sagte: „Also dann, bis heute Abend.“
„Schwesterherz“, sagte Erika am Telefon, „stell dir vor, es hat geklappt. Es ist soweit. Ich hatte es dir ja schon angekündigt.“
„Wie? Was?“
„Na, meine Kur! Die haben mir sechs Wochen auf Borkum genehmigt“, jubelte Erika.
Die Reaktion auf der anderen Seite war bedeutend weniger euphorisch. „Ach so, ja, wie schön für dich. Wann soll es denn losgehen?“
„Schon am 17., also in zwei Wochen.“
„Da hast du aber Glück. Ich komme nämlich erst am 15. von der Fahrt mit dem Gesangverein aus Bayern zurück.“
„Na, das passt ja prima. Du brauchst ja keine großen Vorbereitungen zu machen und meine drei sind doch pflegeleicht, oder?“
„Na, pflegeleicht würde ich nicht gerade sagen, aber wir werden uns schon zusammenraufen. Das letzte Mal hat es ja auch geklappt.“
„Und um Martin wirst du dich kaum zu kümmern brauchen. Der wird in dieser Zeit häufig auswärts sein, hat er gesagt.“
„Na, na, na“, unkte Lydia. Aber Erika sagte nur: „Quatsch, was du immer gleich denkst. Er ist mit der Firma unterwegs, auf Montage.“
„Ach, so nennt man das heute“, stichelte die Schwester weiter.
„Also abgemacht“, stellte Erika fest und überging die anzügliche Bemerkung ihrer Schwester, „ich ruf dich aus der Kur an und frag‘, wie es so läuft. Und – danke – Schwesterherz, mach‘s gut.“
Und noch bevor `Tante Lydia´ reagieren konnte hatte ihre Schwester schon aufgelegt.
Erika war eine Frau der Tat. „Ich fahre doch nicht sechs Wochen irgendwo hin, wo ich mich nicht auskenne, ohne mich nicht vorher zu informieren“, hatte sie gesagt und kurzerhand das Fremdenverkehrsbüro der Stadt Borkum angeschrieben und um Informationsmaterial gebeten. Schon nach drei Tagen erhielt sie einen DIN A 4 Briefumschlag mit allerlei Prospekten, einer Inselkarte, einem Veranstaltungskalender und folgendem Brief:
„Moin, Frau Schwarz,
wir freuen uns über Ihre Anfrage und Ihr damit verbundenes Interesse an unserer schönen Insel Borkum mitten im Hochseeklima.
Anbei die von Ihnen gewünschten Informationen.
Ob für eine Atempause, einen Kurzurlaub oder einen ausgedehnten Ferienaufenthalt: Borkum wird Ihnen gut tun. Unsere Insel ist zu jeder Jahreszeit eine Reise wert. Genießen Sie den endlosen Strand, die sanft geschwungenen Dünen und den faszinierenden Weitblick über das Meer. Bei uns auf der Insel trennt Wasser nicht, es verbindet. Überall spürt man die Begeisterung für die reizvolle Landschaft, wohltuende Natürlichkeit und Lebendigkeit.
Herzliche Grüße von der Insel Borkum.“
„Das gefällt mir jetzt schon“, sagte sie zu ihrem Mann, „die Ostfriesen scheinen wirklich nette Leute zu sein.“
Erika war noch nie in Ostfriesland und auch nicht auf einer ostfriesischen Insel gewesen. Sie war in Kassel geboren und aufgewachsen, hatte eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und war viele Jahre in diesem Beruf tätig gewesen. Als ihr dann eines Tages die Leitung des Kindergartens übertragen worden war, erfüllte es sie mit Stolz. Aber als dann eine weitere Gruppe eröffnet wurde ohne zusätzliches Personal einzustellen, hatte sie es nur eine gewisse Zeit durchgehalten. Dann war sie zusammengebrochen.
„Burn-out“, hatte ihr Hausarzt festgestellt und sie bis auf weiteres krankgeschrieben. Und nun war es endlich soweit: Raus aus der Familie, raus aus der gewohnten Umgebung, raus aus Kassel. Sie liebte diese Stadt zwar, das pulsierende Leben in den verschiedenen Einkaufszonen, die kulturellen Angebote und vor allem das Grün, das es überall gab, in der Aue und im Naturpark Wilhelmshöhe. So oft es ihre Zeit erlaubt hatte war sie dort spazieren gegangen. Der Park war riesig, dazu die Kaskaden und die Wasserspiele am Herkules, das Schloss und die Löwenburg.
Das würde sie sicher vermissen. Andererseits konnte das auch durchaus reizvoll sein, was die Prospekte versprachen: Dünen und Strand, das weite Meer und der schier unendliche Himmel. Sie freute sich auf die neue Erfahrung.
Als ihre Kinder sie am Abreisetag am Bahnhof Wilhelmshöhe verabschiedeten, gaben sie ihr noch einige gutgemeinte Ratschläge mit auf die Reise: „Vergiss nicht, immer deinen Strohhut aufzusetzen, sonst bekommst du wieder einen Sonnenstich.“ - „Schwimm nicht so weit raus, die Nordsee ist gefährlich.“ – „Hast du genug Sonnenmilch eingepackt? Und ruf uns an, wenn du angekommen bist.“ - „Und bring‘ uns was Schönes mit wenn du heimkommst.“
Maria
Elvira, Renate, Brigitte, Maria und Stefanie trafen sich im chinesischen Restaurant. Elvira war mit Renate befreundet. Sie wohnten in der selben Straße und hatten sich "vor Jahren" im kleinen Cafe beim Bäcker um die Ecke kennengelernt. Brigitte war Elviras Arbeitskollegin und mit Renates Genehmigung in die Runde aufgenommen worden. Maria war durch Renate hinzugekommen. Sie waren beide ehrenamtlich in ihrer Kirchengemeinde tätig und kümmerten sich dort um alleinstehende ältere Frauen, die Hilfe brauchten: Einkaufen, Arztbesuche, Behördengänge oder einfach nur mal ein bisschen reden, denn sie hatten festgestellt, dass das Alleinsein für ältere Menschen manchmal ein größeres Problem ist, als eine Erkrankung. Stefanie war mit 49 Jahren das "Küken" in der Runde. Sie kannte Elvira und Renate aus dem "Oma-Club" im Kindergarten. Dort waren sie bei allen Festen und Feiern für Kaffee und Kuchen zuständig. Aber sie brachten auch schon mal Kinder in den Kindergarten, quasi als "Leih-Oma", wenn die Eltern verhindert waren. Elvira und Renate, Brigitte und Maria hatten irgendwann beschlossen sich "Kleeblatt" zu nennen. "Stammtisch" fanden sie blöd, so nannte sich jede Männerrunde. Als Stefanie dazu stieß hatte sie gleich eingewandt, dass sie nicht das "fünfte Rad am Wagen" sein wolle. Aber Maria hatte gemeint, dass es auch Kleeblätter mit fünf Blättern gäbe. Und die wären noch seltener als vierblättrige und darum noch wertvoller.
Es gab immer etwas, über das man reden konnte. Zuforderst die Ehemänner oder die "Ex", die Familie, die Arbeit und die Arbeitskolleginnen oder Kollegen, die Nachbarn, die neueste Mode und die neue Geliebte des Bankdirektors. Natürlich wurden auch Witze erzählt. Und die waren nicht unbedingt "stubenrein".
Elvira legte vor: "Kommt 'ne Frau zum Arzt..." und schon lachten alle.
"Kenne ich schon", fiel Brigitte ihr ins Wort.
"Hör doch erst mal zu", beharrte Alvira. "Also: Kommt 'ne Frau zum Arzt und sagt: Herr Doktor, ich habe aus Versehen einen Zehn-Euro-Schein verschluckt. Was soll ich machen? Sagt der Arzt: Ach, das ist nicht so schlimm, der kommt in den nächsten Tagen auf natürlichem Wege wieder heraus. Die Frau kommt nach zwei TAgen wieder. Fragt der Arzt: Na, hat es geklappt? Die Frau sagt: Ja, schon irgendwie, aber das komische ist, immer, wenn ich aufs Klo gehe kommt 1 Eurostück heraus. Sagt der Arzt: Klarer Fall, Sie sind in der Wechseljahren." Und das Gelächter wollte kein Ende nehmen.
Es gab sowieso immer viel zu lachen. Natürlich wurde zwischendurch auch gegessen und getrunken und meist löste sich die Runde erst auf, wenn sie merkten, dass sie die letzten Gäste im Restaurant waren. Aber in letzter Zeit war die Stimmung allerdings manchmal ein bisschen gedrückt. Es ging um Maria, die in einer Krise steckte.
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