Er lockerte die Fesseln an ihren Beinen. Sie spürte Blut in die Beine zurückströmen – das Gefühl kam zurück. Ihr linker Fuß schmerzte.
Die Tür ging wieder auf. Der Getarnte kam herein. Er hatte eine Wasserflasche. Der im Anzug nahm sie ihm weg, ging zu Monica und hielt ihr die geöffnete Flasche an den Mund. Monica, noch halb benommen, öffnete die Lippen und spürte das Leben in ihren Mund zurückkommen.
Wasser!
Er half ihr trinken. Gierig trank sie die Flasche leer.
Es dauerte ein paar Minuten, bis sie die Flasche geleert hatte. Der im Anzug hatte Geduld. Der Getarnte stand seitlich. Sie nahm ihn nicht wahr. Er schien abzuwarten. Der im Anzug gab den Ton an.
Als sie ausgetrunken hatte, warf er die geleerte Plastikflasche auf den Boden.
„Also pass auf“, sagte er. „Du bist hier als eine Geisel. Die dich entführt haben, das sind die Kokaindealer hier in eurem gottverdammten Kolumbianischen Dschungel. Kannst du mich verstehen?“
Monica nickte.
„Sie wollen die Kenntnisse aus eurem Chemielabor und die Analysegeräte, um ihr Scheißkokain besser machen zu können.“
Aber ich bin doch im Mineralogischen …
Monica schüttelte den Kopf und öffnete ihren Mund, doch sie besann sich und sprach nicht aus, was sie dachte.
„Mich interessieren deren Probleme einen Scheißdreck!“, stellte der im Anzug klar.
„Eti idioty, ya khochu znat', chto s etimi kosmicheskimi chastyami!“, fluchte er.
Monica sah ihn fragend an.
„Boris Barakow, hablamos espanol!“, gab der Getarnte genervt von sich.
„Schnauze!“, gab Boris wütend zurück. „Ich weiß das“.
Er drehte sich wieder Monica zu. Er flüsterte ihr fast ins Ohr.
„Ich sagte: Diese Idioten, ich will wissen, was mit diesen Weltraum-Teilen ist! Bestimmt kennst du Diego Humberto, die Hilfskraft in eurem Labor. Er ist ein braver Genosse von mir, weißt du – nicht so ein kokainbenebelter Guerillero! Und weißt du was? Er hat von mir eine kleine Kamera bekommen, dein Analyseergebnis geknipst und das Foto in sein Parteibüro gefaxt – schlaues Köpfchen, euer Genosse Humberto! Und weißt du was? Die KP hat das Ding dann an unsere Freunde in der DDR gefaxt und über die kam es dann zu uns. Und nun kommst du ins Spiel: Wir wollen dieses Ding, das du da analysiert hast. Aber Moskau ist nicht zufrieden damit. Da ist dir nämlich ein blödes Unglück passiert. Ein ganz blödes Unglück! Du hast das Päckchen diesem Westdeutschen mitgegeben, sagte uns dieser Juan. Du kennst Juan von deiner – wie sagt ihr da – Universidad de Caldas, Facultad de Ciencas Exactas y Naturales?“
Monica nickte. Sie drehte die Augen. Ihr war schwindelig.
Boris bemerkte es. Wütend drehte er sich zu dem Getarnten um.
„Du Buschkrieger, hör zu und lern jetzt mal von einem Profi! Wenn wir beim KGB jemanden verhören, dann kriegt der keine Drogen, sonst ist die Aussage so neblig wie deine benebelte Geisel – kapierst du das, Pablo, du Idiot?“
Pablo sah zu Boden. Er wusste, er durfte jetzt nichts Falsches sagen.
Boris drehte sich wieder zu Monica um. Er hielt ihr ein Foto vors Gesicht.
„Schau dieses Foto an. Kennst du das?“
Es war ein Foto von dem Päckchen. Monica erkannte eine Probe aus dem Depotraum ihres Labors an der Uni. Sie erkannte es an dem Zettel, der auf dem Päckchen klebte. Er trug ihre Handschrift. Oben auf dem Zettel standen das Symbol der Sonne und der Universitäts-Wahlspruch „Lumina spargo“. Und ihr Vermerk: „Proba 314/1985, Proba comparanda con tornillo (Senor Alemàn)“. Es war der kleine Karton mit dem metallischen Gegenstand, den sie untersucht hatte – dem Fundstück aus den Anden. Es war geformt wie ein Quader. An einer Kante wies er noch Reste von dunklem, meteoritischem Material auf. Ihre Analyse hatte die außerirdische Herkunft des Objektes bewiesen, und zwar die des Meteormaterials ebenso wie die des Metallquaders, an dem das dunkle Material saß. Sie hatte das Metallteil Ewald gegeben, weil der ihr so eine deutsche Probe gezeigt hatte, die aus dem gleichen Material war.
Ewald. Ihr Herz klopfte. Sie erinnerte sich. Sie hatte ihn in Bogotà kennengelernt. Vor dieser Katastrophe, und vor ihrer Entführung hier in dieses Drecksloch. Ewald war in dem Vulkanologenteam, das aus Westdeutschland gekommen war. Ihr Herz hatte sofort geklopft – sie war verliebt. Sie war fortan mit ihm unterwegs, auf Exkursion. Sie hätte sich sogar vorstellen können, mit ihm … Aber nun war er ja wieder in Westdeutschland, zusammen mit seiner Vergleichsprobe. Als „Proba No. 315/1985“ hatte sie das Stück registriert und mit untersucht. „Tornillo, origen: Sr. Ewald de Alemania.“ stand darauf.
Ewald.
Pablo stieß sie von der Seite an.
„Antworte dem Gentleman vom KGB, sonst kommst du hier nicht raus!“, zischte er.
Monica blickte auf.
„Ja“, stammelte sie. „Ja, ich kenne das Päckchen.“
„Hast du dieses Ding untersucht.“
„Ja, ich habe es analysiert.“
Monica sah wieder Wellenbewegungen auf den kahlen Wänden des Lagerraums. Alles drehte sich.
Boris sah sie an.
„Hör zu! Wir haben dein Ergebnis. Wir können lesen. Es beweist, dass das Ding aus außerirdischem Material ist. Aber Meteoriten sind nicht rechteckig. Wir glauben, es ist von einer US-Waffe. Von einem amerikanischen Geheimsatelliten, der unsere Genossen bedroht. Bestimmt hast auch du schon von diesem SDI-Programm gehört. Und du willst uns jetzt deshalb helfen und nicht hier in diesem alten Drogenschieberloch bei deinem Pablo aus Medellin verrecken, nicht wahr?“
Monica stammelte. „Nein … Ja … Ich sage ja, was sie wissen wollen. Bitte lassen sie mich gehen. Das war wirklich Meteoreisen und Seltene Erden-Metalle wie Neodym, und Bor und …“
„Khorosho, malen'kaya myshka – Alles gut Mäuschen!“, sagte Boris und strich ihr durch das Haar. „Ich will nur wissen, wer das Metallteil jetzt hat, und zwar genau jetzt! Wenn wir es haben, dann bist du frei!“
„Ich … Ich weiß es nicht.“
Boris schüttelte den Kopf.
„Njet, du weißt es sehr gut! Wir haben deinen Kollegen Juan gefragt. Du hast das Päckchen diesem Westdeutschen mitgegeben, sagte er, bevor er starb. Wir müssen seinen Namen haben, seine Adresse. Er könnte ein böser BND- oder MAD-Spion sein, weißt du. Auch wenn er angeblich nur so ein Mineraloge oder Vulkanologe war wie du.“
Monica war, als zuckten Stromschläge durch ihren Körper. Juan ist tot! Ewald? Ich muss dich retten, Ewald! Dich schützen vor diesen Bluthunden!
„Neinneinnein!“, schrie sie.
Sie setzte sich kerzengerade. Sie nahm ihre schwindenden Kräfte noch einmal beisammen und sah diesen Boris an. In ihr drehte sich alles. Aber sie musste ihn jetzt überzeugen. Unbedingt.
„Nein! Das hat Juan gesagt, um von sich abzulenken. Er hat die Probe mitgenommen, nicht dieser Deutsche. Juan wollte sie mitnehmen. Er hat es mir gesagt. Der Deutsche hatte nichts damit zu tun. Jedenfalls nicht nach dem, was ich weiß. Juan war auf das Teil scharf. Er hat immer wieder danach gefragt. Er wollte genau wissen, wo in den Anden es gefunden worden sei, und von wem.“
Monica schwitzte. Ihr fehlte die Luft zum Weitersprechen.
Boris sah sie schief an.
„Mäuschen, verarsch mich nicht!“, fauchte er grimmig. „Juan hätte uns gesagt, dass er das Teil hat, glaube mir. Wir sind da ganz genau. Wir haben da unsere Methoden. Er hatte es nicht. Garantiert. Und wenn du uns nicht sagst, wer es aus eurem Unilabor bekommen hat, dann müssten wir dich auch mit unseren Methoden, sagen wir, freundlicher befragen. Du willst doch nicht, dass mein Freund Pablo dich wiederbekommt, oder?“
„Nein“, stammelte Monica. „Juan hat das Päckchen mitgenommen. Er sagte, er wolle es dem Deutschen mitgeben. Aber vielleicht hat er dieses Metall ja auch lieber beim Schrotthändler zu Geld gemacht, dieser Schuft! Ich weiß es nicht. Ich hatte gesagt, er soll es dem Deutschen geben. Aber der hat mich später vom Flughafen aus angerufen, ich solle ihm das Teil per Luftpost zuschicken. Er habe das Teil nicht mehr von Juan mitbekommen, als er am Flughafen Bogotà eingecheckt habe.“
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