»Warum?«, fragte sie unsicherer, als es ihr lieb war, denn gerade einem so unberechenbaren Wesen gegenüber hätte sie sich lieber selbstbewusst gegeben.
Kian lächelte. »Du weißt doch sicher, dass du hier so etwas wie eine Legende bist. Die begabteste Hexe, die Grey je hatte.«
Genervt zuckte Fee mit den Schultern, weil sie dieses Gerede nicht mehr hören wollte und doch fast jeden Tag hörte.
Im Gegensatz zu Magiern, denen ihre Fähigkeiten in die Wiege gelegt wurden, zogen Hexen ihre Kraft schlicht aus dem gekonnten Umgang mit höhere Mächten. Letztlich bedeutete das, dass Fee nicht besonders talentiert war, sie war einfach nur eine Streberin.
»Trotzdem nur eine Hexe«, betonte sie ruhig, weil im Grunde Noctrius viel beeindruckendere Tricks drauf hatte. Nicht zuletzt, weil sie sich konsequent der weißen Magie verschrieben hatte und daher niemandem Schaden zufügen durfte. Wenn sie wollte, könnte sie vielleicht auch Elektroschocks austeilen wie Noctrius, aber es verstieß gegen ihre Grundsätze. Immer wieder drängte man sie, davon Abstand zu nehmen – was war eine Hexe schon wert, wenn sie nur meditierte, betete und Schutzzauber ausführte?
Kian lächelte sie unbeirrt an. »Man sagt, du hättest ein besonderes Verständnis für die Magie.«
Das sagte man tatsächlich und Fee hatte keine Ahnung, warum. Sie hielt sich nur an ihren Glauben von einer großen mütterlichen Göttin, der Natur, und vielen kleinen Göttern als Teile dieser Göttin.
Offenbar hatte sie einen guten Draht zur Göttin, aber sie war den geborenen Magiern wie Noctrius trotzdem weit unterlegen.
»Kann sein.«
Über die Schulter sah sie zum Ausgang. Der Saal hatte sich bis auf sie und Kian vollständig geleert und sie wollte auch fort. Dieses Gespräch behagte ihr nicht, weil es nur darauf rauslaufen konnte, dass sie einen Zauber finden sollte, um das Aussterben der Lichtwesen zu verhindern. Weder kannte sie einen, noch schien es ihr angebracht, sich in diese Dinge einzumischen. Ihr guter Draht zur Göttin basierte auch darauf, dass Fee nie versuchte, sich über das Schicksal zu stellen.
»Ich kann aber nichts für dich tun«, erklärte sie entschlossen und offenbar überraschte sie Kian damit, sogar sein Leuchten schien schwächer zu werden.
»Aber ...«, begann er, bevor Fee ihn unterbrach.
»Mit meinem ach-so-großen Durchblick sage ich dir, dass man manche Dinge einfach akzeptieren muss. Am Schicksal kann man nicht rütteln. Frag die Seher, frag die Spürer, sie alle haben sich oft damit auseinander gesetzt und es letztlich akzeptiert.«
Scheinbar hatte sie einen wunden Punkt erwischt, Kian wirkte richtig bedröppelt. Er könnte ihr fast leidtun.
»Meine Leute sind noch nicht bereit, das zu akzeptieren.«
Ein wenig verstand Fee das sogar. »Ihr seid doch alle so alt und angeblich so weise, wie kann es dann sein, dass Artnus und die Spürer euch in diesem Punkt voraus sind? Ihr müsst wenigstens nicht mit dem baldigen Tod durch eine schmerzhafte Krankheit rechnen. Wahrscheinlich lebt ihr noch länger als die meisten von uns.«
Artnus’ Gelassenheit im Umgang mit den düsteren Aussichten seiner Art hatte Fee immer beeindruckt. Und nun sollte sie eigentlich mit ihm beim Abendessen sitzen, statt mit Kian über unveränderliche Dinge zu diskutieren. Das wäre tausendmal sinnvoller als diese Unterhaltung.
Noctrius lag wohl daran, dass sie sich mit Kian gut stellte, vielleicht sogar, dass sie ihm falsche Hoffnung machte, aber Fee würde sich darauf nicht einlassen. Er sollte seine neuen Bündnisse alleine knüpfen, ohne sie und ohne falsche Versprechungen.
Lieber begleitete sie die Spürer in den Tod. Die hatte wenigstens längst ihren Frieden mit der Situation gemacht. Auch wenn sie Angst vor jener Krankheit hatten, verschwendeten sie ihre Zeit nicht mit sinnlosen Kämpfen. Sie lebte ihr Leben, so gut es ging. Deswegen half Fee ihnen gerne, obwohl es oft nur darum ging, Leiden durch die richtigen Kräuter zu lindern.
»Ihr solltet euch ein Beispiel an den Spürern nehmen!«
Vielleicht konnte sie Artnus einholen, bevor er das Gelände verließ.
»Gute Nacht, Kian!«, verabschiedete sie sich entschlossen und eilte hinaus.
Von Artnus war nichts mehr zu sehen und sie wollte ihn nicht anrufen, damit er zurückkam. Im Hinblick auf seine Frage nach einem Date, wäre es ein falsches Signal, auch wenn sie jetzt einen Freund gebrauchen könnte, bei dem sie sich über Kian und Noctrius beklagen konnte.
Diesmal war sie vollauf zufrieden mit ihren Schülern. Edelsteine waren nicht gerade Fees Lieblingsthema und auch die Hexenschüler hatten nicht viel dafür übrig – ihnen wären vermutlich sogar Meditationen lieber – trotzdem hatten sie sich bemüht und ihr zwei Stunden lang zugehört.
Nun eilten die zehn Junghexen hinaus und fieberten einer Unterrichtsstunde bei den Sehern entgegen, obwohl man ihnen dort nur erklären würde, was man mit Tarotkarten nicht vorhersehen konnte.
Fee dagegen legte die Edelsteine sorgsam zurück in die Vitrine, nur einen Bergkristall behielt sie in der Hand. Er hatte sich bei ihrer Übung als nützlich erwiesen.
»Felicitas«, widerwillig drehte sie sich zur Tür, in der Kian stand.
Es war kein Verbrechen, dass er in das Haus von Magus , der Magier-Fraktion, kam, aber es war unerwartet und es erinnerte sie an ihr abgebrochenes Gespräch am Vortag.
»Wie kann ich dir helfen, Kian?«
Sorgsam legte sie auch den Bergkristall zurück, weil sie scheinbar keine Zeit für diese heimliche Übung haben würde.
»Du bist wohl kaum gekommen, weil du etwas über Edelsteine erfahren willst.«
Unwillig drehte sie sich wieder zu Kian um. Er leuchtete in dem schummrigen Licht des Unterrichtsraums besonders auffällig. Dazu hatte er nun noch dieses sanfte Lächeln. Es fehlten nur die Flügel, sonst könnte er als Engel durchgehen. Angeblich war es auch genau das, was die Menschen in den Lichtwesen sahen, wenn sie denn mal eines zu Gesicht bekamen.
»Ich möchte mich entschuldigen, weil ich gestern vielleicht den Eindruck gemacht habe, ich wollte dich unter Druck setzen.«
Überrascht hob Fee eine Augenbraue. »Also wolltest du nicht darum bitten, dass ich deine Artgenossen vor dem Aussterben bewahre?«
Kian lehnte sich nachdenklich gegen den Türrahmen. »Ich bin das Oberhaupt eines mächtigen Volks, das ich alleine nicht mehr retten kann. Du bist eine außerordentlich begabte Hexe. Ist es nicht selbstverständlich, dass ich dich um Hilfe bitte?«, erwiderte er nüchtern und vorwurfsvoll.
»Und was soll ich deiner Meinung nach tun?« Es war ja nicht so, dass sie nicht helfen wollte, aber ihre Möglichkeiten waren beschränkt.
Kian zuckte resignierend mit den Schultern. »Wenn ich das wüsste, bräuchte ich wohl nicht die Hilfe der großen Hexe.«
Fee lehnte sich ein Stück entfernt von ihm mit einer Schulter an die Wand und sah auf die abgedunkelten Fenster. Im Grunde hatte sie sich daran gewöhnt, dass alle in ihr etwas Besonderes sahen, aber sie fühlte sich nicht wohl damit und mit den Erwartungen, die man immer wieder an sie stellte.
»Die große Hexe hat dir gestern schon gesagt, dass man das Schicksal nicht verändern kann. Soll ich etwa neue Lichtwesen erschaffen? Alana wiedererwecken?«
»Kannst du das?«
Fee stieß sich verärgert von der Wand ab. »Ich würde es nicht einmal versuchen. Man mischt sich nicht in die Ordnung von Leben und Tod ein!«
Kian zuckte erneut mit den Schultern.
»Mit dieser Ordnung haben wir es nicht so. Wir können Menschen, die dem Tode nahe sind, mühelos neue Lebensjahre schenken, ohnr uns um diese Ordnung zu scheren.«
Es war ja nicht, dass er damit Unrecht hatte, die Lichtwesen schienen selbst beinahe unsterblich und waren in der Lage Lebenskraft zu schenken und so den Tod aufzuhalten, aber sie standen nicht außerhalb der Weltordnung.
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