„Ich muss dich noch warnen“, sagte Maddie zu mir, als wir schon fast zu Hause waren, „Noah kommt öfter mal ins Haus um sich etwas zu Trinken oder zu Essen zu holen, also wunder dich nicht, wenn er plötzlich in meiner Küche steht. Er hat ja einen Schlüssel, also muss er nicht klingeln. Ich hoffe er macht nicht so viel Lärm, dass es dich aufweckt.“
„Ich bin nicht so ein Langschläfer“, behauptete ich, um Maddie zu beruhigen.
„Wahrscheinlich werde ich sowieso schon wach sein, wenn er kommen sollte.“
Als wir zu Hause ankamen, war es bereits zehn Uhr.
Ich ging in mein Zimmer und packte das Nötigste aus meinem Koffer aus, aber ich war zu müde von der Reise und all den neuen Eindrücken, um alles auszuräumen. Ich beschloss, das auf morgen zu verschieben und ging mit meinem Schlafanzug und meinem Kulturbeutel in das Badezimmer auf der oberen Etage.
Maddie hatte sich großzügigerweise dazu bereit erklärt, mir das Badezimmer den ganzen Sommer über zu überlassen. Sie würde stattdessen das kleinere im Erdgeschoss benutzen.
Ich schminkte mich ab und wusch mir mein Gesicht mit kaltem Wasser, was mich normalerweise irgendwie beruhigte und wieder herunterkommen ließ, aber dieses Mal funktionierte es leider nicht wirklich.
Schnell putzte ich meine Zähne und zog mich um, meine Klamotten warf ich einfach auf den Schreibtischstuhl in meinem Zimmer.
Dann öffnete ich die beiden Fenster neben meinem Bett und zog die Vorhänge zu, bevor ich mich auf mein weiches Bett fallen ließ.
Ich warf ein paar von den Dekokissen herunter und schaltete die Nachttischlampe aus.
Dann lag ich einige Minuten da und machte nichts.
Ich versuchte zu schlafen, aber ich konnte es nicht.
Ich versuchte langsam von fünfzig runterzuzählen, aber auch das brachte nicht den gewünschten Erfolg.
Dann machte ich das Licht wieder an und nahm mein Handy vom Nachttisch. Ich wollte eine SMS an meine Mutter schreiben, als ich sah, dass sie mir auf meine vorherige Nachricht geantwortet hatte.
Hallo mein Schatz!
Schön, dass du gut angekommen bist.
Wie ist das Wetter?
Hier ist es etwas bewölkt, aber trotzdem warm.
Bestell Tante Maddie schöne Grüße von mir!
Und denk dran, wenn irgendetwas ist, dann ruf mich jederzeit an oder komm zurück nach Hause.
Ich hoffe du verbringst einen schönen Sommer!
Alles liebe, Mom
Ich las die Nachricht und drückte auf Antworten.
Hi Mom,
das Wetter hier ist toll! Genau richtig, nicht zu heiß, aber angenehm warm. Ich war gerade mit Maddie Essen in einem total schönen Restaurant an einem kleinen See. Die Pension sieht wirklich toll aus (also zumindest von außen). Die Räume sind schon renoviert, müssen aber noch eingerichtet werden und so.
Ich freue mich schon darauf, die Fotos für die Website zu machen, dann kann ich sie dir auch schicken. Maddies Haus ist auch hübsch. Schreibe dir morgen wieder, gute Nacht, deine Lory
Ich schickte die SMS ab und ging dann auf Google, weil ich immer noch nicht das Gefühl hatte, einschlafen zu können.
In die Suchleiste gab ich Leukämie ein.
Sofort wurde ich mit über 732.000 Ergebnissen bombardiert.
Ich klickte auf das erste Ergebnis und las den Text auf der Website.
Leukämie ist eine Erkrankung des blutbildenden und lymphatischen Systems. Es wird unterschieden zwischen der chronischen Leukämie (meist über mehrere Jahre hinweg) und der akuten Leukämie, die innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten zum Tod führen kann.
Ich las nur den Text mit der akuten Leukämie, da ich wissen wollte, an was Rosie erkrankt war.
Akute Leukämie kann oft aus völliger Gesundheit heraus entstehen und sich wie ein schweres Krankheitsbild äußern.
Beim Betroffenen können zum Beispiel Blässe, blaue Flecken und Erschöpfungszustände auftreten.
Des Weiteren sind Menschen mit dieser Krankheit anfälliger für geschwollene Lymphknoten, Milz- und Lebervergrößerungen und manchmal auch Knochenschmerzen.
Teilweise treten auch Gewichtsverlust, Müdigkeit und Appetitlosigkeit auf.
Weiter stand dann da noch, dass die Heilungschancen von Leukämie sehr stark von der Art der Leukämie und vom Alter, Gewicht, etc. des Patienten abhingen. Eine dauerhafte Heilung bei einer Chemotherapie ist allerdings fast unmöglich, da immer ein kleiner Rest der Krebszellen übrig blieb.
Bei 30 bis 40 Prozent der Betroffenen tritt der Krebs nach der Heilung erneut auf. So etwas nennt sich rezidiv. Wenn der Krebs relativ früh erneut auftritt, dann sinken die Heilungschancen des Patienten allerdings stark.
Das waren ziemlich viele unschöne Informationen. Jetzt konnte ich verstehen, warum Rosie nichts mehr unternehmen wollte.
Wenn ich solche Nachrichten bekommen hätte, würde es mir wohl kaum besser gehen.
Ich schaltete mein Handy aus und legte es wieder zurück auf den Nachttisch.
Ich machte das Licht aus und starrte an die Decke.
Das Leben ist unfair, dachte ich. Wieso muss ein junges, fröhliches Mädchen
Krebs bekommen und Angst um ihr Leben haben, während andere Leute, die Kettenraucher oder Alkoholiker sind, und kein Stück auf ihre Gesundheit achteten manchmal über neunzig Jahre alt werden?
Ich beschloss, mir etwas zu überlegen, um Rosie zu helfen.
Ich konnte nicht einfach so zusehen, wie ein Mädchen, im gleichen Alter wie ich, so eine schlimme Zeit durchmachte. Ich wusste nicht, wer dabei alles an ihrer Seite stand, aber selbst wenn es viele Leute waren, es schien ihr nicht besonders gut zu helfen, denn sonst würde sie wohl kaum den ganzen Tag im Bett verbringen.
Aber ich wusste auch nicht, wie ich ihr hätte helfen können.
Vor allem bezweifelte ich, dass sie überhaupt meine Hilfe wollte.
Ich meine, sie kannte mich doch überhaupt nicht.
Und sie wäre mit Sicherheit nicht gerade begeistert davon, wenn sie erfahren würde, dass Maddie und all die anderen Leute alle untereinander über sie redeten und ihre Geschichte verbreiteten.
Ich beschloss, mich morgen um die ganze Sache zu kümmern und jetzt erst einmal zu schlafen.
Ich hatte noch den ganzen Sommer Zeit, mich um diese Angelegenheit zu kümmern. Nur hoffte ich inständig, dass auch Rosie noch den ganzen Sommer hatte.
Am nächsten Morgen wachte ich von den Sonnenstrahlen auf, die trotz der dünnen Vorhänge in mein Zimmer kamen und auf mein Gesicht schienen.
Ich schaltete mein Handy an und warf einen Blick auf die Uhr. Halb zehn.
Ich schlug meine Bettdecke zurück und stand auf, wobei mein Blick nach draußen aus dem Fenster fiel. Es war ein wirklich schöner Morgen, die Sonne schien und die Vögel zwitscherten munter. Ich ging zu meinem Koffer und suchte mir eine Jeans, ein luftiges Top und Unterwäsche heraus und ging ins Badezimmer.
Um wach zu werden, sprang ich unter die Dusche und stellte den Strahl auf kaltes Wasser ein. Das kühle Wasser lief mir den Rücken hinunter und über mein Gesicht und allmählich fühlte ich mich wacher.
Ich wusch mich und shampoonierte meine Haare ein, bevor ich alles mit angenehm warmen Wasser wieder ausspülte.
Dann stellte ich das Wasser aus und trocknete mich ab.
Ich zog mich an und öffnete das Badezimmerfenster, woraufhin mir frische Luft entgegenflog, die nach Wald roch.
Ich fragte mich, wann Maddie wieder vom Rathaus zurück sein würde, aber ich vermutete, dass solche Angelegenheiten wohl etwas dauern konnten, also ging ich runter in die Küche, um mir schon mal Frühstück zu machen.
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