„Tut mir leid, dass Sie beide warten mussten. Jetzt habe ich endlich Zeit für Sie.“ Ich nicht. Verschwinde wieder!
Die künstlich aussehende, überschminkte PR-Leiterin führt uns in den Konferenzraum. Kaum sitzen wir, labert sie auch schon ohne Punkt und Komma über Fiedler Glas, als würde ich das alles nicht schon seit meiner Kindheit kennen. Anna scheint auch die Geduld auszugehen. Ich sehe die dicke Akte, die vor ihr liegt, und bin mir sicher, dass sie sich auf das Projekt gut vorbereitet hat und mit dieser Litanei genauso wenig anfangen kann wie ich. Hier drinnen ist es stickig und das Dauergerede der Wasserstoffblondine macht es nicht besser. Ich stehe auf, ohne Blondie weiter zu beachten, und öffne das riesige Fenster einen Spalt breit. Dankbar sieht Anna mich an. Sie verdreht gequält die Augen. Zum ersten Mal erkenne ich meine Fremde hinter der Fassade und ich erwidere ihr Lächeln. Da ist wieder dieser Moment des stillen Verstehens zwischen uns, den ich nutze.
„Carmen, das ist sehr nett von Ihnen. Und auch wirklich ausführlich . Aber ehrlich gesagt, hat Frau …“ Scheiße, ich kenne nicht mal ihren Nachnamen.
„Thaler“, hilft sie mir aus und lächelt dankbar.
„Frau Thaler alle relevanten Erstinformationen unserer Firmenhistorie bereits erhalten.“
„Das stimmt“, bestätigt Anna entschuldigend. Carmens Kopf wird daraufhin dunkelrot. „Ich verstehe.“
Offenbar hatte sie gehofft, heute zu glänzen, dabei war ihr nicht enden wollender Vortrag mehr als überflüssig. Aus dem Konzept gebracht sieht sie sich ratlos um.
„Nun gut, wenn das so ist, dann lasse ich Sie alleine, und Sie können dann ja die weitere Vorgehensweise und das Konzept besprechen. Der Raum ist noch bis fünf reserviert.“
„Danke“, sage ich zu ihr und bin erleichtert, als sie den Raum verlässt.
Endlich mit Anna alleine, beiße ich mir auf die Lippe, um nicht wieder etwas zu sagen, das sie zurückschrecken lässt.
„Ruhe. Endlich.“
„Kannst du laut sagen … Ich dachte schon, die hört nie auf“, gibt sie zu und lässt die Luft aus ihren Lungen.
„Ich gehe davon aus, du weißt alles, was du über die Firma wissen musst?“
„Selbstverständlich“, sagt sie und klingt wie ein Profi. Doch irgendetwas sagt mir, dass sie genau wie ich nicht mit dem Herzen an diesem Projekt beteiligt ist.
„Gut. Mein Vater, so hat er mir zumindest über David ausrichten lassen, stellt sich klassische Produktfotos für das Buch vor. Klassisch. Einfach. Langweilig . Und genau das, was ich nicht machen werde.“ Mit einer Falte zwischen den Augenbrauen sieht sie mich an.
„Wieso ausrichten lassen?“
„Wir kommen nicht besonders gut miteinander aus.“
„Das tut mir leid“, sagt sie, und ich höre ihr an, dass sie es ehrlich meint.
„Es ist nicht fair, huh? Die guten Väter, so wie deiner, sterben viel zu früh und die miesen, so wie meiner … tja.“
„ Du erinnerst dich daran?“ Erstaunt blickt sie mir direkt in die Augen. Diese wunderschönen blauen Augen sind noch dieselben. Mir bleibt die Luft weg.
„Natürlich erinnere ich mich. Ich sagte dir doch, dass ich nichts vergessen habe.“ Die Luft zwischen uns knistert, als wir uns weiter ansehen, obwohl wir nicht besonders nahe beieinandersitzen.
„Schade, dass du dich mit deinem Vater nicht gut verstehst.“ Sie ignoriert meine Anspielung auf jene Nacht und bricht damit die Verbindung, die gerade zwischen uns entsteht, ab. Tut sie das bewusst?
„Das würdest du nicht sagen, wenn du ihn kennen würdest.“
„Das kann ich nicht beurteilen.“ David hat sie also nicht dem alten Herren vorgestellt. Oder aber er wollte es und etwas kam dazwischen. Etwas wie unser unerwartetes Wiedersehen auf der Party?
„Was hast du dir dann vorgestellt für die Bilder?“
Okay, dann eben Arbeit.
„Ich möchte die Designer mit ihren Glas-Kollektionen abbilden. Für die klassischen Serien von früher können wir alte Fotos nehmen, das wirkt authentischer, aber für die Image-Fotos und die Linien möchte ich Bilder, die menschlich sind, und mehr aus dem kalten, leeren Glas machen. Ich möchte den kreativen Hintergrund und den Nutzen der Gläser in den Vordergrund stellen. Auch wenn mein Vater meint, es geht nur ums Verkaufen und ums Geld, will ich zeigen, was David mit der Firma machen würde, wenn er den Mut hätte, Vater zu widersprechen, und sich nicht nur mit Teilbereichen zufriedenzugeben.“ Sie hört mir aufmerksam zu, und als ich Davids Namen sage, war keinerlei Reaktion ihrerseits zu erkennen. Ich glaube wirklich nicht, dass sie etwas für ihn empfindet außer Sympathie, vielleicht auch Freundschaft.
Oder ich sehe nur, was ich sehen will.
„Das gefällt mir. Wirklich … Ich will ehrlich sein. Eigentlich wollte ich das Projekt gar nicht machen und nicht nur deinetwegen … aber wenn du es so aufziehst, kann ich vielleicht sogar etwas schreiben, das mir Spaß macht.“
Ihre Augen strahlen. So hat sie ausgesehen, als sie damals vom Schreiben geredet hat. Ich frage mich, warum sie keine Romane schreibt.
„Schön, dass du mit an Bord bist … Du machst dir also Sorgen unseretwegen?“ Geradeheraus sehe ich sie an.
„Wie könnte ich nicht bei unserer Vergangenheit !“
Mir gefällt, wie sie das sagt, unsere Vergangenheit. Unsere gemeinsame Vergangenheit … Diese Nacht! Diese unglaubliche Nacht …
„Ich kann mit dir zusammenarbeiten, Anna.“
Um ihr zu zeigen, dass ich auch anders kann, kreuze ich die Arme vor der Brust und werfe ihr einen ersten Blick zu.
„Das freut mich.“ Erleichtert lächelt sie.
„Das heißt aber nicht, dass ich nicht versuchen werde, dich zu verführen.“ Breit grinsend stelle ich fest, dass sie das ziemlich aus der Ruhe bringt.
„Das solltest du nicht tun.“
Ihre Warnung stößt auf taube Ohren. Es wird passieren.
„Und warum sollte ich etwas lassen, das ich unbedingt möchte?“ Die Hitze im Raum steigt erneut, trotz des offenen Fensters. Es könnte auch damit zu tun haben, dass ich meinen Platz verlasse und auf Anna zusteuere, die mich argwöhnisch dabei beobachtet.
„Weil du vielleicht enttäuscht werden könntest.“
„Ich erinnere mich, etwas Ähnliches schon einmal aus deinem Mund gehört zu haben, und ich meine, dich damals vom Gegenteil überzeugt zu haben. Und zwar sehr gründlich.“ Sofort sehe ich sie vor mir, erregt keuchend gegen eine Mauer gelehnt, in dieser winzigen Gasse. Ich habe sie angetörnt, aufgeheizt und bin dabei durch die Hölle gegangen. Denn meine Erektion hatte dabei schmerzhafte Ausmaße erreicht. Doch es war einer der heißesten und erinnerungswürdigsten Momente meines Lebens. Wären da nicht die Stunden jener Nacht, die nach dieser Überzeugungsarbeit folgten.
Jetzt sehe ich den Aufruhr, die Nervosität, aber auch die Angst davor in ihren Augen. Anna weiß noch, wie es war. Es ist ihr genauso ins Gedächtnis gebrannt wie mir. Aber aus einem Grund, den ich nicht verstehe, löst es bei ihr nicht den Wunsch nach Wiederholung aus wie bei mir, sondern es scheint ihr Angst zu machen und sorgt dafür, dass sie sich vor mir zurückzieht. Anna sitzt aufrechter und starrt mich fest an. Plötzlich habe ich eine ganz andere Frau vor mir.
„Vielleicht gelingt es dir ja nochmals, mich zu überzeugen . Aber täusch dich nicht in mir! Ich bin nicht naiv genug, zu glauben, dass es um mehr geht als bloß Sex. Das war es damals nicht und heute würde es auch nicht mehr sein als das.“
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und ziemlich angepisst betrachte ich die wunderschöne Frau mit den erstaunlich blauen Augen, die seit Langem meine Träume heimsucht, und muss feststellen, dass ich nicht weiß, ob sie das wirklich so sieht oder mich damit bloß wegschubst. Mir gefällt nicht, dass sie unsere Nacht so hinstellt. Ganz und gar nicht.
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