Artnus ging wortlos an dem Magier vorbei, Fee lächelte lediglich besänftigend.
»Du hast später noch genug Zeit, mit dem Todgeweihten zu flirten«, grummelte Noctrius, während er ihnen in den Versammlungssaal folgte. Fee entschied sich, nicht auf seine Andeutung einzugehen.
Auch ihr Boss war einer der Gründe, warum sie besser keine Gefühle für Artnus haben sollte. Noctrius würde eine Beziehung mit dem Spüreroberhaupt nicht dulden und sie machte sich nicht vor, dass das keine Rolle spielte. Deshalb hätte Fee sich tatsächlich gewünscht, dass die Spürer sich von Grey lossagten, dann hätte sie einen Grund weniger, ihre Gefühle zu unterdrücken.
Diesmal erwartete sie nur eine kleine Runde im Saal, bestehend aus den wichtigsten Vertretern der Fraktionen: Vampiroberhaupt Cornelius mit seinem engsten Vertrauten, Lichtwesenkönig Kian, Artnus als Oberhaupt der Spürer, Noctrius und Fee als Repräsentanten der Magier. Bei wirklich großen Diskussionen kamen noch weitere Auserwählte aus den einzelnen Gruppen hinzu, auch wenn diese kein Stimmrecht hatten.
Gerade, als alle ihre Plätze in dem parlamentsähnlichen Saal eingenommen hatten, öffnete sich die Tür erneut. Steven, der Vertreter der Hellseher trat alleine und wortlos ein.
Überrascht sah Fee zu Artnus, der ihr gegenüber und viel zu weit entfernt zum Flüstern saß. Er schien ihr Erstaunen zu teilen. Die Hellseher nahmen so gut wie nie an Versammlungen Teil, da sie ohnehin im Voraus wussten, was gesprochen und beschlossen wurde. Daher hätte sie Artnus gerne gefragt, was er über die Anwesenheit des Sehers dachte.
Neben sich sah Fee Noctrius, der dem Hellseher zur Begrüßung zunickte und nicht sonderlich erstaunt schien. Warum auch? Noctrius hatte seine Ohren überall und musste gewusst haben, das Steven zur Versammlung kam.
Der Magier räusperte sich. »Da wir vollzählig sind, sollten wir anfangen.«
Erneut verwirrt folgte Fee seinem Blick zum Lichtwesenkönig Kian. Diese stumme Kontaktaufnahme war neu.
Bei ihr genügte schon der Anblick des Lichtwesens, um sie innerlich zittern zu lassen. Kian war groß, schlank und sportlich, sodass er bei Menschen gut als Model durchgehen könnte, wenn er sich ihnen je zeigen würde. Wenn man ihn länger betrachtete, musste man allerdings auch das übernatürliche Stahlen bemerken, als ob seine Porzellanhaut von innen heraus leuchtete. Es war das Licht, von dem diese Wesen sich ernährten, das ihn so strahlen ließ, zumindest sagte man das. Seine goldblonden Haare machten es auch nicht besser. Obwohl Lichtwesen den Menschen auf den ersten Blick sehr ähnelten, strahlten sie so offensichtlich übernatürliche Macht aus, dass es sogar Fee gruselte. Nicht zuletzt wurde sie unruhig, weil die Lichtwesen so wenig über ihre Natur und ihre Fähigkeiten preisgaben, nicht einmal Gegenüber anderen Mitgliedern von Grey.
»Danke, Noctrius«, begann Kian leise mit seiner dünnen Stimme. »Ich habe um diese Versammlung gebeten, weil ich euch leider mitteilen muss, dass heute Morgen Alana verstorben ist«, verkündete er ruhig und sachlich den Tod seiner Lebensgefährtin, ohne auch nur ansatzweise Gefühle zu zeigen.
Noch etwas, das die Lichtwesen so unheimlich machte, sie zeigten selten Emotionen – um nicht zu sagen, nie.
Ein Raunen ging durch die Reihen, weil sie alle wussten, dass mit Alanas Tod das Schicksal der Lichtwesen besiegelt war. Bisher war es nur eine unausgesprochene Befürchtung gewesen, jetzt war es Gewissheit.
»Das bedeutet, unserem Volk steht in absehbarer Zukunft das Aussterben bevor«, ergänzte Kian unnötigerweise, obwohl allen die Bedeutung seiner Worte klar war. Sie waren schließlich der engste Kreis von Grey.
Die Lichtwesen waren eines der ältesten Völker, wie alt genau wusste keiner zu sagen. Im Gegensatz zu den meisten Magiewesen war ihre Natur erblich, was lange Zeit ihren Fortbestand gesichert hatte. Allerdings war Alana die letzte lebende Lichtwesenfrau gewesen, nach ihrem Tod konnten keine Lichtwesen mehr geboren werden.
»Willkommen im Club«, erwiderte Artnus ohne große Anteilnahme. Das Aussterben der Spürer war eine allgemein akzeptierte Tatsache, löste aber lange nicht solche Spannung aus, wie sie nach Kians Mitteilung im Saal herrschte.
»Der Verlust der Lichtwesen ist ein harter Schlag«, erklärte Noctrius ernst, »das hätte man verhindern müssen.«
»Wir haben alles versucht«, beteuerte Kian für seine Art erstaunlich betroffen – betroffener als bei der Verkündung von Alanas Tod. Es war kein Geheimnis, dass er sie nie geliebt hatte, er war lediglich der jüngste Lichtwesenmann und hatte für Nachwuchs sorgen sollen. Erfolglos. Alana hatte nie ein Kind geboren.
»Manche Dinge sind eben nicht zu ändern«, versuchte Fee es beschwichtigend.
»Mit der heutigen Technik und dem Wissen um Genetik, hätte man diese Dinge ändern können«, widersprach Vampiroberhaupt Cornelius vorwurfsvoll, dabei betrauerte er wohl kaum den Verlust der Lichtwesen, mit denen die Vampire schon lange zerstritten waren. Eher fürchtete er wohl die Folgen für Grey. Die Lichtwesen waren einer der Gründe, warum sogar Magier und Vampire außerhalb von Grey Respekt vor der Organisation hatten und ihre Weisungen befolgten. Sobald es keine Lichtwesen mehr gab, würde Grey an Einfluss verlieren.
»Gegen das Schicksal ist auch die moderne Technik machtlos«, pflichtete Artnus Fee immer noch gelassen bei.
Natürlich regte sich auf allen Seite Widerstand, den Fee nur halbherzig anhörte, weil alle Diskussionen doch nichts mehr ändern würden. Indessen sah sie zu Steven, der die Unterhaltung nicht wirklich verfolgte, stattdessen starrte er sie an.
Bisher hatte sie nie einen Seher befragt, weil es ihr albern schien. Die Zukunft zu kennen, bedeutete nicht, dass man sie ändern konnte. Stevens Starren allerdings machte sie neugierig. Hatte er ihr etwas zu sagen? Sah er vielleicht genau in diesem Moment ihre Zukunft vor sich?
»Wie geht es nun weiter?«, hakte Cornelius nach, mehr an Steven als an Kian gewandt.
Der Seher jedoch machte keine Anstalten, zu antworten. Natürlich nicht. Ihr Wissen teilten die Seher nur zurückhaltend, um ihrer – wie sie sagten – großen Verantwortung gerecht zu werden.
»Wir werden Grey weiterhin nach Kräften unterstützen«, versicherte Kian ruhig, »wir sind aktuell zehn, die meisten von uns sind zwar alt, können aber sicher noch hundert Jahre leben. Bis dahin muss keiner außerhalb von Grey etwas von unserer Situation erfahren.«
Fee seufzte erleichtert, weil diese Aussicht die meisten im Saal beruhigen sollte. Lichtwesen konnten sehr alt werden, durchaus tausend Jahre und mehr. Wie alt Kian und seine Artgenossen bereits waren, wusste keiner genau, aber offenbar noch jung genug. Zumindest Fee, Noctrius, Steven und Artnus würden das Aussterben wohl nicht mehr erleben. Bei den Vampiren war es schwer, abzusehen, weil auch sie nicht offen über ihr Alter sprachen. Tendenziell waren sie sehr viel älter als man vermuten wollte.
Fee atmete erleichtert auf, als sich die Runde endlich auflöste, natürlich ohne eine Maßnahme gegen das Aussterben der Lichtwesen zu finden.
Ihr Gegenüber sah sie Artnus, der ihr freudig zulächelte und sie so an die sehr viel aktuelleren Probleme in ihrem Leben erinnerte. Wie sollte sie ihm nur schonend beibringen, dass sie keine Beziehung wollte, wenn sie davon nicht einmal selbst überzeugt war?
»Fee«, Noctrius’ Stimme ließ sie aufsehen, als Artnus bereits herüber kam, »du hast doch sicher ein paar Minuten«, bat der Schwarzmagier zuckersüß, allerdings mit dem Gesichtsausdruck eines Befehlsgebers.
Sie stand auf, um wenigstens körperlich mit ihm auf Augenhöhe zu sein, wenn er auch im Rang immer über ihr stehen würde.
»Ich bin mit Artnus verabredet.«
Sofort sah sie den Zorn in den Augen ihres Chefs.
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