1 ...6 7 8 10 11 12 ...36 „Ich ihm verzeihen?“ rief ich fassungslos. „Ich werde ihn totschlagen, wenn ich ihn sehe oder zumindest vor Gericht bringen. Der König soll erfahren, was Anthes für ein Schwein ist.“
„Das mit dem Totschlagen wird er zu verhindern wissen. Und falls du die Geschichte vor das Gericht des Königs zerrst, dann werden wir es unterbinden. Wir werden aussagen, dass du schon immer seltsam warst und nun, durch den Unfall deiner Braut, total den Verstand verloren hast. Es war ein Unfall, das ist unsere Geschichte. Was meinst du, wem man glauben wird? Unserem Vater Anthes, dem Hauptmann des Parmenion, oder dem Kröterich? Wir können keinen Skandal gebrauchen, der einen Schatten auf unsere Ehre wirft. Schließlich will ich zu den Gefährten des Königs.“
Sie hatten sich also verschworen, und selbst Eurydike spielte mit, obwohl ihr eigener Mann ihre Nichte ermordet worden war. Es war eine verdorbene korrupte Gesellschaft, die nur auf sich selbst bezogen lebte, ihren eigenen Begierden und Leidenschaften ausgeliefert. Sie taten so, als wenn ich infolge des Leids über den Tod meiner Braut verrückt geworden wäre und sperrten mich ein und gaben an, dass Andromache bei einem Spaziergang im unwegsamen Feld zu Tode gekommen sei. Das war die offizielle Erklärung des Clanchefs Anthes und niemand kam auf die Idee, dies nachzuprüfen. Jeder auf unserem Berg kannte die Wahrheit, aber alle schwiegen, weil sie den Alten fürchteten und er noch unleidlicher und böser und härter geworden war, so dass sogar Eurydike vor ihm Angst bekam.
Schließlich sah ich ein, dass mich meine Weigerung, die Realität anzuerkennen, nämlich, dass der Vater mir einstweilig über war, nicht weiter brachte, und ich tat so, als wenn ich mich in mein Schicksal fügte und schließlich ließ man mich aus der Kammer und alle taten so, als wenn es mich nicht gäbe, von Phokis und Andreos, dem Koch, abgesehen. Mein Vater blickte weg, wenn er mich sah und mir war dies nur recht. Ich hielt mich so wenig wie möglich auf dem Berg auf und hütete die Schafe und Ziegen. In dieser Zeit waren Spitames und Phokis wie Brüder zu mir. Phokis versuchte mich mit seinen Schnurren auf andere Gedanken zu bringen und Spitames kletterte mit mir durchs Gebirge. Wir hatten großes Jagdglück und erlegten einige Sauen und einen Berglöwen und der Wolfstöter sagte immer wieder, dass er so ein Jagdglück noch nie erlebt habe. Sicher würden die Götter an mir etwas gutmachen. Ich hatte auch das Gefühl, dass mir Apollon wieder sehr nahe war und ich beklagte mich bei ihm und schalt ihn einen Treulosen. Aber antworten tat er mir noch nicht. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen. Aber ich kann bestätigen, dass er sich mächtig anstrengte mich zu beschwichtigen. Aber die erste Liebe in der unwiederbringlich entschwundenen Jugend habe ich nie vergessen. Ich habe mit Andromache nie die Lust erlebt, nie ihren Schrei gehört, nie den Schweiß der Liebe gerochen. Doch war diese Liebe deswegen weniger groß und schön und einmalig? Aber wie gesagt: Apollon gab sich Mühe und warf sich so ins Zeug und ich kam einen Schritt dem näher, was Apoll vorausgesagt hatte. Der Ratschluss der Götter hatte diesmal wohl gelautet, dass nicht jede große Liebe ein gutes Ende haben muss. So bekam ich die ersten Zweifel, ob ich mich auf die Götter verlassen konnte.
4.
Ich spürte die Hand auf meiner Schulter. Es war nur eine flüchtige Berührung, als hätte mich der Flügel eines Vogels gestreift. Ich war sofort wach. Spitames nickte mir auffordernd zu. Seine Augen glitzerten wie bei einem Jungen, der zum ersten Mal am Fest des Dionysos teilnehmen durfte. Ich liebte diesen Mann wie einen Vater. Die Knechte meines leiblichen Vaters warfen Steine nach ihm. Er war ein Außenseiter wie ich und wir mochten uns von Anfang an und er hatte mir alles beigebracht, um ein Jäger zu sein und mit meiner Behinderung zurecht zu kommen. Ihm verdanke ich auch mein Wissen darüber, wie man Pferde zu Gefährten macht und mit ihrer Seele zurecht kommt. Er wohnte zwar in einer verwahrlosten Hütte, aber die Felle von Wölfen und Bären brachten ihm doch so viel ein, da er sich zwei Pferde halten konnte. Es waren gute Pferde und Spitames lehrte mich die Sprache der Tiere und wie man selbst aus dem elendsten Klepper das heraus bekam, was in ihm steckte. Natürlich konnte er mir nicht die Mutter ersetzen und auch nicht einen liebenden Vater, aber geliebt hat er mich schon auf seine Weise. Er sagte dies nie. Meistens knurrte er nur mit mir, aber seine kurzen bellenden oder gebrummten Kommentare schufen die Basis dafür, dass ich später mit Alexanders Gefährten reiten konnte.
An diesem Morgen ging es ihm darum, mich aus meinem Gefängnis zu befreien, den Schmerz und die trüben Gedanken zu verscheuchen, die mich wie in einer dunklen Kammer gefangen hielten. Er murmelte, dass er nun wisse, wie man dem Kyros beikommen könne. Also erhob ich mich von meinem Lager und trat aus meinem Unterstand auf dem Berggipfel, der unserer Burg gegenüber lag, die nur als Schemen herüber drohte. Die Hunde umkreisten bereits die grasenden Ziegen, wachsam, wie ich es ihnen beigebracht hatte. Sie waren schwieriger zusammen zu halten als die Schafe, die wir beim Erdbeben verloren und noch nicht ersetzt hatten. Es war ein kalter Morgen und Nebel hing noch in den Tälern und ein Wind kam von Osten. Es würde am Nachmittag regnen, genau so wie an den vorangegangenen Tagen. Spitames hatte nun auch Phokis aus den Fellen bekommen und dieser ging hinter die Hütte, um seine Notdurft zu verrichten. Ich wusch mich an der Quelle und das Wasser war kalt und erfrischend und verscheuchte sofort die Müdigkeit. Phokis erschien wieder und machte ein Gesicht, als habe er gerade den großen Pan getroffen oder zumindest eine Quellennymphe. Jedenfalls sah er so aus, als sei etwas passiert.
„Hast du die Hunde gesehen?“
„Ja. Warum? Sie passen schon auf. Sie wissen, wie weit die Ziegen grasen dürfen.“
„Nein, nicht unsere Hunde. Die hinter der Hütte, die Spitames angeschleppt hat.“
Ich schüttelte den Kopf und folgte ihm hinter unsere Behausung. Dort war ein ganzes Rudel angebunden und guckte dumm drein und war still. Hunde, die nicht bellen, sind schon seltsam genug. Aber diese waren so groß wie Kälber und pechschwarz und hatten gelassene stumpfe Augen. Unheimliche Viecher, die sich für den Eingang des Hades geeignet hätten.
„Sie bellen nicht!“ sagte Phokis kopfschüttelnd und kraulte seinen schwarzen Bart. „Weiß der Dionysos, wo er die her hat.“
Ich konnte mir auch keinen Reim darauf machen und ging ins Haus zurück und nahm meinen Speer und den thrakischen Bogen und das lange Messer, das mir Spitames geschenkt hatte und ging zur Feuerstelle, wo dieser bereits hockte und den mit Wasser verdünnten Wein in einem Kessel über die Flammen hielt. Wir aßen Brot, Feigen und kaltes Fleisch. Der heiße Wein wärmte den Magen. Ich fragte ihn nicht, was es mit den Hunden auf sich habe. Er würde es mir beizeiten erklären. Spitames löschte sorgfältig das Feuer und wir gingen zu den Hunden.
„Molosser!“ brummte er als Erklärung und gab ihnen Wasser zu trinken und den Rest von unserem Fleisch. Die Bestien schnappten danach, als wären sie seit Tagen nicht gefüttert worden und ihre Zähne waren lang genug, um sich vorzustellen, was sie anrichteten, wenn sie sich einen Menschen vornahmen. Es waren die Kampfhunde der Molosser und man tat gut daran, ein scharfes Schwert bei sich zu haben, wenn man ihnen begegnete. Einer dieser Hunde war schon schlimm genug, aber hier standen sechs dieser Prachtexemplare, einer hässlicher als der andere, mit triefenden Lefzen. Sie waren festgebunden, aber ich traute diesem Umstand nicht. Spitames klopfte ihnen knurrend auf die Köpfe und sie ließen es sich gefallen und verhielten sich so zahm wie Schoßhunde.
„Wo hast du die Viecher her?“
„Gewonnen! Beim Menandos war ein Molosserhäuptling, der groß angab, was er für ein Bogenschütze sei. Er war nicht mal halb so gut wie du.“
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