„Hallo. Ich hätte gerne alles von diesem Zettel hier“, sagte ich freundlich und reichte der Frau hinter dem Tresen den Einkaufszettel.
Sie nickte lächelnd und gab etwas in ihren Computer ein.
„Einen Moment bitte“, sagte die Frau und verschwand in einem Raum hinter der Kasse.
Ich nutzte die Zeit und sah mich ein wenig um. Ich entdeckte eine Packung süßer Hustenbonbons und legte sie ebenfalls auf den Tresen.
Dann kam die Frau wieder. In der Hand hatte sie vier verschiedene Medikamente.
Sie legte sie vor mich hin und ich holte meinen Zwanzigerschein aus der Tasche.
„Reicht das?“, fragte ich und hielt ihn ihr hin.
„Nein, es fehlen noch sechs Dollar achtzig. Soll ich den Rest auf Rechnung setzen?“, fragte sie und zog die Augenbrauen hoch.
Ich zögerte ein wenig.
„Ja, ich denke schon. Ähm, auf Woodstep denke ich mal.“
Ich dachte nicht, dass die Frau mir glauben würde, vor allem nicht, wenn ich so wenig überzeugt klang, aber stattdessen nickte sie einfach nur wissend und packte mir die Einkäufe in eine kleine Plastiktüte.
„Na dann wünsche ich gute Besserung“, sagte die Frau und zwang sich zu einem Lächeln, was jedoch ziemlich misslang, da ihr Gesichtsausdruck eher nach Bedrücktheit aussah als nach Freude.
Etwas verwirrt bedankte ich mich und ging aus dem Laden.
Mir viel ein, dass ich noch die Bonbons gekauft hatte und sie jetzt mit auf der Rechnung der Woodsteps waren, aber wenn ich schon ihre Einkäufe nach Hause lieferte, würde die Familie sicher nichts dagegen haben, mir die für das kleine Geld zu schenken. Auf dem Weg zurück zu meinem Auto sah ich eine der beiden Eisdielen des Dorfes und überlegte, ob ich noch etwas Geld in meiner Handtasche hatte, um mir ein Eis zu kaufen. Ich ging zum Auto und sah nach, aber meine Handtasche war leer. Doch ich hatte Glück, in dem Handschuhfach des Wagens lag noch etwas Geld. Vermutlich eine Notreserve. Ich nahm das Geld und lief quer über den kleinen Marktplatz, dann betrat ich die Eisdiele.
Hier drin war die Luft furchtbar kühl und ich fragte mich, wie es die Mitarbeiter hier aushielten, ohne sich zu erkälten.
Ich bestellte mir eine Kugel Cookies und eine Kugel Banane und bezahlte.
Dann ging ich zurück zu den Bänken vor der Apotheke und setzte mich darauf.
Genüsslich schleckte ich mein Eis und lauschte dem Plätschern des Baches.
Ich sah auf meinem Handy nach, ob meine Mutter mir schon auf meine Nachricht von gestern Abend geantwortet hatte, aber es war noch nichts gekommen.
Wahrscheinlich stürzte sie sich in ihre Arbeit. Jetzt wo ich nicht mehr da war und sie sich nicht über mich ärgern konnte, hatte sie ja endlich mal genug Zeit für solche Dinge.
Ich beschloss ihr ein Selfie zu schicken und knipste ein Foto von mir, mit dem Eis in meiner Hand.
Dazu schrieb ich:
Hallo Mom, bin gerade in der Stadt, ein paar Besorgungen (sozusagen für Maddie) machen.
Hier ist schönes Wetter und ich sage dir, die machen hier das beste Eis überhaupt! Ich hoffe dir geht es gut und du arbeitest nicht zu viel! Antworte bitte bald, ich würde mich freuen, was von dir zu hören. Liebste Grüße und 100 Küsse an dich!
Ich sendete die Nachricht und beeilte mich, mein Eis auf zu essen.
Wenn ich heute noch einen Erkundungsspaziergang machen wollte, dann sollte ich mich beeilen, die Sachen bei den Woodsteps abzugeben.
Ich fuhr nach der vom Navi angezeigten Route, aber irgendwie schaffte ich es trotzdem, mich zweimal zu verfahren. Einmal bog ich zu spät ab und fuhr geradewegs auf einen kleinen See zu, der aus irgendeinem Grund nicht im Navi eingezeichnet war und das zweite Mal bog ich zu früh ab und kam mitten auf einem Feldweg aus.
Nach einer guten halben Stunde jedoch, schaffte ich es schließlich, am Haus der Woodsteps anzukommen. Ich parkte den Wagen am Straßenrand und stieg aus.
Die Woodsteps wohnten in einem relativ großen Haus am Waldrand.
Ganz in der Nähe befand sich der See, in dem ich fast das Auto versenkt hätte und vor dem Haus war nur Feld. Es sah wirklich schön aus.
Der Vorgarten und die Büsche und Blumen sahen zwar ein bisschen chaotisch aus, aber dagegen hatte ich nichts. Ganz im Gegenteil, lieber würde ich in einem chaotischen und dafür gemütlichen Haus wohnen als in einem modernen und sterilen.
Ich griff nach der Plastiktüte mit den Medikamenten und stieg die Stufen zum Haus hinauf. Das Holz ächzte unter meinem Gewicht, obwohl ich nicht besonders schwer für meine Größe war. Ich klingelte und sah verstohlen durch das kleine, runde Fenster in der Tür, ob jemand zu Hause war.
Ich konnte nichts sehen, aber kurz darauf hörte ich eine gehetzte Frauenstimme im Haus murmeln.
Dann wurde plötzlich die Tür geöffnet.
Hastig trat ich einen Schritt zurück und versuchte nicht ertappt auszusehen. Nicht dass Mrs Woodstep noch dachte, ich wäre eine Spannerin oder so etwas in der Art.
Eine Frau mittleren Alters trat aus dem Haus und sah mich fragend an.
Und dann erkannte ich sie plötzlich, es war Amanda, die Kellnerin aus dem Restaurant! Und mit einem Mal wusste ich auch für wen die ganzen Medikamente waren.
Sie schien mich auch zu erkennen, denn plötzlich huschte ein freundliches Lächeln über ihr Gesicht.
„Oh hallo Lory! Was machst du denn hier?“, fragte sie und sah mich erfreut an.
„Hi Mrs Woodstep“, sagte ich und lächelte unsicher.
„Ach, nenn mich Amanda, meine Liebe. Komm doch rein, Lory. Möchtest du eine Limo?“
Ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte. Eigentlich wollte ich nur schnell die Sachen abgeben und dann wieder gehen, aber dieses Angebot konnte ich schlecht ablehnen, ohne unfreundlich zu wirken, fand ich. Also ging ich ins Haus.
„Ja, vielen Dank“, sagte ich und streifte meine Schuhe im Flur ab.
„Ach, die musst du hier nicht ausziehen“, sagte Amanda und machte eine gelassene Handbewegung in Richtung meiner Schuhe. „Wir nehmen das hier nicht so genau.“
Ich ließ meine Schuhe trotzdem dort stehen und folgte Amanda in die Küche.
Dort goss sie mir ein Glas frischer Limonade ein und stellte es mir auf den
Küchentisch. Sie setzte sich hin und zeigte gastfreundlich auf den Stuhl ihr gegenüber. „Also, wieso bist du hergekommen?“, fragte sie freundlich.
„Sicherlich nicht, um mit einer alten Frau wie mir zu sprechen, oder?“
Sie lachte zurückhaltend und ich sah sie ein wenig unsicher an.
„Aber sie sind doch nicht alt!“, sagte ich und hoffte, dass es auch so ehrlich klang wie es gemeint war.
Amanda lächelte etwas verlegen und fuhr sich durch ihr schulterlanges, blondes Haar.
Ich nahm einen schnellen Schluck von meiner Limo und legte dann die Tüte auf den Tisch, die ich die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte.
„Noah hat mich gebeten, diese Sachen hier für sie zu besorgen. Eigentlich wollte er das heute selber machen, aber ihm ist wohl etwas dazwischen gekommen.“ Amanda sah in die Tüte und wurde plötzlich ernst.
„Ja danke Lory, das ist wirklich sehr nett von dir. Ich schaffe es momentan einfach nicht, mich um meine Tochter zu kümmern und dann auch noch einkaufen zu gehen. Entschuldige bitte die Unordnung hier, aber für solche Sachen habe ich momentan beim besten Willen auch keine Zeit.“
Ich sah Mrs Woodstep verständnisvoll an und biss mir auf die Unterlippe.
Es fiel mir schwer solche bedrückenden Gespräche zu führen, ich wusste nie, was ich sagen konnte, ohne den anderen Leuten damit auf die Füße zu treten, vor allem wenn ich nicht genau über deren Situation Bescheid wusste.
„Weißt du Lory, die Medikamente sind für meine Tochter Rosie. Sie…“
„Ja ich weiß, unterbrach ich Amanda schnell, damit sie es nicht aussprechen musste. „Maddie hat mir schon alles erzählt. Also nicht alles, nur das Nötigste, was ich wissen muss“, korrigierte ich mich schnell und knetete meine Finger unter dem Tisch. Hoffentlich dachte Amanda jetzt nicht, dass meine Tante alles aus dem Nähkästchen plauderte und jedem Rosies und Amandas Probleme ausbreitete.
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