Ihre Hausboote lagen noch nicht lange hintereinander. Er hatte schon länger hier festgemacht, sie war erst vor kurzem dazu gestoßen. Heute fand sie, war es Zeit, in seinen Scheinwerfer zu treten. Er sollte endlich merken, dass es da noch eine schicke Nachbarin gab. Sie wollte nicht noch einmal die Erfahrung machen, dass der Mensch für den sie sich interessierte, sie überhaupt nicht wahrnahm. Bei dieser Erfahrung schwang nicht einmal Verbitterung mit. Ihr selbst war es schon so gegangen, dass sie nach Jahren erfuhr, wer sich für sie interessiert hatte. Sie mochte ihn zu sehr, um nicht herausfinden zu wollen, wer er war.
Sie schmunzelte. Von allen Optionen, die ihr Kleiderschrank hergab, wählte sie jedes Mal die gewagteste. Mehr, als die Leinen losmachen und einen anderen Platz zu suchen, konnte ihr nicht passieren.
»Acht Uhr morgens? Was glaubst du, wie lange wir bleiben?«, fragte Rosi zu laut. Sein nachwachsender 17 Uhr Bart kratze ihre Wange. »Aua.« Mit uns meinte Rosi sich und die anderen Gäste. Hardy standen die Schweißperlen auf der Stirn. Er blickte sie aus großen Augen und mit offenem Mund an. Die beiden kannten sich eine gefühlte Ewigkeit und wussten, dass Rosi seine Achillesferse erwischt hatte. Sie musste ihm auf die Sprünge helfen.
»Hast du nicht gesagt, du hättest dich breitschlagen lassen, nach Waren zu kommen?«
»Ja, aber erst um acht Uhr abends.«
»Weißt du, wo Waren liegt?«
»Nee, also doch, an den Seen da oben im Norden.«
»Hast du dir ein Auto gekauft?«, in ihrer Frage lag ein hinterhältig, verschlagener Unterton.
»Sag mal was, haben sie dir denn gegeben? Warum sollte ich mir ...?« Er brach im Satz ab. Außer Atem stoppte er auf der steilen Treppe. Er hatte kein Auto und sie wusste das. Weil sie das meiste, über ihn und alles über seine Finanzen wusste. Seit er ihr seinen Teil der gemeinsamen Firma überschrieben hatte, gab es auch in diesem Bereich höchstens noch die eine oder andere Überraschung für ihn. Üblicherweise, wenn die Steuer fällig war. Nicht dass er auf sein Mitspracherecht verzichtet hätte, aber seine Ex machte ihm zu schaffen, wollte das Letzte aus ihrer Scheidung herausholen. Er hatte kurzerhand, alles Rosi überschreiben. Die damit nicht nur die alleinige Besitzerin ihrer Medienproduktion war, sondern offiziell Zugang zu allen Konten hatte. Er müsste sie zu jeder Ausgabe befragen. Wo er im Traum nicht dran dachte.
Dieses Mal hätte er sie fragen sollen. Sein Zeitplan und die Entfernung passten nicht. Nicht wenn er, wie üblich, seine privaten Wege mit dem Rad erledigte. Er schüttelte seinen Kopf. Sagte aber nichts. Er hatte diesen Frank schon an der Uni nicht leiden können.
Rosi drückte er gegen seinen Oberkörper, seine Füße tasteten, auf der steilen Außentreppe seines Hausbootes nach der nächsten Stufe. Den Weg aufs Oberdeck hatten sie noch nicht hinter sich gebracht, da spürten beide das Vibrieren seines Handys in der Brusttasche. Sie sah ihn mit finsterer Miene an. »Wehe«.
Tief unter ihnen glitzerte die Spree. Hardy geriet ins Schwanken. Für einen Moment drohte er das Gleichgewicht zu verlieren. Fing sich aber wieder. Rosis Rollstuhl stand an Land. Er lächelte verlegen.
»Lass die Termine übers Büro laufen, dann passiert dir so ein Quatsch nicht.«, antwortete Rosi auf seine zerknirschte Miene. »Der Typ hat mich gerade eben angerufen. Und es ist eilig. Außerdem kann ich dich nicht meine Privattermine machen lassen.«, wehrte er ab.
»Wenn ich deine Unruhe richtig deute, vermutest du in Waren eine Geschichte. Damit ist das kein privater Termin«, erklärte sie spitzfindig.
»Setz mich zu den Getränken, aber nicht zum Prosecco ich brauche ein Bier.«, kommandierte sie. Hardy sah der rothaarigen Frau in ihre blauen Augen, die ihm aus ihrem sommersprossigen Gesicht entgegen funkelten. Er wusste, er konnte sich auf sie verlassen. Ihre Struktur rettete ihn aus seinem Schlamassel. Auch wenn er das nie öffentlich zugegeben hätte, war er ihr dankbar.
»Musst du nicht noch fahren?«, kalauerte er mit einem Blick auf ihren Rollstuhl. »Und wolltest du nicht bei diesem Fitnessstudio ...?«
»Ganz kalt!«, schnitt er Rosi, die immer noch auf seinen Armen saß, das Wort ab. Sie quittierte sein fragendes Gesicht mit samtweicher Stimme. »Das Bier. Ich hätte es gerne gut gekühlt«.
Er setzte sie sanft auf einen Stuhl, am Buffet, trat einen Schritt zurück und deutete eine Verneigung an. Auf dem Weg zur Treppe fingerte er endlich nach seinem Smartphone.
Er sah zu den schwarzen Plastikwannen, in denen die Bierflaschen in mehr oder weniger kaltem Wasser ihre Etiketten verloren. »Denk nicht mal dran!« Rosi wusste, dass er einen gut gefüllten Getränkekühlschrank an Bord hatte.
Sie betrieben mit ein paar Kollegen eine Medienproduktion. Die meisten Aufträge waren TV-Produktionen. Deren Organisation brach jedes Jahr einmal zusammen. Wenn Rosi im Sommer Urlaub machte.
Sie musterte anerkennend seinen Po in der eng sitzenden Jeans. »Aus dem Glas ...«, rief Rosi ihm hinterher.
»Sehr wohl, die Dame, aus dem Glas. Wie auch sonst? Bei einer Stehparty.« Wer die beiden nicht kannte, konnte diese Anspielung angesichts ihrer gelähmten Beine falsch verstehen. Der derbe Ton drückte eher Vertrauen aus. Das ging weit über ein kollegiales Verhältnis hinaus.
Er hörte die Wahlwiederholung, die Nummer war in seinem Gerät nicht gespeichert, zeigte keinen Namen an.
»Hallo, ähm, eine Sache. Ich habe hier heute ...« Frank erkannte ihn und plapperte los, als hätte er seinen Anruf erwartet. »Super, das du dich nochmal meldest. Das geht nicht. Nicht bei mir und nicht morgen. Ich bringe meine Familie in Sicherheit. Dafür brauche ich zwei Tage. Übermorgen um acht am Stadthafen. Ich schicke dir die Adresse«.
Hardy fühlte sich überrumpelt und erleichtert. Genau das wollte er vorschlagen. »Siehst du«, hörte er aus dem Telefon. »Wir verstehen uns blind. Mann Alter, wie ich mich freue. Du ich muss!« Dann war die Leitung tot. Hardy stand verdutzt in seiner Kombüse. Wenigstens einer, dachte er.
Kaum aufgelegt, klingelte sein Telefon wieder. Nach zwei Navigationshilfen für seine Gäste kehrte Hardy auf das sonnige Oberdeck zurück. Auf der steilen Treppe balancierte er ein riesiges Tablett. Es hätte gut und gerne einem üppigen Frühstück für zwei Personen Platz geboten. Jetzt diente es einigen Gläsern und drei kühlen Flaschen Bier und einer angebrochenen Tüte Twix. Die fehlte weder auf seinem Schreibtisch noch in den Produktionswagen.
»Warum drei Flaschen? Mir reicht eine.«
»Weil es so schön bunt ist. Stammen alle direkt aus der Braumanufaktur Potsdam. Du hast die Wahl zwischen dem Hellen, der Weissen und der Potsdamer Stange.« Rosi sah ihn fragend an. »Nimm das Babyblaue. Ist die Weiße aus dieser Biobrauerei und erfrischt. Ich sag nur, Sauer macht lustig.«
»Diese Kiste da ...«, sie zeigte auf seinen Röhrenfernseher. Er hatte ihn extra für den heutigen Abend aus seinem Wohnzimmer auf das Oberdeck geschafft. »Was ist das?«, vollendete sie ihre Frage, ohne sich einen kämpferischen Unterton zu verkneifen.
»Rosi, dein Weg hierher war anstrengend. Trink erstmal was, dann erkläre ich dir die Welt.« Sie schwieg, was ihn überraschte. Er schenkte ihr ein. Erst als er ihr das Glas reichte, bemerkte er, dass sie in ihrem Telefon nach einer Nummer suchte.
»Mein Lieber wir werden heute über 20 Leute sein. Mit dieser Kiste aus dem historischen Museum kann nicht mal die Hälfte irgendwas sehen. Die Jungs wollten sich den Bulli für das Wochenende leihen. Die sollen in der Redaktion vorbeifahren und den Beamer und eine Leinwand mitbringen.« Die Jungs, das waren ihre jüngeren Kollegen. Hoch engagiert, jedenfalls die meisten und alle zählten zur Generation irgendwas mit Medien . Auf unterschiedlichen Wegen waren sie in ihrer Produktionsfirma gelandet und verdienten ihren Unterhalt zum Leben oder machten Praktika. Die Hierarchien waren flach. Beide Chefs saßen auf dem Dach des Hausbootes und die Stimmung war gut. Wer im richtigen Moment danach fragte, konnte das Arbeitsequipment, zu dem auch Autos zählten, ausleihen.
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