Er erinnerte sich sonst an fast nichts mehr von ihm. Zu Uni-Zeiten schmiss er eine Feier nach der nächsten. Da hatte es schon damals, nur Bier aus der Zapfanlage gegeben. Für Studenten war das der Mega-Luxus gewesen. Er sah schulterzuckend auf die schwarze Mörtelwanne hinter sich. Im Wasser kühlte er dort seit dem Morgen die Flaschen aus diversen Bierkisten.
Der Jungpolitiker verkaufte seine Partys schon damals immer als große Politik. Er nannte das Netzwerken und war damit seiner Zeit voraus. Zumindest in der Wortwahl. Er verlor an der Uni, nie den eigenen Vorteil aus den Augen. Das war es, woran Hardy bei Frank dachte.
»Ich bin verheiratet.« Tönte es etwas heiser aus dem Telefon. Das war sein dritter Satz nach etwa 15 Jahren der Gesprächsabstinenz, dachte Hardy. Muss wichtig sein.
»Und ich habe ein Problem.«, Satz Nummer vier, dachte Hardy.
»Ach«, konterte er trocken. »Probleme, mit deiner Frau? Frank, nimm es mir nicht übel, ich bin Journalist, kein Psychologe. Ich kann dir da nicht helfen. Wenn du meine Beziehungsbilanz kennst, legst du auf.« Dieser Wein macht mich fertig, ich hätte was essen sollen, dachte Hardy. Dieses Mal, ohne es auszusprechen.
»Ich werde bedroht«, flüsterte die Stimme aus dem Telefon.
»Ich brauche Hilfe. Man erpresst mich und meine Familie.«
»Erpressung? Ist das in der Politik nicht der Normalfall?«, frotzelte Hardy.
»Man hat mir eine Warnung geschickt.« Seine Stimme brach ab. Hardy steckte seinen Finger ins freie Ohr, um noch was zu verstehen.
»Es geht um ein Millionenprojekt und jetzt geht es um das Leben meiner Tochter.« Er atmete schwer.
»Sie haben mir die Fahrradklingel von meiner Kleinen ins Büro geschickt, per Kurier.«
»Das klingt nicht gut«, murmelte Hardy. »Einfach nur die Klingel?«
»Nein. Wir kennen ihren Schulweg . Stand auf einem Zettel.«
»Okay, aber woher weißt du, um was es geht, ich meine, haben sie sonst was gesagt? Und wer sind die? Ich meine, hast du Feinde. Haben die Erpresser sich zu erkennen gegeben?« Hardy schüttelte den Kopf. Er mochte den Typen nicht sonderlich. Noch weniger mochte er, dass der soeben dabei war seine Urlaubsplanung über den Haufen zu schießen. Er durfte jetzt nichts Falsches sagen und sich auf nichts einlassen. Ungerechtigkeit konnte er nur schwer ertragen. Da musste es irgendwas in seiner Vergangenheit geben, weshalb es bei solchen Dingen kein Nein in seinem Wortschatz gab.
Heute hatte er seinen, Discus aus dem Abstellraum geholt. Seinen geliebten Gleitschirm von Swing. Das Gerät war für ihn die Rakete ins Nirwana. Der schnellste Weg abzuschalten. Schon beim Auspacken war es, als hätte er das Piepen seines Höhenmessers in den Ohren. Paragliding war für ihn immer noch der beste Weg, runter zu kommen. Abstand zu den Dingen und zur Arbeit aufzubauen. Sein Plan war eine Reise in die Alpen. Ein paar Tage in der Luft abhängen. Dieses Vorhaben wollte er auf gar keinen Fall streichen.
»Pass auf Frank. Erpressung ist kein Kavaliersdelikt. Ich bin da der Falsche. Ich kann dir nicht helfen. Du musst zur Polizei gehen. Ich meine, ich habe überhaupt nicht die Möglichkeiten, wie die Kollegen von der Behörde.«
»Hardy bitte. Ich kann nicht zur Polizei gehen.«, unterbrach ihn Frank. »Ich bin Politiker. Ich lebe in einer Kleinstadt. Hier kennt jeder jeden. Die Sache darf nicht an die Öffentlichkeit kommen. Dann bin ich tot oder jemand aus meiner Familie.«
»Frank. Genau da steckt unser zweites Problem. Ich bin Journalist. Ich lebe von der Öffentlichkeit.« Sein Gegenüber schien ihn, gar nicht gehört zu haben. Diese Eigenschaft hatte Hardy schon im Studium beeindruckt.
»Ich brauche jemanden der intelligent und diskret arbeitet und den hier keiner kennt.«
So ein Arsch, dachte Hardy, jetzt versucht der es auf die nette Tour. Franks Stimme klang immer noch gepresst.
»Es geht um eine Abstimmung im Stadtrat, dahinter stecken Millionen aus der öffentlichen Hand und jetzt ...« Seine Stimme brach wieder ab. Holte er Luft oder schluchzte er? Hardy hörte ein Knacken aus dem Telefon.
»Ich habe Angst um mein Leben und das meiner Kinder.«
In Hardys Leitung klopfte der nächste Anrufer. Wahrscheinlich waren das die erwarteten Gäste, die nach dem Weg fragten. Er musste diesen Typen loswerden.
»Pass auf Frank,« Hardy sah auf seine Uhr, »wir treffen uns morgen Abend um acht bei dir«. Er hörte ein Rumpeln unten im Hausboot.
»Gut«, sagte Hardy abwesend und dachte Scheiße . Die freien Tage hatte er sich anders vorgestellt.
Den Wunsch, Party-Frank in Waren an der Müritz zu besuchen, verspürte er nicht. Konnte man da überhaupt fliegen? Berge kannte er in der Gegend keine. Windenschlepp müsste gehen. Er verwarf die Idee. Dann eben, Urlaub an der Seenplatte. Ohne Alpen und ohne Gleitschirm.
Hardys Blick wanderte über das hölzerne Deck seines Schiffes. Der übervolle Tisch ächzte. War ein bisschen viel, dachte er. Ihm wirbelten die Bilder der zurückliegenden Produktionswochen durch den Kopf. Hintergrundgespräche mit den Protagonisten, Drehtage bis in die Nacht mit seinem Kamerateam. Tagelanges Sichten des Materials. Verdammt, dachte Hardy, ich hatte mich auf ein paar freie Tage gefreut. Schlaf nachholen, Fliegen, Bücher lesen und an seinen Fahrrädern schrauben. Er beschloss, noch einen Schluck zu trinken und sich über die Details morgen den Kopf zu zerbrechen.
Seine Stirn in Falten, sein Blick wanderte ziellos über das Wasser. Er hatte gelernt, auf seinen Bauch zu hören. Irgendetwas störte ihn an dem Gespräch. Davon abgesehen, dass er Frank schon früher nicht mochte. Und dass er in die entgegengesetzte Richtung zum Fliegen wollte, gab es noch etwas. Sein Bauch spürte es schon. Jetzt musste nur noch sein Kopf dahinter kommen.
Sie kam aus der Dusche. Auf ihrer Haut spürte sie noch die letzten Tropfen. Am Schrank hing ihr Kleid. Sie zweifelte nicht, ob es zum Anlass passte. Zu selten boten sich ihr Gelegenheiten, zu denen sie das Lange, schwarze anzog, und sie kannte seine Wirkung. Sie überlegte, noch einen Schritt weiterzugehen.
Schmunzelnd wanderte ihr Blick aus dem Fenster. Den String aus schwarzer Spitze, legte sie nicht zurück. Nur mit dem Handtuch über den Schultern suchte sie nach den passenden Schuhen. Farbig durften sie sein, Absatz war Pflicht bei diesem Kleid. Sie wähle ein Paar in glänzendem Hellblau.
Ihr metallischer Schimmer bot einen reizvollen Farbklecks unter dem leichten Stoff. Wenn die Spaghettiträger und das Dekolletee ihre Wirkung verfehlten, sollten die hohen Absätze ihr Ziel erreichen, das hoffte sie.
Er war oft unterwegs, wahrscheinlich wegen seiner Arbeit. Wenn er auf seinem Boot war, gab er ihr Rätsel auf. Freundlich, verschmitzt, aber immer vorsichtig, zurückhaltend. Sie wollte nicht glauben, dass es Arroganz war. Falls doch, könnte sie ihm heute zeigen, dass sie nicht das Landei war, für das er sie vielleicht hielt. Dabei wusste sie nicht, für was er sie hielt. Heute war sein Abend und er war etwas größer als das schnelle Bier beim Nachbarn. Dabei hatten sie noch nicht einmal dafür Zeit gefunden.
Wenn sie Lust hätte, fände er das total Klasse, wenn sie rüberkäme. So hatte er sie eingeladen. Sie konnte ja schlecht sagen, dass sie ihn von ihrem Schreibtisch aus sah, wenn er auf dem Deck seines Schiffes arbeitet und sie sich dabei ertappte, dass sie ihm dabei verträumt zusah. Er saß oft stundenlang an diesem alten Tisch, machte sich Notizen in einer Kladde und las oder schrieb in seinem Laptop. Sie vermutete, dass er für das Fernsehen arbeitete. Dafür sprachen die Kamerateams, die ab und zu für Besprechungen hierher kamen. Aber was er machte und wozu er sie genau eingeladen hatte, war ihr nicht klar. Ein paar Freunde und Kollegen kämen auch. Er sprach davon, dass es ein dickes Ding gäbe. Für sie hieß das: festliche Premiere, sexy Kleid und schicke Klamotten.
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