Der Fremde drückte seinen zusammengerollten Schal auf Sharas Mindpad, um seine Stimme für das Mikrofon zu dämpfen und flüsterte: „Bitte hör mir zu. Wir müssen reden. Es ist unglaublich wichtig, um dem Chaos zu entgehen, das hier in wenigen Tagen ausbrechen wird. Bitte. Du findest mich am Brunnen des Blumenplatzes. Komm einfach hin, sobald du kannst.“ Beinahe zärtlich flehend sah er sie mit seinen blauen Augen an.
„Und jetzt geh! Ich wünsche dir viel Glück für diesen wichtigen Tag.“
In Gedanken fügte er ein freundliches „Sharalieb Sharastark“ hinzu, schob Shara, ohne dass sie es bemerkte ein kleines gefaltetes Blatt in die Tasche und verschwand so schnell in der Menge, wie er aufgetaucht war.
Shara blickte sich ängstlich um. Waren sie beobachtet worden? Aber erleichtert bemerkte sie, dass so viele Menschen auf diesem Platz sich stritten und anschrien, dass sie niemand beachtet hatte.
Die Kioskhändlerin bemühte sich, die Situation in Griff zu bekommen. Immerhin hing ihre Platzzulassung davon ab, dass hier alles geordnet und ruhig verlief. So konnte sie endlich die Menge laut rufend beruhigen und von neuem für ihre Darstellung der Geschehnisse begeistern.
Als ein zustimmendes Jubeln die umstehende Menge ergriff, zog sich Shara verstört zurück. Sie hatte schon Erfahrung damit gemacht, welche Flut an Bildern und Gedanken auf sie einstürmte, wenn sie die Tabletten für ein oder zwei Tage absetzte. Aber heute war das erste mal, dass sie dies auch am dritten Tag gewagt hatte.
Und ihr wurde klar, wie sehr sie sich zusammennehmen musste, um noch unauffällig zu funktionieren. Auch hatte sie schon viel zu viel Zeit vertrödelt. Also setzte sie ihren Weg fort und eilte zielstrebig zu dem Bürogebäude, in dem sie schon so lange tätig war.
Was würde dieser Tag noch mit sich bringen? „Egal. Jetzt nur nicht über mögliche Konsequenzen nachdenken, denn es gibt keine Alternative, mir bleibt nur diese eine Chance.“, dachte Shara.
Sie hatte nur noch ein Ziel vor Augen. Diesen Tag exakt wie geplant hinter sich zu bringen. Abends würde sie mehr wissen und könnte mit Grü gemeinsam eine Entscheidung treffen.
Trotz der Ereignisse war Shara wie immer pünktlich im Office. Routinemäßig verrichtete sie einige Arbeiten, während sie innerlich immer unruhiger wurde, je näher die verordnete Mittagspause kam.
Absichtlich tat sie so, als wäre sie zutiefst in ihre Arbeit versunken, als Elli den Kopf zur Türe herein steckte und mit strengem aber lächelndem Blick darauf hinwies, dass Shara um zwei Minuten überzogen hatte.
Oh, du verlässliche und berechenbare, liebe Elli. Shara atmete auf. Elli war der Inbegriff von Disziplin und Anpassungsfähigkeit. Wenn sie wüsste, dass sie Teil eines wohlüberlegten Plans war, was würde sie dann tun? Sie würde sich tausendmal bei Shara entschuldigen, aber sie würde ihre Pflicht erfüllen und sofort den zuständigen Aufsichtsdienst benachrichtigen.
Aber das war auch gut so. Da Elli so sehr in dieser heilen Welt lebte, in der alles für sie vollautomatisch entschieden und geregelt wurde, wäre sie auch nie auf die Idee gekommen, dass Sharas überzogene Minuten beabsichtigt waren. „Um dahinter zu kommen müsste man ja eigenständig denken. Man müsste zuallererst den Gedanken zulassen, dass Systeme manipulierbar sind und das ist in Ellis Geist nicht gespeichert.“, dachte Shara, während sie nun so tat, als sei sie völlig überrascht.
„Was, schon so spät“, hauchte sie. Sie ließ alles stehen und liegen, schnappte sich ihr Outdoorjaket und drängte Elli zum Ausgang. „Jetzt aber schnell, bevor wir Ärger bekommen.“
Als sie den Aufzug im Erdgeschoß verließen, atmete Shara erneut erleichtert auf. Elli hatte nicht bemerkt, dass Shara ihr Mindpad am Tisch liegen gelassen hatte und nur mit dem Outdoorjaket unterwegs war.
Elli wollte den gewohnten Weg zu ihrem gemeinsamen Lieblingsrestaurant einschlagen, doch Shara blieb zerknirscht stehen.
„Was ist denn?“ fragte Elli
„Oh Mensch Elli. Das tut mir jetzt leid! Ich habe ja völlig vergessen, dir Bescheid zu geben! Ich habe doch neulich auf dem Büroseminar diesen wundervollen gutaussehenden Mann kennengelernt. Erinnerst du dich?“
„Ja, natürlich. Und? Hat er sich tatsächlich bei dir gemeldet?“
Shara dachte im Stillen an die schönsten Momente mit ihrem geliebten Marc. So gelang es ihr, trotz aller Anspannung, einen wirklich verliebten Gesichtsausdruck zustande zu bringen.
„Okay, ich verstehe. Nun will er mit dir zum Essen gehen?“
„Viel besser“, kicherte Shara mit übertriebener Miene, „er will mit mir in den Park, er sagt er finde mich unwiderstehlich und würde gerne ein wenig Zeit mit mir allein verbringen. Oh Elli! Ist das nicht wunderbar? Es fühlt sich so schön an!“
Elli war nicht einmal beleidigt. Ganz im Gegenteil. Sie freute sich für Shara, denn es war wirklich an der Zeit, dass sie diesen Taugenichts Marc endlich vergessen konnte. Also wünschte sie der Freundin lächelnd viel Spaß. „Dann sehen wir uns in zwei Stunden“, trällerte Shara, während sie sich auf den Weg Richtung Park machte.
Elli blickte Shara nach. Gerne wäre sie so schlank und hübsch wie Shara gewesen. Ihr langes rotbraunes Haar schimmerte in der Mittagssonne und irgendwie schien Shara in den letzten Tagen ein geheimnisvoller Glanz zu umgeben. Sie strahlte etwas aus, das Elli nicht erklären konnte.
„Ach die Liebe“, seufzte Elli, als sie den Weg zum Restaurant einschlug. Nun war sie beruhigt. Das erklärte auch, warum Shara die letzten Tage so zerstreut war und warum sie heute nicht das Bürokostüm trug. Sie wollte den neuen Mann in ihrem Leben wohl mit den engen Jeans beeindrucken.
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