Frank wollte nur noch einen kurzen Blick in den Briefkasten werfen und es sich dann mit seiner Liebsten gemütlich machen. Müde steckte er den Briefkastenschlüssel in das Schloss und drehte ihn um.
Keine Rechnungen, bitte keine Rechnungen, hoffte Frank und entnahm einen Stapel Post. Eifrig durchsuchte er den kleinen Papierberg und verschaffte sich dabei mit seinem Smartphone Licht.
Werbung, noch mehr Werbung. Rechnungen ...
Frank seufzte entrüstet. Noch mehr unbezahlte Forderungen, denen sie nicht nachkommen konnten. Er blätterte weiter und fand etwas, das in ihm gute Laune aufkommen ließ.
Die monatliche Ausgabe von Blumenliebe! Hey, das war ja immerhin etwas.
Er schlug die Zeitschrift auf. Zwei Briefe fielen ihm entgegen und landeten unbeachtet auf dem Boden. Er überflog das Inhaltsverzeichnis nach seinem Artikel und blätterte rasch zu Seite 25. Da war er, sein Artikel! Mit sich und der Welt zufrieden grapschte er die beiden Briefe vom Boden, nahm sie zusammen mit der Werbung unter den Arm und huschte alle vierundachtzig knarzenden Stufen hinauf in seine Wohnung, um die großartige Nachricht zu überbringen.
Die Veröffentlichung war genau das, was er jetzt brauchte. Sie gab ihm neue Energie und spornte ihn an, wie es nur eine gute Nachricht konnte, auf die man schon zu lange gewartet hatte. Ein neuer Artikel bedeutete Geld, und zumindest für einen Moment fühlte er sich von der Fachwelt ernst genommen.
Oben angekommen blieb er vor einer nur allzu vertrauten Haustür stehen. Er steckte die Post in seine Jackentasche und blickte an sich hinab. Er trug dieselben Klamotten wie immer. Frank hielt nicht viel von Mode und wollte schon gar nicht jeden Morgen Zeit damit verschwenden, darüber nachzugrübeln, was er anziehen sollte. Er besaß genau drei Outfits und heute trug er seine normale Arbeitskleidung: Schwarze Schuhe mit einer blauen Jeans, einem Hemd, über das ein Pulli gestreift war, und weil ihm danach war, eine Fliege, die ihm das Gefühl gab, wie ein echter Wissenschaftler auszusehen. Ungewöhnlich für einen jungen Menschen seines Schlages, aber dafür umso gepflegter.
Er rückte seine Fliege zurecht und klopfte dreimal laut gegen die Holztür.
Im Inneren der Wohnung war ein Quietschen zu hören. Ein Stuhl wurde zurückgeschoben und jemand stand auf. Das dumpfe Trampeln von Füßen in Socken war zu hören. Jemand kam näher und blieb dann stehen. Die Tür öffnete sich einen Spalt und ein blinzelndes stahlblaues Auge schaute zu Frank auf.
„Ja?“, fragte das stahlblaue Auge.
Frank drückte die Tür nach innen auf. Die Frau im Inneren leistete keinerlei Widerstand und machte sogar noch einen Schritt zurück, um es ihm leichter zu machen. Frank machte einen Schritt nach vorne und stand direkt im Türrahmen.
Die Frau war ein wenig kleiner als er und alles an ihr strahlte eine Gemütlichkeit aus, die Frank gerne mit einem Geborgenheitsgefühl verband. Sie trug ein paar graue Jogginghoses und ein rotes Tanktop. Und mit ihrer blonden Bobfrisur sah sie richtig süß aus.
„Ich hab dir was mitgebracht, Lilly.“
„Oh, was ist es denn? Wird es mir gefallen?“, antwortete sie mit übertrieben gespielter Neugier.
Er machte noch einen Schritt auf sie zu und stand nun direkt vor ihr.
„Es ist wichtig, dass du es sofort bekommst“, säuselte Frank und legte einen Arm um ihre Hüfte.
Sie rollte mit den Augen und Frank küsste sie auf den Mund. Dann hob er sie von den Füßen hoch. Seine Hände wanderten hinab zu ihrem Po und fanden Halt.
„Huch“, entfuhr es ihr kichernd, als sie in die Höhe schwebte.
„Jetzt hab ich dich.“
„Das hast du“, sagte sie und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Wo warst du so lange?“
„Ich war alleine im Laden, Melly wollte heute früher weg. Sie hatte ein Date.“
„Ein Date?“
„Ein Date!“
„Na, dann wünsche ich Melly viel Glück, denn meinen Franky kann sie nicht haben.“
Diesmal küsste sie ihn und tastete dabei mit ihrer Zunge nach seiner.
„Ich ...“, setzte Frank an.
„Bin noch nicht fertig“, würgte sie ihn ab und setzte den Zungenkuss fort. Nach einer Minute gab sie sich zufrieden.
„Nun?“ sagte sie und schmatzte mit ihren Lippen. „Was willst du so Dringendes loswerden?“.
„Wäre es dir recht, wenn wir das Geknutschte auf das Sofa verlegen?“
„Standortwechsel genehmigt. Ab zum Sofa.“
Voller Vorfreude streifte Frank seine Schuhe von den Füßen und lief schwankend mit Lillian in den Armen hinüber zu ihrem durchgesessenen Sofa.
„Soll ich dich absetzen?“
„Nö, ich will bleiben, wo ich bin.“
Mit Lillian auf seinem Schoß ließ sich Frank in das alte, aber bequeme Sofa fallen. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und lehnte sich zurück.
„Erzähl mir was Tolles, ich hab den ganzen Tag diese blöden Holzhütten entworfen. Heute Hütten, gestern ein Parkhaus. So habe ich mir das als Architektin nicht vorgestellt. Ich will ein Zuhause entwerfen und nicht immer diesen Krempel. Mir ist so langweilig, wenn du noch später nach Hause gekommen wärst, würde ich jetzt schlafend auf meinem Zeichen-Tablet hängen.“ Sie seufzte und er spürte ihren warmen Atem in seinem Gesicht.
Sie war sein Ein und Alles. In einer Welt, in der seine Karriere als Biologe stagnierte und er in einem Blumenladen versauerte, war Lillian für jeden Funken Glück verantwortlich, der täglich in ihm aufkam. Und dieses Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit. Auch für Lillian hätten die Dinge inzwischen besser stehen sollen, aber immerhin hatte sie Frank.
Und Frank hatte Lillian.
„Lilly, schau her.“
„Was denn?“, fragte sie, ohne aufzuschauen.
„Mein Artikel, sie haben ihn veröffentlicht. Ungekürzt, soweit ich das beurteilen kann.“ Eine ordentliche Prise Stolz lag in seiner Stimme, als er die Zeitschrift aus seiner Jackentasche zog.
„Tatsächlich?“, sagte sie und hob ihren Kopf. „Lass mal sehen. Die Chamäleon-Blumen von Frank Wilkee“, las sie vor. „Bravo. Das ist schon dein dritter Artikel, so langsam kann ich dich schon fast ernst nehmen“, sagte Lillian liebevoll, stieg von seinem Schoß und setzte sich neben ihn.
Nichts konnte den neugierigen Wissenschaftler in Frank jetzt noch aufhalten. „Stell dir nur vor, Blumen, die in allen Farben blühen und dabei ihre Kelchfarbe verändern, abhängig von Wetter, Wind und Sonnenschein. Vielleicht kann ich heute Abend schon anfangen, mithilfe des Artikels neue Kontakte zu knüpfen. Die Veröffentlichung ist wie eine Legitimation meiner Arbeit. Aber zuerst ...“, sagte er, stand auf und stellte sich direkt hinter Lillian.
„Essen wir zwei etwas.“
Wie auf Autopilot drehte Lillian den Kopf nach hinten und ließ sich von Frank auf den Mund küssen. Dabei ging sie die Post durch.
„Hm, Hm“, machte sie und unterbrach damit den leidenschaftlichen Kuss.
„Ja?“, fragte Frank. „Gibt es einen Wunsch, der deine süßen Lippen in Anspruch nimmt? Wenn ja, raus damit!“, sagte er und küsste sie sanft.
„Du hast einen Brief von einem Anwalt bekommen ...“
Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand versuchte, Frank rechtlich an den Kragen zu gehen. Wie viele große Forscher war auch Frank in der Lage, mit seinen Entdeckungen großen Konzernen die Kundschaft wegzunehmen. Und damit den Umsatz zu schmälern. Auch wenn die Entdeckung noch so groß war, für jeden, der vorhatte viel Geld zu verdienen, gab es jemanden, der drohte, genau dieses Geld einzubüßen.
Vorsichtig öffnete er den Brief und fuhr mit einem hastigen Blick die Zeilen entlang.
„Mach dir keine Gedanken“, ermutigte ihn Lillian. „Selbst wenn man dich für schuldig befindet und in den Knast steckt. Ich komm dich besuchen. Vielleicht darf ich ja sogar deine Zelle entwerfen. Dann bekommst du ein extra großes Fenster zum Rausgucken. Ich werde uns mal ein paar Toastbrote machen. Diese Architektin braucht jetzt was zu futtern“, verkündete Lillian, fuhr sich durch die Haare und tappte gähnend Richtung Küche davon.
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