„Ein König. Ein Kyros!“ rief der Alte.
Weiß der Dionysos, wie Spitames auf den Namen des großen Perserkönigs kam. Aber diesen königlichen Namen trug unser Bär mit Recht. Wie ein Berg stand er vor uns und seine Tatzen teilten die Luft. Ich nahm den thrakischen Bogen und ließ einen Pfeil schwirren und traf ihn mitten in die Brust, was ihm aber nur ein ärgerliches Brummen abnötigte. Er schlug mit der Tatze den Pfeil ab.
„Mit Pfeil und Bogen kriegen wir den nicht. Da müssen wir schon mit etwas härterem kommen!“ schrie Spitames und wir stellten unsere Speere auf. Langsam kam Kyros auf uns zu und ich hatte Mühe, meine Angst zu bezwingen und wäre am liebsten davongelaufen.
Als er bis auf wenige Schritte heran war, warf Spitames seinen Speer und er traf ihn gut und ich tat es ihm nach und traf den Bär auch unterhalb der Brust und jetzt hätte er sich eigentlich hinlegen oder wenigstens davonlaufen müssen. Aber er tappte brüllend auf uns zu und wir nahmen die Beine in die Hand und rannten aus dem Wasser heraus und am Ufer entlang und er folgte uns und kam näher und näher und sicher hätte er uns eingeholt, wenn vor uns nicht der Wasserfall aufgetaucht wäre und wir uns nicht in die Höhle dahinter geflüchtet hätten. Mein guter Spitames kannte jede Zuflucht in diesen Bergen. Wir hörten Kyros hinter dem Wasserfall brüllen. Er wartete eine ganze Weile und wir hörten ihn missvergnügt im Wasser plantschen. Schließlich war er es leid und verdrückte sich. Das war unsere erste Begegnung mit Kyros.
Bald war die ganze Gegend erfüllt mit Geschichten über den König der Bären und die Bauern beklagten gerissene Schafe und Ziegen. Fast jeder Clanchef, auch mein Vater, ging in die Berge, um ihn zu jagen. Es gab wohl keinen Mann von Adel und Anstand, der nicht erzählte, dass er ihm begegnet sei. Doch erlegen konnte ihn keiner. Kyros wurde in ganz Makedonien berühmt und vielleicht waren es die immer wilder werdenden Geschichten über seine Größe und Tapferkeit, die schließlich den Thronfolger in unsere Gegend führten. Doch bevor sich mein Name mit dem des Kyros verband, geschah etwas, das mein Leben veränderte und mir die Todesverachtung eingab, um dem Kyros ein todbringender Feind zu sein.
Weil eines unserer Pferde gefohlt hatte, machte ich mich etwas verspätet zu meinem Treffen mit Andromache im Hain an der Straße nach Pella auf. Der Morgenstern funkelte nur noch blass, als ich den Berg hinunter hinkte. Als ich Flüche vor mir hörte, ahnte ich schon Schlimmes und jagte den Berg hinunter, stürzte mehr voran als dass ich lief. Als ich die schützende Hecke teilte, sah ich einen gebeugten Rücken und einen Körper mit stoßenden Bewegungen und unter ihm um sich schlagende Arme. Ich stürzte mich auf den keuchenden Mann, zerrte ihn von Andromache herunter und erkannte nun, dass der Mann, der meiner Braut Gewalt antat, der war, der mich erzeugt hatte.
„Hau ab, Kröterich, verzieh dich!“ brüllte er.
„Was tust du da, Vater!?“
Sein Gesicht war wild und seine Augen blutunterlaufen und ich roch seinen Atem. Er war betrunken. Verächtlich wehrte er mich ab, sah in mir noch nicht einmal ein Hindernis, in seinem Tun fortzufahren. Ich warf mich wieder auf ihn und er schleuderte mich beiseite. Ich fiel zu Boden und ergriff einen Stein und sprang auf und schlug ihn meinem Vater, der sich wieder Andromache zugewandt hatte, auf den Schädel. Er drehte sich knurrend um und schlug mich erneut zu Boden. Andromache war nun aufgesprungen und hatte sich auf seinen Rücken geworfen und trommelte stumm mit ihren Fäusten auf seinen bereits blutenden Kopf. Dies und die Trunkenheit und die Kopfwunde, die ich ihm bereits beigebracht hatte, ließen ihn noch fürchterlicher rasen. Er zog sein Messer, um uns einzuschüchtern. Als Andromache stumm und doch entschlossen, mich über seinen Rücken dabei ansehend, ihm das Gesicht zerkratzte, stach er nach hinten und traf ihre Kehle und sie fiel zu Boden. Sie hatte ihren Hass und ihre Not nicht herausschreien können. Aber nun würde sie mich auch nie wieder liebevoll ansehen. Ich wusste sofort, dass sie tot war.
„Das wollte ich nicht. Was hat denn die Kleine?“ brabbelte mein Vater, begriff immer noch nicht, was geschehen war. Ich nahm den Stein erneut auf und schlug ihn auf seinen Kopf und er, mein Vater, krachte zu Boden. Ich sah nicht nach ihm, sondern stürzte mich auf Andromache und nahm sie in die Arme und schrie, schrie meine Klage zum Himmel und fragte, wo Apollon, der mir doch Schutz versprochen hatte, gewesen war. Meine Braut war tot und ihr Mörder war mein Vater und ich sank auf die Knie und streichelte ihr Gesicht und meine Tränen fielen auf ihre Stirn.
Mein Vater erhob sich mühsam, taumelte auf mich zu und ich nahm den Stein erneut auf und schlug auf ihn ein, bis ich ihn tot wähnte. Ich empfand nur heißen Hass und indem ich ihn schlug, tauchten all die Bilder auf, die in mir waren, entsetzliche Bilder, wie er meine Mutter schlug, wie er mich zwang, von einem Misthaufen die siebenschwänzige Sklavenpeitsche zu holen, die ich ihm gestohlen und darin versteckt hatte und mit der er mich immer schlug. Immer wieder Schläge, Schläge und verachtungsvolle Worte. Hass war zwischen uns so lange ich denken kann.
Mir liefen, während ich ihn schlug, Tränen aus den Augen, aber nicht seinetwegen, dem Alp, dessen Sohn ich war, sondern wegen meiner Andromache. Schluchzend nahm ich sie auf und trug sie den Berg hoch und die Knechte kamen aus den Stallungen. Auch Eurydike kam und sie schrie und wollte mich schlagen und ich keuchte ihr ins Gesicht, dass dies nicht mein Werk, sondern das ihres Mannes war. Dies ließ sie jammernd die Arme heben und „Schande“ rufen. Antiochios, mein Bruder, lachte hämisch und nannte den Vater einen alten Bock.
„Du hättest ihm nicht dein Bett verweigern sollen, Eurydike!“
„Was ist mit dem Mistkerl?“ fragte meine Stiefmutter.
„Er ist tot!“ antwortete ich. „Aber das macht sie mir nicht wieder lebendig. Ich habe ihn totgeschlagen.“
„Vatermörder!“ kreischte Eurydike.
„Ja. Vatermörder.“
Ich sah auf Andromaches schönes Gesicht, auf die gebrochenen Augen, das zarte Oval des Kopfes, das von blonden Locken umrahmt war. Man nahm sie mir aus den Armen. Plötzlich hörte ich Schritte und das Keuchen, das ich so gut kannte und ich drehte mich um. Der Alp taumelte in den Burghof. Mit blutüberströmtem Gesicht wankte er heran. Ich hatte ihn nicht getötet. Aber das tröstete mich nicht.
Ich stürzte ihm entgegen und schrie: „Mörder! Verfluchter Mörder! Apollon und alle Götter sollen dich strafen!“
Ich wollte erneut auf ihn einschlagen, doch Antiochios und die Diener hielten mich zurück und ich tobte in ihren Armen, bis meine Kräfte erlahmten. Sie zerrten mich aus dem Hof in das Haus und banden mich in meiner Kammer am Bett fest und flößten mir Wein ein, bis ich das Bewusstsein verlor.
Als ich wieder zu mir kam und an meinen Fesseln zerrte und meinen Hass hinaus schrie, kam Antiochios wieder und flößte mir neuen Wein ein, bis ich wieder in die gnädige Dunkelheit versank. Aber hier kam mir kein Apollon zu Hilfe, kein Achilleus rätselte über mein Schicksal und Heraklit redete nicht dunkel daher. Als ich erneut zu mir kam, sah ich in Antiochios’ grinsendes Gesicht.
„Na, bist du wieder zurück?“
„Ich werde ihn töten!“
„Er ist immerhin unser Vater. Wir verdanken ihm unser Leben!“ versuchte er mich zu beruhigen.
„Er hat sie geschändet und ermordet. Er ist ein Vieh, ein Ungeheuer!“
„Das will ich nicht abstreiten“, sagte Antiochios lachend. „Das ist er zweifellos. Aber du hast ihm fast den Schädel eingeschlagen und er hat ein Auge verloren und sieht nun aus wie unser großer König Philipp. Das wenigstens trägt er dir nicht nach. Er ist sogar ein wenig stolz darauf, dass er jetzt wie der König als Einäugiger durch die Gegend laufen muss. Vater ist bereit dir zu verzeihen, wenn du endlich Ruhe gibst. Und im Übrigen hat ihm Eurydike gehörig den Kopf gewaschen. Sie muss schließlich ihrem Bruder eine halbwegs vernünftige Lüge anbieten, wie deine Braut zu Tode gekommen ist.“
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