„Proklyatyy – Verflucht! Das ist nicht gut.“, grummelte Boris. „Das ist gar nicht gut!“
Gerettet! Monica sackte zusammen. Die Anspannung entwich aus ihrem Körper. Sie verstand: Der Russe hatte ihr die Geschichte abgekauft. Sie konnte Ewald da raushalten, und Juan war schon tot.
Scheiße, ich kann doch jetzt nicht auch noch alle Schrotthändler in Bogotà absuchen, die Sondermetalle angekauft haben, dachte Boris.
Er wandte sich ab, der Stahltür zu.
„Was jetzt?“, fragte Pablo. Er deutete auf die gefesselte Geisel.
„Willst du deine Geisel nicht mehr? Ihr habt uns Lösegeld versprochen!“
Boris fauchte ihn an.
„Einen Scheiß haben wir. Die halluziniert. Die ist nicht mehr zu gebrauchen. Spendier‘ ihr doch einen goldenen Schuss, du Kokainkocher, verkauf‘ sie in euer Bandenbordell oder schick sie doch gleich in den Dschungel – scheißegal.“
Die Stahltür knallte hinter Boris zu.
Pablo sah Monica an. Er wusste, was er nun zu tun hatte. Es durfte keine Spuren geben.
„Arme Chica!“, murmelte er. „Entspann dich. Keiner braucht dich mehr. Zum Abschluss spendiert dir der liebe Pablo noch eine schöne, letzte Reise.“.
Monica hörte ihn kaum noch. Sie nahm auch nicht mehr wahr, dass Pablo eine Spritze aufzog, um ihr den Goldenen Schuss zusetzen. Sie hatte gewusst, dass sie sterben musste – schon als die Entführer sie aufgegriffen haben. Sie war jetzt nur noch froh, dass sie es geschafft hatte, Ewald da raushalten. Dann spürte sie den Einstich. Und die Wärme dieser süßen Gewissheit: Ich habe dich da rausgehalten, Liebster . Da kam der „Trip“ ihrem Gehirn an. Sie spürte nicht mehr, dass er ihr den Tod gleich mitbrachte.
Boris saß in diesem Moment schon im Helikopter. Auf dem Weg zurück erhielt er über Funk seinen neuen Einsatzbefehl – Verhör eines U-Boot-Kommandanten auf Kuba. Sein KGB-Offizier teilte ihm die Umstände auch gleich mit. Ein russischer Geheimsatellit habe einen unbekannten Flugkörper über dem Atlantik registriert. Er sei in der Nähe eines amerikanischen Space Shuttles aufgetaucht, habe per Funk Sendungen aufgezeichnet und abgestrahlt und sei dann wohl, so die Radaraufzeichnungen, im Atlantik gewassert. Ein sowjetisches Tiefsee-U-Boot habe das wassernde Objekt bemerkt und am Meeresboden wiederentdeckt. Dort, wohin es getaucht war, sei per Radar eine über 700 m große Kugel am transatlantischen Seekabel identifiziert worden. Das U-Boot habe von der Kugel sogar einen Radar-Ping zurückbekommen. Doch als es sich der Stelle genähert habe, sei die Kugel weggewesen. Es habe nur noch Spuren zwischen den Manganknollen gegeben, und er, Boris, solle den U-Boot-Kapitän genauer befragen. Es bestehe der Verdacht, die Amerikaner haben eine neuartige, mobile Tiefsee-Station installiert, zum Abhören von Funk- und Kabelverbindungen oder zum Aussenden von Flugkörpern mit Nuklearsprengköpfen. Sicher, vielleicht hatte es von diesen Flugkörpern ein Bruchstück gegeben, das in den Anden runtergekommen war – aber diese Tiefseestation schien die Raketen mit ihren Flugkörpern auszusenden.
Boris verstand. Er blickte aus dem Helikopter. Er sah den Regenwald verschwinden. Auch die Kaffeeplantagen verschoben sich zum Horizont. Er hatte einen Ausläufer der Anden passiert und näherte sich der Karibik. Kuba wartete. Diese Tiefseestation war den Genossen jetzt viel wichtiger als so eine mögliche, nun aber auch noch nutzlose Informantin. Und für so etwas will das kolumbianische Medellìn-Kartell dann auch noch Lösegeld haben, dachte Boris verächtlich. Nein, die Genossen in Moskau haben Recht. Es gibt Wichtigeres. Schließlich ist Krieg, kalter Krieg. Da zahlen wir nicht auch noch Lösegelder für so wertlose „Zeuginnen“.
Kapitel 1: Omas Erzählungen
Es begann damals im Januar 1968. Ich saß in Omas Wohnzimmer, unter diesem seltsamen, runden Tisch. Der weiß gekachelte Kohleofen verbreitete wohlige Wärme. Oma war in der Küche und der Teekessel pfiff. Ich hörte sie auf ihrer Marmor-Arbeitsplatte ein Stück Marmorkuchen für mich abschneiden.
Ich spielte unter dem Tee-Tisch im Wohnzimmer. Der runde Tisch war mit Messing beschlagen. Oma hatte mir, wie schon so oft, erlaubt, aus dem Schränkchen mit Glasfenstern unter der Tischplatte das hölzerne Kästchen zu nehmen. Es lag auf meinem Schoß und meine Kinderhände öffneten die kleine Schatztruhe. Ich nahm die Replik des westfälischen Friedensthalers, legte sie unter ein Blatt Papier und rubbelte ihn mit einem Bleistift durch. Sein Bild wurde auf dem Papier sichtbar: Die Engel, die Stadtansicht mit der Stadtmauer und den gepanzerten Soldaten, die sich die Hand reichten. „ Monasterium Vestphae “ stand über den Kämpfern, die ich als Kind für Ritter hielt, und „P. O. R. – P ax O ptima R erum “– der Wahlspruch des Westfälischen Friedens.
Ich griff wieder in das Kästchen. Unter dem alten Notgeldstück lag mein liebstes Spielzeug. Es konnte Schrauben und Nägel anziehen, Büroklammern, Pfennigstücke und Heftzwecken – aber keine Messingschrauben oder Groschen. Auch der Friedensthaler und das Notgeldstück wurden nicht von ihm angezogen, aber am gekachelten Ofen blieb es hängen. Und an der alten Badewanne in Omas Badezimmer.
„Oma, was ist das eigentlich? Warum bleibt das an manchen Sachen immer hängen und an anderen nicht?“
„Das ist ein Magnet, Jensilein“, sagte Oma, und ich erfuhr, dass er Eisen anzieht und Nickelgeld.
„Und Schrauben auch, Oma, guck mal!“, ergänzte ich begeistert.
Oma sah mich an und lachte von Herzen, als sie mich spielen sah.
„Ist dieses Ding selber auch eine Schraube?“, fragte ich. „Und woher habt ihr das?“
Oma reichte mir noch ein Stück Kuchen. Er duftete.
„Das hat Opa von einem Freund bekommen. Und der hat es aus Russland. Du weißt ja, Opa repariert Schreibmaschinen. Vielleicht gehört dieses Magnetstück zu den Feinwerkzeugen, die man dafür braucht. Aber er kennt es auch nicht so genau, weil es nicht aus Deutschland ist, weißt du.“
Oma stand auf.
„Magst du noch einen Kakao, Jensilein?“
„Gerne, Oma“, gab ich zurück. Als Oma das Wohnzimmer verließ um Milch auf dem Gasherd warm zu machen, spielte ich wieder mit dem magnetischen Metallstück. Es sah wirklich irgendwie wie eine Schraube aus. Als Oma wieder aus der Teeküche zurückkam, durfte ich ihren Marmorkuchen kosten und den Kakao. Sie nahm ihre Schürze ab und setzte sich neben mich in den Sessel. Dann erzählte sie mir, wie Opa an diese Schraube gekommen war, und sie versprach mir, als Gute-Nacht-Geschichte etwas aus unserer Familienchronik vorzulesen.
„Gute-Nacht-Geschichte?“, jubelte ich?
„Ja, Jensilein. Deine Mammi hat mir gesagt, dass du heute hier übernachten darfst. Sie hat mir eine Tasche mitgegeben mit deinem Schlafanzug und deinem Teddy.“
„Juchhuh!“
Ich jubelte. Ich hätte vor Freude platzen können, denn oft kam das nicht vor. Mutter wollte mich immer zuhause behalten, im Kinderzimmer. Doch manchmal gab es eben Ausnahmen. Wenn es in ein Ferienlager ging, zum Beispiel, oder auf Klassenfahrt. Oder wenn ich mal bei Oma Lotte schlafen durfte oder Oma Hanny.
Heute war Oma Lotte dran. Sie machte mir Hühnerbollen zum Abendessen mit Kartoffeln, Apfelmus und Roter Beete. Sie trank hinterher immer den Saft von der Roten Beete, da ich ihn nicht mochte. „Der schmeckt gut“, sagte sie. „Und er enthält Mineralstoffe, die gesund sind!“.
Ich verstand nichts von Kalium und Kalzium. Ich wollte nach dem leckeren Essen lieber gleich die Zähne putzen gehen und den Schlafanzug anziehen.
„Aber warum willst du denn jetzt schon ins Bett?“, fragte Oma überrascht. „Es ist doch erst sieben Uhr?“
„Na, umso eher bekomme ich die Gute-Nacht-Geschichte von dir vorgelesen!“, blinzelte ich ihr zu.
Читать дальше