Zufrieden öffnete Laura den dicken DIN A4 Umschlag und blätterte durch ihren neuen Arbeitsvertrag, der nun allerdings doch Vollzeit für sie bedeutete. Nach monatelangen Bewerbungen und einem guten Dutzend von Vorstellungsgesprächen hatte es bei der Plincker GmbH jetzt endlich geklappt. Laura hatte sich das Ganze ursprünglich sowieso etwas leichter vorgestellt. Gemeinsam mit ihrem Mann Jan war sie bereits vor über einem Jahr in den Kölner Raum gezogen, da dieser dort einen neuen Job als Marketingleiter bei einem großen Automobilteilehersteller bekommen hatte. Ohne lange zu überlegen hatte Laura ihn bei seinem Jobwechsel unterstützt und ihren eigenen Job als Sekretärin gekündigt. Irgendjemand, so dachte sie sich, würde schon eine tüchtige Sekretärin oder Assistentin, wie sie es schließlich war, suchen.
Nach den ersten Bewerbungsschreiben musste Laura allerdings feststellen, dass ihr niemand einen Teilzeitjob für maximal vier Tage in der Woche geben wollte, oder aber die Gehaltsvorstellungen von Laura und der Firma derartig weit auseinander lagen, dass es für Laura keinen Zweck gehabt hätte, zu den angebotenen Konditionen den vakanten Job anzunehmen. Zwar waren sie und ihr Mann bei seinem Gehalt nicht unbedingt auf Lauras Gehalt angewiesen, dennoch führten sie als ein Paar, welches keine Kinder hatte, ein ziemlich luxuriöses Leben, und Laura wollte mit ihrem Gehalt wenigstens ihren kleinen BMW sowie die regelmäßigen Kosmetikbehandlungen und ihre modische Garderobe finanzieren können. Jetzt, mit dem neuen Job, hatte sie endlich wieder die finanzielle Flexibilität, die sie dazu brauchte.
Dass Laura überhaupt auf die Plincker GmbH gestoßen war, hatte sie letztendlich ihrem Mann zu verdanken, der bei einer seiner abendlichen Internet-Recherchen auf die offene Position gestoßen war. Die Plincker GmbH war ein mittelständiges Unternehmen mit knapp 120 Mitarbeitern und wurde von einem der zwei Söhne des Firmengründers geführt. Bereits im ersten Vorstellungsgespräch war Laura aufgefallen, wie viel Wert Herr Plincker auf ein gutes Arbeitsklima und eine angenehme Arbeitsumgebung legte. Das zweistöckige Verwaltungsgebäude war erst vor zwei Jahren neu errichtet worden und entsprach in jeder Hinsicht Lauras Vorstellungen von einem modernen Büro. Alle Büros hatten bodentiefe Fenster, wodurch eine helle und freundliche Atmosphäre entstand. An den Wänden auf den Fluren hingen moderne schwarz-weiße Fotografien. Die Böden glänzten in dunkelgrauem Granit. Für Laura ein klares Zeichen dafür, dass der Firmeninhaber einen guten Geschmack hatte und es der Firma nicht schlecht gehen konnte.
Laura war von Anfang an von dem sehr familiären Umgang, den Herrn Plincker und sein Personalchef, Herr Rausch, miteinander pflegten, begeistert. Nicht nur, dass ihr Herr Plincker schon bei der ersten Begrüßung ganz gentlemanlike aus dem Mantel geholfen hatte, sondern er war es auch höchstpersönlich, der ihr eine Kaffee angeboten und ihr letztendlich sogar wunschgemäß einen doppelten Espresso serviert hatte. Das Vorstellungsgespräch hatte in seinem Büro stattgefunden, in dem neben einem großen Schreibtisch ein kleiner Besprechungstisch mit vier schicken Ledersesseln stand. Alles hatte irgendwie Stil und Laura von Anfang an das Gefühl, dass die Chemie zwischen ihr und Herrn Plincker stimmte. In dem Gespräch erfuhr Laura, dass ihre Vorgängerin schwer erkrankt war und nach der Rückkehr aus der Reha eine Aufgabe im Personalbereich übernehme sollte. Gesundheitlich bedingt allerdings nur noch in Teilzeit. Des Weiteren hatte Herr Plincker sich bemüht, Laura den Sinn und Zweck von Präzisionsdruckgussteilen zu erklären, welche die Firma Plincker mit zunehmendem Erfolg an Kunden in ganz Europa lieferte.
In dem zweiten Gespräch, welches Herr Plincker dann ohne seinen Personalchef Herrn Rausch führte, ging es vorrangig darum, wie sich Herr Plincker die Zusammenarbeit mit seiner Sekretärin vorstellte. Er betonte dabei mehrfach, dass in seinen Augen die Sekretärin ein wichtiges Aushängeschild der Firma sei und er infolgedessen erwartete, dass sich nicht nur der Vertrieb nach den Wünschen der Kunden richtete, sondern auch seine Sekretärin, wenn Kunden zum Beispiel zu Besuch im Hause seien. Hätte Laura zu diesem Zeitpunkt geahnt, was Herr Plincker unter dem Begriff Kundenwünsche verstand, wäre sie wahrscheinlich entrüstet aufgestanden und hätte das Jobangebot dankend abgelehnt. Ebenso wenig war es ihr in dem Vorstellungsgespräch verdächtig vorkommen, dass Herr Plincker mehrfach das Thema Arbeitsoutfit, welches er von Laura erwartete, angesprochen hatte. Für sie war es selbstverständlich, jeden Tag in Kleidern und hohen Schuhen herumzulaufen. Infolgedessen konnte sie auch nur müde darüber lächeln, dass Herr Plincker seine Sekretärin lieber in High Heels als in Ballerinas sehen wollte.
Laura war allerdings bei dem Gespräch auch nicht entgangen, dass Herr Plincker immer wieder einen Blick auf ihre hohen Stiefel und langen Beine geworfen hatte, was ihr jedoch eher schmeichelte und sie sogar dazu bewogen hatte, sich möglichst so hinzusetzen, dass er einen bestmöglichen Blick auf diese bekam. So war sie nun mal. Nachdem Laura auf die konkrete Frage von Herrn Pinkler beteuerte, dass sie sich nicht extra für das Vorstellungsgespräch besonders angezogen hätte sondern sie prinzipiell in Kostüm oder Kleid ins Büro gehen würde, war dieser zufrieden und das Thema damit auch erledigt. Neben den üblichen Arbeitszeiten, in der Regel von halb acht bis vier, stellte Herr Plincker allerdings darüber hinaus klar, dass auf Laura manchmal auch noch mehr zukäme, als nur der achtstündige Bürojob. Jedes Jahr nach den Sommerferien fand nämlich die Fachmesse für Metallverarbeitung statt und außerdem gab es auch noch das Customer Event , welches die Firma Plincker alle zwei Jahre mit ihren besten Kunden veranstaltete. Bei beiden Events erwartete er von Laura nicht nur die Vorbereitungen durchzuführen, sondern vor allen Dingen persönliche Präsenz vor Ort, was in diesen Fällen auch zwei Wochenenden im Jahr betreffen würde. Zwar waren Laura die Wochenenden, an denen Jan und sie meist etwas zusammen unternahmen, heilig, dennoch hatte sie Jan auch schon ein paar Mal mit zu seinen Messen begleitet und wusste daher, wovon Herrn Plincker redete. Laura mochte das Flair von Messen und konnte sich entsprechend auch gut vorstellen, einmal im Jahr auf dem Messestand der Firma Plincker Standdienst zu machen.
Gedankenversunken saß Laura in der Küche ihrer neuen Wohnung und ließ die zwei Gespräche mit Herrn Plincker noch einmal Revue passieren, als sie den Schlüssel in der Tür hörte und Jan, etwas früher als erwartet, von der Arbeit kam. „Hallo Süße, hier bin ich!“, rief er vom Flur aus, während er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte. Laura stand auf und kam ihm im Flur entgegen „Du glaubst es nicht, aber mein Arbeitsvertrag von Firma Plincker ist heute angekommen und ich soll schon nächsten Montag anfangen! Ich freue mich so.“, sagte sie und fiel ihm um den Hals. Jan küsste sie zärtlich und beschloss, zur Feier des Tages eine Flasche Sekt zu öffnen. „Sag, was hältst du davon, wenn wir uns jetzt noch auf in die City machen? Die Geschäfte haben noch fast vier Stunden geöffnet und vielleicht hast du ja Lust, nach ein paar neuen Klamotten für deinen neuen Job zu gucken?“, schlug Jan vor und wusste, dass es eigentlich eher eine rhetorische Frage gewesen war. Zwar hatte Laura ihren Schrank bereits ziemlich voll, doch zum einen liebte sie es, mit ihrem Mann shoppen zu gehen, und zum anderen hatte sie im Schuhbereich noch ein paar Lücken, die es zu schließen galt. Entsprechend freute sie sich über Jan Vorschlag, leerte mit einem Schluck ihr Glas und machte sich daran, Stiefel und Mantel anzuziehen. Schließlich war es noch Winter und draußen gerade einmal lausige 5 Grad.
Читать дальше