„Wunderbar!“, sagte Phil und lächelte, dass ihm die Kippe bis ans rechte Ohrläppchen rutschte. Langsam drehten sich die rostigen Zahnräder in seinem Schädel und er sagte: „Oh nein. Dann sitzen Sie ja jetzt hier wegen mir fest.“ Sein Lächeln verschwand und seine Zigarette rutschte samt Mundwinkel zu einem bedauernden Gesichtsausdruck herab. „Die Beerdigungszeremonie beginnt bald. Warten Sie. Ich setze zurück. Am Ende der Anhöhe ist eine Bucht genau für solche Fälle.“
„Phil, das wäre doch wunderbar. Mehr kann ich mir gar nicht wünschen“, sagte Lillian und kaute auf einem imaginären Kaugummi.
Phil nickte zustimmend und schlappte zurück zu seinem Lkw. Er startete den Motor und rollte rückwärts die Anhöhe hinunter, wo er in der Parkbucht verschwand.
„Danke, Phil“, sagte Lillian und hupte noch zwei Mal, während sie an ihm vorbeifuhr.
„Die Zeremonie soll bald beginnen. Wir müssen uns beeilen!“, erklärte Frank hastig.
„Immer mit der Ruhe“, meinte Lillian, „jetzt schauen wir uns erst mal Shuus an. Da ist es ja auch schon.“
Der Sprinter schoss aus dem Tunnel. Ein Schild kurz hinter dem Ausgang begrüßte Lillian und Frank mit freundlichen Worten:
WILLKOMMEN IN SHUUS
HEIMAT DER GEMÜTLICHKEIT
„Danke schön“, sagte Lillian und trat aufs Gas. „Jetzt bin ich aber mal gespannt, was du uns zu bieten hast, Heimat der Gemütlichkeit.“
4
In der Kirche von Shuus waren inzwischen die letzten ortsansässigen Trauergäste eingetroffen. Pfarrer Glenn Clark befand sich im Gespräch mit einer älteren Dame und hörte ihr aufmerksam zu. Sophie, die den örtlichen Blumenladen betrieb, hatte für die Zeremonie Blumen gestiftet und kontrollierte den Kranz neben dem Sarg. Weiße Tulpen mit schwarzen Rosen in grünen Gestecken. Immer mal wieder musste sie kurz innehalten, um sich eine Träne aus den Augen zu wischen. Vorne neben dem Sarg stand ein großes Bild von Sarah, auf dem sie mit Rucksack an einem Gebirgshang in die Kamera lächelte. Das Bild strahlte genau die Art von Lebensfreude aus, für die Sarah bei ihren Freunden bekannt war. Und jetzt war sie mit einem Mal aus der Welt verschwunden, für immer.
Vor der Kirche blickte ein kleiner Mann in einem leicht verschwitzten Anzug nervös auf seine Armbanduhr. Dann ging er in die Kirche und steuerte geradewegs auf den Pfarrer zu. Leise wisperte er ihm etwas zu, klopfte ihm auf die Schulter und verließ die Kirche wieder, um noch ein wenig zu warten. Glenn legte der Frau, die auf ihn einredete, die Hand auf die Schulter und wies sie mit einer Bewegung an, sich in der Menge einen Sitzplatz zu suchen. Langsam wackelte sie schluchzend davon und setzte sich. Der Pfarrer schritt die Stufen zum Pult empor und nahm seine gewohnte Position ein.
„Liebe Gemeinde, Señor Handuselá hat mich informiert, dass unsere beiden Gäste noch nicht eingetroffen sind. Ich möchte Sie um einen Augenblick Ihrer Geduld bitten. Ich bin mir sicher, unsere Gäste werden bald hier sein. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“
Ein alter Mann mit einer dicken Brille, die in den 70er der letzte Schrei gewesen sein musste, rümpfte die Nase und sprach aus, was so einige dachten. „Das kann doch nicht wahr sein ... machen diese zwei Erbschleicher etwa eine Spazierfahrt?“
Lillian steuerte den Sprinter langsam durch Shuus, damit sie auch nichts verpassten. Als die Straße einen Schlenker nach rechts machte, kamen sie an einer kleinen Apotheke vorbei. Sie blickten links aus dem Fenster und sahen ein großes Feld, auf dem zwei Kühe, ein paar Hühner und ein Schwein hin und her liefen. Irgendjemand hatte all die Tiere auf ein und dieselbe Weide gestellt. Am Ende der Weide befand sich ein alter Bauernhof mit einem fast schon Herrenhaus ähnlichen Wohngebäude. Es gab keine Silos und auch keinen matschigen Vorhof oder einen Traktor. Die Einfahrt war fein säuberlich mit Kies ausgebettet und der Weg vor dem Haus geteert. Eine alte Limousine ruhte vor dem Gebäude. Lillian lenkte den Wagen links die Straßen entlang. Langsam nährten sie sich dem Ortsinneren. Auf einem Schild las Frank: „Sophie und Sarahs Blumenladen - Sträuße für jeden Anlass.“
„Mensch, es hat sich echt eine Menge getan, seitdem ich das letzte Mal hier war. Irgendwo hier muss auch noch die alte Tischlerei meines Opas sein. Er hat in Handarbeit alles hergestellt, was du dir nur vorstellen kannst: Tische, Stühle und sogar ganze Häuserfassaden oder Kinderspielzeug. Er war wirklich geschickt mit seinen Händen.“
Und wie er so erzählte, öffnete sich eine Tür zu Erinnerungen, die Frank schon lange nicht mehr angetastet hatte. „Er hat mir jedes Jahr ein Spielzeug geschenkt. Eins zu Weihnachten und eins an meinem Geburtstag. Da waren echt die tollsten Sachen dabei, nicht nur Autos oder Figuren. Einmal hat er mir einen ganzen Kran gebaut, der sogar funktioniert hat. Er war wirklich begabt. Ich würde zu gern wissen, was aus ihm geworden ist.“
„Lass uns mal hier rechts abbiegen, es sieht so aus, als ob wir sonst in ein Wohngebiet kommen.“
Lillian setzte den Blinker und bog rechts ab. Ihr war aufgefallen, dass ihnen bisher noch kein einziges Auto entgegengekommen war.
„Wahrscheinlich sind alle bereits auf der Beerdigung“, schlussfolgerte sie. Der Sprinter rollte die Straße entlang und passierte ein kleines Kino, dessen Werbeparole die nächsten Attraktionen ankündigte:
DEMNÄCHST
Ghostbusters
&
Ghostbusters II
„Das lob ich mir“, sagte Frank, „hier laufen noch die wirklich guten Filme.“
„Das Kino wird bestimmt von einem Filmliebhaber betrieben. Wer zahlt denn noch Geld, um Jahrzehnte alte Filme zu sehen?“
„Lilly ...“, setzte Frank an und stockte vor Begeisterung.
„Was denn?“
„Da hinten ist ein Asiate. Wir können lecker essen gehen und später Ghostbusters auf der großen Leinwand anschauen. An einem Abend.“ Frank starrte mit einer kindischen Begeisterung auf das Restaurant, das zwischen dem Kino und einer Bank aufragte. Hinter dem roten Schriftzug, der „Suchoong’s“ buchstabierte, war noch der Name des Vorbesitzers zu erkennen.
„Spencers finest“, las Lillian vor. „Scheint wohl nicht immer ein Asiate gewesen zu sein.“
„Bis das Schicksal eingegriffen hat und diesen Irrtum korrigierte. Was meinst du? Heute Abend Ghostbusters und gebratenen Reis?“
Lillian nickte. „Weißt du was, Frank, ich glaube, uns wird es hier gut gehen. Vielleicht hatte deine Oma einen Anteil an dem Blumenladen, und vielleicht hat sie ihn dir sogar vermacht.“
„Möglich“, sagte Frank, „es wäre eine tolle Sache, so einen Laden nach meinen Vorstellungen zu gestalten.“
„Jetzt müssen wir erst mal zur Beerdigung. Mensch, schau dir das an.“ Lillian hielt den Wagen an und kam vor einer Abbiegung zum Stehen. Vor ihnen stand eine Gärtnerei.
„Die ist ja riesig“, beobachtete Frank.
Sechs lange Gewächshäuser lagen direkt nebeneinander. Im Inneren waren bunte Blumen und Grünzeug zu erkennen. Eine automatische Sprinkleranlage goss gerade in einem der Gewächshäuser die Blumen, während an einem anderen das Sonnendach aufging.
Frank war beeindruckt. „Scheint voll automatisiert zu sein. So was ist ganz schön kostspielig. Würde mich nicht wundern, wenn hier für den Großmarkt angebaut wird. Jedes einzelne dieser Gewächshäuser muss über hundert Meter lang sein. Beeindruckend.“
Frank starrte wie gefesselt auf die vorbeiziehende Gärtnerei, während Lillian schon wieder etwas Neues entdeckt hatte.
„Siehst du das auch? Ist das eine goldene Statue?“, sagte sie und bog nach links Richtung Stadtzentrum ab. Ein großer Kreisverkehr führte um einen prunkvollen Brunnen herum. Das Stadtzentrum an sich war eher mau, es bestand aus dem Rathaus und einer goldenen Statue, die die Stadtverwaltung um mehrere Meter überragte. Lillian hielt vor der Statue an, zog den Schlüssel ab und stieg aus. Frank folgte ihr.
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