Durch die Fenster der Haustür fiel warmes Licht in den Hausflur und ich konnte es kaum erwarten, bei dem herrlichen Wetter die Gegend zu erkunden. Die Küche war ein kleiner, heller Raum, mit weißen Holzmöbeln und etwas abgenutzten Griffen an den Schranktüren, aber alles in allem sah es wirklich schön aus. In der Ecke stand ein kleiner, runder Esstisch und davor war ein großes Fenster. Es reichte über die halbe Höhe der Wand und man hatte eine gute Sicht auf den Hof, wenn man dort saß.
Ich durchsuchte alle Hochschränke, bis ich schließlich eine Packung Cornflakes fand und holte mir Milch aus dem Kühlschrank und eine Schüssel aus dem Geschirregal. Die Milch war nicht wie bei uns zu Hause in Pakete abgefüllt worden, sondern in etwa gleichgroße Milchkrüge.
Es sah ganz so aus, als würde Maddie sie frisch von einem Milchbauern aus der Umgebung bekommen. Ich fand diese Vorstellung total romantisch.
Ich mixte mir alles zusammen in die Schüssel und beschloss, mein Frühstück auf der Veranda zu essen.
Die Veranda war nicht gerade groß, aber es gab eine Art hängenden Sessel, der so aussah wie eine kleine Einzel-Hollywoodschaukel, die mit Kissen ausgelegt und urgemütlich war. In der anderen Ecke stand ein kleiner, alter Metalltisch mit schöner Verzierung am Rand und zwei Stühlen daneben.
Ich setzte mich an den Tisch, damit ich mit nicht so leicht die Cornflakes über den Schoß schütten konnte, wie in dem Sessel und wollte gerade anfangen zu essen, als ich merkte, dass mir ein Löffel fehlte.
Ich rollte mit den Augen und stand wieder auf. So etwas passierte mir ständig. Ich war glücklicherweise nicht vergesslich, was Geburtstage oder so etwas anging, aber solche Kleinigkeiten vergaß ich andauernd.
Ich ging wieder ins Haus und suchte in den zahlreichen Schubladen nach einem Löffel. Ich fand einen alten und schon ziemlich verbogenen aus Silber und nahm ihn mit. Als ich wieder durch die Haustür nach draußen trat, war mein Platz plötzlich nicht mehr leer. Noah saß auf einem der beiden Stühle und inspizierte meine Schüssel. Als er mich sah, lächelte er mich freundlich an.
„Du solltest dich beeilen, sonst werden sie noch matschig“, sagte er und zeigte auf die Schüssel.
Ich lächelte zurück.
„Ich mag das so“, antwortete ich und ging zu ihm hinüber.
Bei meiner Bemerkung schüttelte er sich angeekelt und lachte dann.
„Du hast einen furchtbaren Geschmack!“, sagte er dann und lachte vergnügt.
Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich auf den anderen Stuhl.
„Meinetwegen“, antwortete ich und fing an, die Cornflakes zu essen.
Noah beobachtete mich die ganze Zeit dabei, das spürte ich, aber ich zwang mich, einfach nicht hinzusehen.
„Ist was?“, fragte ich dann doch nach einer Weile.
„Du kommst also aus South Carolina?“, fragte er interessiert und überhörte meine Frage einfach.
Ich nickte mit vollem Mund.
„Wieso?“, fragte ich, als ich den Bissen heruntergeschluckt hatte.
„Ach nur so. Ich bin einfach neugierig. Ich weiß gerne, mit wem ich es zu tun habe, weißt du?“
Ich sah ihm forschend ins Gesicht.
„Aber das erfährst du doch nicht, nur weil du weißt, woher die Leute kommen.“ Noah dachte einen Moment nach.
„Na ja, eigentlich nicht, das stimmt. Aber dann erzähl mir doch etwas anderes über dich, damit ich wirklich weiß, mit wem ich es hier zu tun habe.“
Er grinste mich verschmitzt an und ich konnte nicht anders, als ihn zurück anzugrinsen. Sein Lächeln war ansteckend, da konnte man einfach nichts machen. „Na ja“, sagte ich etwas unschlüssig, was er wohl hören wollte, „ich bin 18 Jahre alt, meine Lieblingsfarbe ist lavendel, glaub ich, und meine Lieblingstiere sind Hunde.“ „Das war’s schon?“, fragte Noah und sah mich wartend an.
Ich nickte zurückhaltend und stopfte mir schnell noch einen Löffel Cornflakes in den Mund, damit ich etwas Zeit zum Überlegen hatte, falls er mich weiter ausfragen würde.
Er zuckte mit den Schultern. Er sah etwas enttäuscht aus.
„Also gut. Sag mir Bescheid, wenn du mir wirklich etwas über dich erzählen willst.“
Sprachlos sah ich ihn an. Was sollte das den jetzt heißen? Hatte ich etwa irgendetwas Falsches gesagt? Ich meine, ja, offensichtlich hatte ich das, aber was sollte es denn gewesen sein? Etwas gekränkt legte ich meinen Löffel zurück in die Schüssel.
Ich erwartete, dass Noah jetzt gehen würde, aber er blieb noch etwas sitzen. „Kann ich dich vielleicht um einen Gefallen bitten?“, fragte er mich und sah mich bittend an.
„Klar“, sagte ich, auch wenn ich nicht wirklich Lust dazu hatte, ihm zu helfen. Ich wollte lieber einen langen Spaziergang machen und die Gegend erkunden, aber ich wollte mich hier nicht direkt unbeliebt machen, also stimmte ich vorsichtshalber zu. „Würdest du vielleicht für mich in die Stadt fahren und das hier für die Woodsteps besorgen? Ich schaffe es heute nicht mehr, aber es muss unbedingt noch heute dort abgegeben werden. Du kannst den roten Wagen von Maddie nehmen, den brauche ich heute nicht.“ Er gab mir einen Zettel, auf dem ein paar Medikamente aufgelistet waren, und zwanzig Dollar.
Für einen Jungen hatte Noah eine erstaunlich schöne Handschrift. Sie war wild geschwungen, aber trotzdem ordentlich.
„Ja natürlich“, sagte ich und steckte den Zettel in meine Hosentasche.
„Wenn du mir die Adresse von den Woodsteps und die von dem Laden aufschreibst, bei dem ich das alles bekommen kann.“
„Selbstverständlich“, sagte Noah und lächelte mich dankbar an. Dann schrieb er die Adressen auf die Rückseite der Einkaufsliste und schob sie mir über den Tisch hin. „Du bist meine Rettung, weißt du das eigentlich?“, fragte er mich und ich lächelte ihn erfreut an.
„Ja, ich weiß“, antwortete ich und stand auf.
„Wir sehen uns dann ein anderes Mal“, sagte ich und verschwand im Haus. In der Küche stellte ich mein Besteck und die Schüssel in die Spülmaschine und ging anschließend hoch in mein Zimmer um meine Tasche zu holen.
Ich schrieb Maddie einen Zettel und klebte ihn an die Küchentür und steckte dann die zwanzig Dollar in mein Portmonnaie.
Ich fragte mich, ob ich noch etwas mehr Geld von mir mitnehmen sollte, um vielleicht ein bisschen in der Stadt zu bummlen, aber dann ließ ich es bleiben. Ich wollte die Sachen lieber so schnell wie möglich abgeben, wenn es doch so dringend war.
Hinter mir schloss ich die Haustür ab und ging zum Auto.
Ich schloss den Wagen auf und setzte mich hinter das Steuer.
Meine Tasche ließ ich auf den Rücksitz fallen und startete dann den Motor. Ich fragte mich, ob Noah immer solche Arbeiten erledigte. Für andere Leute einkaufen und wenn es nötig war, für sie ein paar Leisten an die Wände zu montieren.
Ich gab die Adresse der Apotheke im Navi ein und fuhr dann die Auffahrt hinunter. Der Kies knirschte leise unter den Reifen des Autos und als ich in den Weg Richtung Stadt bog, fuhr ich in ein riesiges Schlagloch.
Die Straßen hier sind wohl nicht ganz so gut erhalten wie bei mir zu Hause, dachte ich und folgte den Anweisungen des Navis.
Nach zehn Minuten hielt ich vor einem alten Backsteingebäude.
Es war ein kleines Haus mit einem großen Blumenbeet und zwei Bänken davor und die Parkplätze waren rar.
Zum Glück fand ich noch eine winzig kleine Lücke und quetschte mich hinein.
Ich schnappte mir meine Tasche, stieg aus und schloss das Auto ab, dann sah ich mich um.
Vor der Apotheke floss ein breiter Bach entlang, der sich durch die gesamte
Stadt zu ziehen schien. An dessen Rand wuchsen Gras und ein paar schöne, wilde Blumen. Ich überlegte kurz, mich für einen Moment auf eine der Bänke zu setzten, aber ich entschied mich dagegen. Stattdessen betrat ich die Apotheke und ging zu einer blonden Frau an die Kasse.
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