Sie erzählten uns, dass nicht weit weg ein anderer Freak lebte, Daniel, der mehrere Pferde der Castilloner Rasse besaß, mit denen er Transporte unternahm. Nach dieser Kostprobe mussten sie wieder ins Heu und wir machten uns auf den Rückweg, denn zum Abend mussten unsere Kühe gemolken werden. Hoffentlich waren sie noch da!
Die Gendarmen mochten uns anscheinend gerne, denn sie hatten uns wieder einen Besuch abgestattet! Nur mal so, da sie gerade in der Gegend waren… Natürlich hatten wir die Aufenthaltsgenehmigung nicht, nach der sie fragten. Und das wussten sie genau! Klar, wir hatten diese bei der Präfektur in Foix beantragt. Aber Behörden arbeiten auch in Frankreich langsam. Sie brauchen Zeit. Sie leben von der Verzögerung. Das gibt ihnen die Existenzberechtigung. Gut, wir waren schon über drei Monate hier. Aber zwischendrin waren wir in Spanien gewesen, also aus- und wieder eingereist. Wie die sich das vorstellten! Wenn das so weitergeht, müssen wir eine Wanderherde aufbauen und mit ihr alle drei Monate über die Grenze gehen!
Auch hatte eine andere Behörde, die DDA, uns eine Vorladung zu einem Gespräch geschickt, die Direction Departementale de l’Agriculture. Weiterhin hatte die MSA, die Mutualité Sociale Agricole, also die Bauernkrankenkasse Neuigkeiten für uns. Ich fuhr alleine hin, denn was sollte die ganze Familie mit mir durch die Behörden hetzen? Und jemand musste nach den Tieren schauen!
Zuerst begab ich mich zur Präfektur. Ein Pförtner, der den Schlagbaum des kleinen Parkplatzes öffnete, bewachte das Gebäude. Da Behörden im Gegensatz zu Bauern spät anfangen, war ich zu früh da und musste warten. Dadurch aber war ich der erste, der drankam. Zum Glück war es kein Montag, und der Empfang war freundlich. Man gab mir eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate. Bis dahin müsste die endgültige fertig sein!
Bei der Bauernkasse hingegen glich das Ergebnis einer kalten Dusche. Man teilte mir mit, dass wir nicht als Bauern anerkannt werden konnten, weil nicht die Fläche des Hofes, sondern dessen ‚Katastereinkommen‘, der ‚Revenue Cadastral‘ zählte. Das waren 95 Francs und wir bräuchten mindestens 120! Also Land pachten oder dazukaufen oder mir eine Arbeit suchen und somit bei einer anderen Kasse versichert zu sein! Das hieß, dass wir weiterhin keine Krankenkassendeckung hatten und weiterhin keinen Anspruch auf Kindergeld.
Es war noch nicht Mittag, genügend Zeit, um im Landwirtschaftsamt reinzuschauen, das nicht weit von der Kasse entfernt lag. Ich erwartete eigentlich nichts. Nachdem ich in zwei falschen Büros gelandet war, führte man mich in das richtige. Es saßen da ein paar junge Berater, erzählten sich Witze und tranken einen Kaffee. Man bot auch mir einen an und fragte nach dem Problem. Ich suchte die Korrespondenz der Krankenkasse raus, die Eigentumsurkunden, und erklärte die Lage. Sie besaßen Mikrofilme mit Auszügen vom Katasteramt und von den früheren Eigentümern. Sie gingen alles durch. Und dabei fanden sie heraus, dass die Unterlagen der Kasse seit über zehn Jahren nicht dem neuesten Stand des Katasteramtes angeglichen worden waren. Vielleicht, weil unser Anwesen seit langem als unbenutzt geführt wurde, wohl, weil die Eigentümer Gebühren sparen wollten. Und nach dem neuesten Stand hatte unser Land einen ‚Revenue Cadastral‘ von 124 Francs, also mehr als das Minimum! Sie sicherten mir zu, sich darum zu kümmern, in ein paar Tagen könnte das geregelt sein! Notfalls könnte man durch Hinzufügen einer ‚Spezialkultur‘, wie Bienenvölker oder Holzverkauf etwas ‚arrangieren‘! Ich atmete auf. Ich konnte mir nicht vorstellen, in solchen Büros zu arbeiten, ohne morose zu werden oder zu einem Paragraphenreiter wie die in der MSA. Hier kümmerte man sich und tat alles, um einem zu helfen!
Es blieb noch der Gang zur DDA, dem Amt, das hauptsächlich für die Zuschüsse zuständig war. „Zuschüsse – was sollen denn die? Ich will von meiner Hände Arbeit leben!“ Doch mein Gegenüber, ein älterer Mann, sicher nicht mehr weit von der Rente, war anderer Meinung. „Sind sie auf dem Laufenden, was den Milchpreis betrifft, oder den Fleischpreis, vor allem den für Lämmer? Leider kann ein Bauer davon, vor allem hier in den Bergen, wo die Arbeit meist nicht von Maschinen gemacht werden kann, niemals leben! Und kennen sie die Preise für einen Bergtraktor? Das Dreifache eines normalen! Nehmen sie die Zuschüsse mit ruhigem Gewissen, und so viel wie möglich!“, riet er mir. Er studierte eine Weile meine Unterlagen. Als er mein Gärtnerdiplom sah, wurde er stutzig und telefonierte mit jemandem. Dann teilte er mir mit, dass es dem französischen BPA entsprach, und ich Anspruch auf die Installationsprämie für Jungbauern hätte, 45 000 Francs, da ich noch jünger als 35 Jahre war. „Das ist bestimmt mit irgendwelchen Auflagen verbunden, und ich möchte auf meinem Hof frei handeln können!“, warf ich ein. „Ich kann ihnen die Adressen mehrerer Jungbauern in ihrer Nähe geben. Schauen sie bei denen rein, sagen sie, ich habe sie geschickt. Die werden bestätigen, dass sie weiterhin freie Hand haben! Die einzige Auflage, die sie haben, ist das Abführen der TVA, der Umsatzsteuer für ihre Verkäufe.“ Ich wollte wissen, was das genau bedeutete, war die MWSt doch auch kürzlich in Deutschland eingeführt worden. Und die hatte alles teurer gemacht. „Das ist einfach: Egal, was auch immer man kauft, man zahlt darauf eine Steuer. Die beträgt in Frankreich 16,8%. Wenn sie eine Motorsense für 1000 Francs kaufen, haben sie darauf 144 Francs Steuern bezahlt. Die sind weg. Wären sie der TVA angeschlossen, würden sie diese Summe wieder zurückbekommen.“ Ich wollte es nicht glauben. „Der Staat gibt nichts! Der nimmt doch nur!“, warf ich ein. „Natürlich müssen sie dafür auf ihre Verkäufe auch eine Steuer abführen. Doch ist diese auf landwirtschaftlichen Produkten 5,5%. Es bleiben ihnen also rund 90 Francs!“, erklärte er. „Das muss ich mir nochmal durch den Kopf gehen lassen! Und außerdem braucht man dazu bestimmt irgendeine Buchführung. Denn ohne Kontrolle wird das doch nicht gehen!“ „Bald werden alle Betriebe buchführungspflichtig sein!“, meinte er. „Die ersten 5 Jahre müssen sie das von einer anerkannten Organisation machen lassen. Es gibt da die CEGERA, die sich um die Bauern kümmert, nachher können sie die Buchhaltung auch selber machen.“ „Die machen das doch nicht umsonst!“, zweifelte ich. „Je nach Anzahl der ‚Zeilen‘ kostet das von 6000 bis 10000 Francs im Jahr.“ „Ne schöne Summe!“, erwiderte ich. „Die ersten 5 Jahre bekommen sie dafür einen Zuschuss. Es kostet sie also wenig. Und nach 5 Jahren machen sie die Buchführung selber…“ Mir schwirrte der Kopf. All diese Abkürzungen, die ich heute schon gehört hatte… Doch er war noch nicht am Ende: Ihr Hof liegt in der ‚zone montagne‘, das heißt, sie haben Anspruch auf die ISM, die ‚Indemnitée Special Montagne‘. Diese richtet sich nach der Hektarzahl und der Art der Kulturen auf dem Land. Und sie haben Kühe? Wenn sie die Milch nicht an eine Molkerei liefern, können sie die ‚Prime Vache Allaitante‘ bekommen. Sie haben den Hof im Januar gekauft. Ich bin sicher, dass sie für dieses Jahr noch diese Prämien bekommen können, zumindest aber ab dem 1. April, dem Beginn des neuen Landwirtschafts-Jahres!“
Darüber war der Nachmittag vergangen. Er erzählte mir, dass er dabei sei, im Tal von Riberot eine Scheune herzurichten. Schwarz natürlich, denn eine Baugenehmigung bekomme er dafür nie! Wenn ich mal Arbeit bräuchte, also genauer gesagt Geld, könnte ich für ihn dort schaffen! Doch im Augenblick hatte ich genügend Arbeit und das Heu war auch noch nicht fertig… Anschließend ging ich in einen Laden du kaufte ein paar Orangen für die Kinder, um ihnen eine Freude zu machen. Ich stellte die Tüte hinten in den Laderaum. Dann machte ich mich auf den Rückweg.
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