Um hier Antworten zu finden, können schon mal mystische Denkansätze und religiöse Vorstellungen aufkommen.
Selbst in hohem Grade erfolgreiche Wissenschaftler, im strengen und folgerichtigen Denken geübt, spielen mit religiösen Begrifflichkeiten. Albert Einstein, der Schöpfer der Relativitätstheorie, kommentierte die objektiv zufälligen Erscheinungen und Verhaltensweisen elementarer Teilchen in der Mikrowelt, der sogenannten Quanten, mit einem „Gott würfelt nicht!“. In atomaren Größenordnungen wechseln Mikroteilchen (Quantenteilchen) ihre beobachtbaren Zustände nur nach Wahrscheinlichkeiten. Es ist unmöglich, eine „exakte“ Voraussage über ihre jeweiligen Zustände zu treffen. Dieses Verhalten sowie die gewaltige Erhabenheit des Universums provozierte ihn zu der Aussage: „Jedem tiefen Naturforscher muss eine Art religiösen Gefühls nahe liegen“. Damit kann ihm nicht gleich der Glaube an einem allmächtigen Gott und an mystische Denkweisen unterstellt werden. Andererseits war ihm ein platter Atheismus fremd. Er meinte: „Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlose überlegene Vernunft“. Und weiter erklärt er: „Er glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart“. Spinoza [15] formulierte seine Metaphysik in einem strengen logischen, fast mathematisch anmutenden System von Definitionen, grundsätzlichen Gewissheiten, Axiomen und Sätzen. Nach ihm ist die Wesenheit „Gott“ eine ewige, nur durch sich selbst definierte, aber konstante Identität. Eine göttliche Wesenheit, die sich in der „gesetzlichen Harmonie des Seienden“ offenbart, kommt der in der fernöstlichen Mystik geglaubten „letzten Wirklichkeit“, der „Seele aller Dinge“, der Weltseele „Brahman“, der „letzten Wahrheit“ oder dem „Tao“ nahe.
Andererseits sind viele Naturwissenschaftler bekennende Atheisten. Zum Beispiel Stephen Hawking, einer der bekanntesten zeitgenössischen Physiker, behauptete von sich Atheist zu sein. Zwar postulierte er nicht, es gebe keinen Gott, aber er sagte einmal, dass sich der Kosmos in seinem Denkansatz für das Sein, also für alles, was ist, aus dem Nichts, dem Nichtsein, erzeugen kann. Er war der Ansicht, dass in seinem Konzept für den Kosmos kein Schöpfergott einen Platz findet. Ein mystisch-religiöser Ansatz scheint, Hawking zufolge, nicht nötig zu sein, um den sich selbst aus dem Nichts erschaffenden Kosmos, mit seiner ungeheuren veränderlichen Vielfalt der Welten, zu erklären. Diesem Ansatz liegt, meines Erachtens, tatsächlich ein Erzeugungsprozess unseres Seins zugrunde, der wahrhaftig im mystisch-religiösen Denken keinen Platz zu finden scheint.
Es ist bisher nie ein Phänomen beobachtet worden, das die Annahme eines sich selbst aus dem Nichts erschaffenden Objekts im Sein rechtfertigt. Diese Erfahrung unterstreicht im Übrigen uraltes mystisches Wissen. Die hinduistische Gottheit Krishna offenbarte beispielsweise vor ca. 4000 Jahren: „Es gibt kein Werden aus dem Nichts, noch wird zu Nichts das Seiende!“ (Bhagavad Gita, [16]. Zweiter Gesang, unter „Der Erhabene sprach“). Auch in den abrahamitischen Weltreligionen steht am „Anfang“ nicht ein Nichts, sondern die allmächtige, göttliche Wesenheit, die im Übrigen, warum nicht, als eine jede mögliche Information enthaltene, nicht personalisierbare, von uns Individuen nicht fassbare Informationsstruktur begriffen werden könnte. Und diese repräsentierte das gesamte Sein. Die Erzeugung des Seins aus dem Nichts findet keinen Platz im mystisch-religiösen Weltverständnis.
Viele Physiker, die sich mit fundamentalen Fragen herumschlagen, erfahren immer wieder die Grenzen ihres rational-materialistisch angelegten, naturwissenschaftlichen Weltbildes. Stellen sie sich beispielsweise vor, sie stehen an einem Ort und wollen nach Hause kommen. Sie befinden sich zum Beispiel vor einem Ausgang, der zum Bus, zur Stadtbahn, zur Straßenbahn oder zu einem Fußweg verzweigt und sie könnten alle vier Möglichkeiten für den Nachhauseweg nutzen. In der uns real erscheinenden „klassischen“ Welt, mit ihren „normalen“ Entfernungen, können wir uns entscheiden, welche Wege wir nehmen. Wenn wir den Fußweg wählen, so erkennen wir unseren Schritt vom Ausgang auf den Fußweg. Ja, der zurückgelegter Weg nach Hause ist wie eine Linie, ein Pfad, beobachtbar und vorstellbar. Die Natur lässt uns scheinbar eine „freie“ Wahl für den Weg durch die Welt. Wäre unsere Welt aber sehr, sehr klein, eine Mikrowelt, mit Ausdehnungen geringer als 0,000 000 001 cm, so würden sie als „Mikrolebensform“ plötzlich voller Entsetzen feststellen, dass sie nur wahrscheinlich diesen oder jenen Weg gehen, - um ungefähr nach Hause zu kommen. Verrückt? Und wo ist ungefähr ihr „zu Hause“? Sie stellen fest, dass sie nach ihren ersten zaghaften Schritten heimwärts zuerst mit dem Bus, dann weiter mit der Stadtbahn, anschießend mit der Straßenbahn gefahren sind und sich jetzt auf dem Fußweg wiederfinden. Unser zurückgelegter Schritt würde im Nebelhaften verschwinden. Ein nächster Schritt lässt uns plötzlich im Bus auftauchen, und der Nächste in der Stadtbahn, und der Nächste wieder auf dem Fußweg. Die Summe unserer Schritte würde sich nicht zu einem beobachtbaren Pfad oder Lebens-Linie zusammenfügen. Alle Schritte verschwimmen im Nebelhaften. Das Einzige, was wir beobachten, ist eine wahrscheinliche Schrittfolge. Die Mikrowelt erschiene uns wie im Nebel. Nie wären wir sicher, wohin uns der nächste Schritt führt. Und es wird undurchsichtiger, wenn wir erkennen, dass wir trotzdem in die Nähe unseres „zu Hause“ ankommen. Wir erreichen wenigstens annähernd das Ziel.
Die Natur im sehr, sehr Kleinen lässt sich, wie in diesem vereinfachenden, bildhaften Metapher dargestellt, nicht mit unseren Erfahrungen in der sogenannten klassischen, normal empfundenen Welt beschreiben oder denken.
An den Grenzen der Erkenntnis und des Denkbaren stoßen dann oft genug einige Physiker (bzw. Naturwissenschaftler) auf religiöse bzw. mystische Denkweisen - ohne dass sie dabei ihre notwendige Objektivität und strenge Denkart verlieren. Denn die Naturwissenschaft spürt die Mystik solange nicht, bis sie an die Grenzen ihrer Methoden, Beobachtungen und Theorien stößt.
Keine Wissenschaft kann die Existenz Gottes, bzw. einer göttlichen Wesenheit, beweisen - und eine Nichtexistenz auch nicht.
2.3 Fundamentale Annahmen der mystisch-religiösen Denkweisen
Das die uns umfassende Natur, einschließlich die des körperhaften ICH, Naturgesetzen unterworfen ist, folgt aus den Erfahrungen mit ihr. Unser Wissensdrang suchte daher seit jeher nach gesetzlichen Regeln und ihren Ursachen. Es scheint, als geschehen alle Phänomene der Natur nicht grundlos. Dieses Prinzip nennt man: „PRINZIP DES ZUREICHENDEN GRUNDS“ [17]. Es ist eine fundamentale Annahme, ein sogenanntes Axiom, und intuitiv in unser aller Denken als wahr empfunden.
Neugierig nach Zusammenhängen zwischen Naturvorgängen suchend, gelang es Wissenschaftlern, immer wieder grundsätzliche Glaubenssätze bzw. Axiome in Bezug auf fundamentale Verhaltensweisen von Naturobjekten zu finden und außerordentlich komplexe Vorgänge auf diese zurückzuführen. Diese Axiome sind hierbei verallgemeinernde Zusammenfassungen von zahllosen Erfahrungen über Naturvorgänge und werden als nicht beweisbar aber wahr geglaubt. Jedes Naturphänomene beschreibende Naturgesetz gilt als bewiesen und korrekt, wenn es sich entweder auf schon bewiesene Naturgesetze oder auf, als wahr geglaubte Axiome zurückführen lässt. Die Hoffnung, dass Axiome irgendwann beweisbar und begründbar sein würden, brach spätestens im 20. Jahrhundert zusammen. Manche fundamentale Annahmen müssen geglaubt werden, behalten grundsätzlich ihren Status als Axiom. Sie sind prinzipiell nicht beweisbar, - da sie zum Beispiel nicht beliebig oft, an jedem denkbaren Ort und zu jedweder Zeit überprüfbar sind. Eine Kongruenz zwischen „wahr“ und „beweisbar“ scheint für gewisse Sachverhalte grundsätzlich nicht möglich zu sein (siehe z.B. die „Goldbachsche Vermutung“ in der Zahlentheorie oder der „Gödelsche Unvollständigkeitssatz“ formaler Systeme in der mathematischen Logik). Das Prinzip „Phänomene geschehen nie grundlos“ war nicht zu halten. Es stellte sich heraus, dass es unmöglich ist, Naturmodelle zu entwickeln, deren Wahrheitsgehalt grundsätzlich beweisbar ist. Diese Erkenntnis zeigte uns die fundamentalen Grenzen auf, die das individuelle Erkenntnisstreben niemals durchstoßen kann. Einige Axiome werden, in Folge unseres wachsenden Verständnisses der Natur, verfeinert, erweitert oder in verallgemeinerte Axiome zusammengefasst werden.
Читать дальше