1 ...7 8 9 11 12 13 ...25 Er nickte und wies auf eine dünne Kupfernadel.
In einer hölzernen Kiste bewahrte sie ihren Vorrat an Garn auf, das zum Verschließen von Wunden geeignet war. „Das hier ist Hanf.“
„Hast du was Dünneres?“
„Schafsdarm? Oder Seide? Sie ist sehr stabil.“
Er entschied sich für Seide. „Was bekommst du dafür?“
„Ist ein Geschenk. Versprich mir, dem Falken nicht wehzutun.“
Sie standen sich gegenüber und wussten nicht so recht, wohin mit ihren Blicken. Die Flamme der Öllampe knisterte.
Als Luna später mit offenen Augen zur Decke starrte, glaubte sie, nie wieder schlafen zu können. Er hatte sie zum Abschied geküsst, sacht auf die Lippen, und sie fühlte sich, als würde sie schweben. Sie lächelte vor sich hin und fasste einen Entschluss. Sie würde nicht in den eisigen Norden ziehen, in die Berge, wo sie als Kind mit ihrer Mutter gelebt hatte. Sie würde in Palermo bleiben. Schleier zum Schutz vor der heißen Sonne besaß sie genug. Kaiser Heinrich hatte sie ihr einst geschenkt und sie würden reichen bis an ihr Lebensende.
Noch vor dem Morgengrauen war Florent auf den Beinen. Er wusch sich mit dem Wasser aus der Schüssel in der Ecke seines Zimmers. Eine Magd stellte täglich einen Krug mit frischem Wasser daneben. Er wusste, es war immer dieselbe Magd, eine kleine, zierliche mit schwarzen Augen. Sie warf ihm beim Essen fragende Blicke zu. Irgendwann musste er ihr erklären, dass sie sich umsonst Hoffnungen machte. Danach würde er wahrscheinlich selbst zum Brunnen gehen müssen. Er seufzte und fuhr sich mit der Hand ein paar Mal durch die Haare. Dann suchte er das Päckchen heraus, das Luna ihm am Abend gegeben hatte. Die Nadel war sorgfältig in ein kleines Stück Stoff gesteckt, der Faden darum gewickelt. Er wühlte in der Kiste in der Ecke, in der seine Kleidung lag. Eine alte Tunika, die er sonst beim Schwertkampf trug und die schon einige Flicken zierten, zog er hervor, klemmte sie unter den Arm und schlich durch das noch schlafende Haus hinaus zum Garten. Am Eingang zum grünen Dickicht wartete Federico. Er hielt eine blakende Öllampe und zappelte vor Ungeduld. Die linke Hand zierte ein makellos gewickelter Verband. Der Trampelpfad schien im Licht der schwankenden Lampe beweglich wie ein Schiff auf hoher See. Florent fluchte, wenn er mit dem Fuß in einer Ranke hängen blieb oder über eine Wurzel stolperte. Der Junge, der den Weg genau kannte, blieb ab und zu stehen und leuchte ihm, was ihn eher blendete und nicht besonders hilfreich war.
„Geh langsamer!“, sagte er. „Wenn ich mir den Kopf aufschlage oder die Hand breche, kannst du das Unternehmen vergessen.“
Endlich kamen sie am Springbrunnen an. Der Falke tänzelte nervös und blinzelte in das Licht der Öllampe, blieb aber sitzen und sperrte den Schnabel weit auf.
„Sie hat Hunger“, erklärte Federico. „Soll ich sie erst füttern?“
„Nein, Futter gibt es hinterher, als Belohnung.“ Florent griff nach seinem alten Hemd. „Normalerweise gibt es dafür speziell angefertigte Säcke, aber das Hemd tut es auch.“ Ein leises Bedauern lag in seiner Stimme, denn er liebte dieses Hemd und er fürchtete, dass es danach unbrauchbar war.
Der Junge stellte die Lampe ab, kramte mit einer Hand in seiner Kiste und förderte einen Leinensack zutage. „Meinst du so etwas?“
Florent pfiff leise. „Mir scheint, das ist eine Wunderkiste. Woher hast du nur all diese Dinge?“
„Luigi hat sie mir geschenkt. Er war Falkner hier im Palast, bevor der Erzbischof kam. Der hat ihn nach Hause geschickt und die Falken verkauft. Unnützes Zeug und Geldverschwendung, hat er gesagt.“
„Und sie ...“ Florent deutete mit einer Kopfbewegung auf den Gerfalken. „... wurde nicht verkauft?“
„Nein. Niemand wollte sie, weil sie nicht abgetragen war. Außerdem sah sie schon damals so zerrupft und kränklich aus. Luigi meinte, ich soll sie ein bisschen aufpäppeln und dann freilassen.“
„Und warum hörst du nicht auf Luigi?“
„Sie freilassen?“ Federicos Augen blitzten zornig auf. „Sie ist mein einziger Freund und ich lasse sie nicht im Stich.“
Florent antwortete nicht. Er legte sein Hemd beiseite und betrachtete den Leinensack. Er war an zwei Seiten offen, konnte aber jeweils mit einem Band zugezogen werden. Ein richtiger Falkensack, er hatte sogar die perfekte Größe. Das grobe Leinen war stabil genug, den Krallen des Vogels standzuhalten. An der schmaleren Seite wurde der Kopf des Tieres durchgesteckt.
„Hier müssen wir vorsichtig zubinden, damit deine Schöne Luft kriegt“, erklärte er. „Wenn sie im Sack ist, wirst du ihn halten. Das ist nicht einfach, deshalb hör genau zu. Wenn du etwas falsch machst, kann es passieren, dass ich ihr Auge verletze und sie blind wird.“
Federico nickte mit eingezogener Unterlippe.
„Du musst sie mit beiden Händen festhalten, sodass sie gar nicht erst versucht, sich zu befreien. Drück sie sanft gegen deine Brust, benutze deine Unterarme.“
Der Falke beobachtete sie mit schief gelegtem Kopf. Seine Pupillen waren groß und schwarz.
„Wenn du zu fest drückst“, mahnte Florent, „wird sie ersticken.“
Federico verdrehte die Augen. „Das ist klar.“
Sein Lehrer zog im Licht der Öllampe die Seide durch das Nadelöhr. „Etwa so lang, siehst du? Besser etwas länger, wenn der Faden zu kurz ist, quälst du das Tier unnötig, dann musst du von vorn beginnen.“
Ohne weitere Vorrede griff er mit einer Hand nach dem Falken, schob das Tier in den Sack und gab ihn Federico. „Halt ihn ins Licht, damit ich gut sehe.“
Florents Hand zitterte ein wenig, als er zur Nadel griff. Er hoffte, dass der Junge es nicht sah. Die Lider eines Falken hatte er selbst erst ein einziges Mal vernäht, aber oft zugesehen. Doch Unsicherheit war ein schlechter Gehilfe bei einem solchen Eingriff. Er wusste, dass er dem Tier kaum Schmerzen bereiten würde, wenn er keine Fehler machte, atmete tief ein und hielt dann die Luft an. Behutsam stach er mit der Nadel von innen heraus in das Unterlid des Falken. „Genau in der Mitte, nicht zu weit oben, dann reißt der Faden aus, auch nicht zu weit unten. Halt den Kopf leicht zwischen deinen Fingerspitzen.“ Er zog die Seide beherzt durch das obere Lid und legte ihn über den Kopf des Falken, wo er die beiden Enden zusammenzog, sodass die Lider des Tieres sich über dem Augapfel schlossen. „Hier bindest du die Enden zusammen und steckst den Knoten unter den Kopffedern fest. Streich sie darüber, dann kann sie sich den Faden nicht herunterkratzen.“
Federico sah fasziniert zu und Florent vermutete, dass er am liebsten selbst ausprobieren würde, was er gerade gesehen hatte. „Wenn du nicht sorgfältig arbeitest, ist das Tier für immer verdorben. Aufbräuen darf man nur ein einziges Mal, weil das Lid sonst reißt und das Tier sein Auge nicht mehr richtig schließen kann, verstehst du?“ Er streichelte dem Falken beruhigend über den Rücken. „Vergiss niemals, dass ein Vogel ein Geschöpf Gottes ist. Er soll für dich jagen, und er verdient dafür deinen ganzen Respekt.“
Der Junge nickte, doch er war mit seinen Gedanken längst woanders. Sein Blick schweifte zur Kiste. „Ich habe Glöckchen. Wollen wir die anbringen?“
„Denk nach, ob das sinnvoll wäre.“
„Du meinst, solange sie nicht fliegt, braucht sie keine Glöckchen?“
„Genau. Außerdem wollen wir sie jetzt ausruhen lassen. Jetzt kann sie geatzt werden, hast du Fleisch?“
„Ja, die Köchin hat mir ein Täubchen gegeben.“
Sie zogen den Leinensack vom Körper des Vogels und setzten ihn auf den Brunnenrand. Gierig schlang er die schmalen Streifen Taubenfleisch hinunter, die Federico mit dem Messer abtrennte. Immer wieder riss er den Schnabel auf, bis sein Kropf deutlich sichtbar hervortrat.
„Das genügt“, sagte Federico. „Wenn sie zu viel frisst, würgt sie es wieder heraus.“
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