Für Majid im Iran, dem viele unserer Probleme wie Luxus erscheinen
AXEL STOMMEL
DIE UNERTRÄGLICHE LEICHTIGKEIT DER SCHULDEN
Corona, das Klima und die Schwarze Null
Axel Stommel
Die unerträgliche Leichtigkeit der Schulden
Corona, das Klima und die Schwarze Null
ISBN (Print) 978-3-96317-218-2
ISBN (ePDF) 978-3-96317-752-1
ISBN (ePub) 978-3-96317-753-8
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Vorwort
1 Im Herbst der Schwarzen Null
2 Ein bedenklicher Sonderfall und ein Extremereignis: Haushaltsüberschüsse als Mangelerscheinung, Corona als äußerliche Herausforderung
3 »Schuldenbremsen verlangen Sparpolitik« – ein Denkfehler
4 Der Staat und die privaten Haushalte: Wer wirtschaftet einnahmen-, wer ausgabenbestimmt?
5 Wer nicht investiert, verliert – am Ende gar die Demokratie
6 Tollkühn-resignativer Realismus und die Verwechslung von Schuldenbremse und Steuerbremse
7 Der Staat und die privaten Unternehmen: Bei wem finanzieren sich Kredite regelmäßig selber?
8 Die unerträgliche Leichtigkeit des Verschuldens: Easy Financing oder Steuern & steuern?
9 Der Staat und seine Kreditgeber: Wer steuert wen?
10 Exkurs zu geläufigen, anderslautenden Lehrmeinungen
11 Die Selbstfinanzierungsquoten: Schwer zu erfassen und breit gestreut
12 Theorie und Alltag: Was die »Menschen draußen im Lande« von Staatsschulden halten
13 Die hilfreiche, sich selbst finanzierende Staatsverschuldung: Theorie und Praxis der gegensteuernden Wirtschaftspolitik
14 Durch Schulden zu gutem Klima? Zum ranggemäßen Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente
15 Sonderstellung des Zinssatzes bei Staatsschulden: Nullzinspolitik und die ›Laienidee‹ von der Staatsschuldtilgung
16 Null-Zinsen, Zinsersatzleistungen und Verteilung
17 Kreditlücken mit Steuern auffüllen? Oder lieber umgekehrt?
18 Exkurs zur Upside-Down-Economy und zur Todsünde der Wirtschaftstheorie
19 Praktische Schlussfolgerungen für den Alltag
20 Einseitige Quintessenz
ANHANG zur Anfreundung mit Steuerfragen
Quellen
Dank
Wenn der Planet verbrennt, sind Staatsschulden belanglos. Deshalb gilt es, von der Schwarzen Null Abstand zu nehmen und Investitionen in Klimaschutz von der Schuldenbremse auszunehmen .
Solche oder ähnliche Sätze waren immer häufiger zu hören, bevor sie von den Problemen der alles überlagernden Corona-Pandemie verdrängt wurden. Dasselbe Schicksal erlitten die riesigen Investitionslücken in unserer Infrastruktur, in Bildung, Sicherheit, Recht, Ordnung, Informationstechnologie und vieles mehr, die als weitere Gründe für staatliche Neuverschuldungen im Normalbetrieb genannt wurden; außerdem die Furcht vor einer Abschwächung der Konjunktur. Angesichts dieses Bündels an höchst bedenklichen, gleichwohl gewöhnlichen Zuständen erschien die Forderung nach einer beherzten Klima-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik auf Kredit in weiten Teilen der Fachwelt fast schon wie eine schiere Selbstverständlichkeit.
Und dann, wie aus heiterem Himmel, die Corona-Pandemie. Als im Jahre 1320 die Pest in der zentralchinesischen Provinz Hubei ausgebrochen war, hatte sie noch 25 bis 30 Jahre benötigt, um bis nach Italien vorzudringen. Unter den Bedingungen der fortgeschrittenen Technik und der Globalisierung hat Corona genau dieselbe Strecke in 25 bis 30 Tagen bewältigt; außerdem hat sich das Virus nicht nur auf den Weg nach Europa begeben, sondern es ist in alle Himmelsrichtungen ausgeschwärmt, hat das wirtschaftliche und soziale Leben auf allen Kontinenten wochenlang gelähmt und das Denken der Menschen in grundstürzender Weise beeinflusst.
Dass der Staat in dieser extremen Situation gefordert ist, das Schlimmste zu verhindern und besonders betroffenen Unternehmen und Haushalten mit zusätzlichen Krediten und Zuschüssen unter die Arme zu greifen, um wirtschaftliche Existenzen und ganze Wirtschaftszweige vor dem Ruin zu bewahren, war den politischen Entscheidungsträgern von der Kommissionspräsidentin der EU bis hinab zum Ortsbürgermeister umgehend klar. »Wir tun, was nötig ist«, erklärte deshalb die Kanzlerin, Inhaberin der nach wie vor beim Nationalstaat liegenden, entscheidenden Gestaltungsmacht, mit einem für sie ungewöhnlichen Zug spontaner Entschlossenheit; Schwarze Null und Schuldenbremse ließ sie sogar ohne eigene Anwesenheit (sie befand sich mit Coronaverdacht in häuslicher Quarantäne) auf einer einzigen Sitzung per Kabinettsbeschluss aus der aktuellen Regierungsagenda entfernen.
Aber weder restlos noch für immer. Denn zum einen geht es auch in der extremen Situation der Corona-Krise bei aller gebotenen, unbürokratischer Schnelligkeit nicht darum, den Staat bedenkenlos zu verschulden; ungebremst darf auch in pandemischer Zeit Geld nicht verteilt werden. Zum anderen überdeckt Corona zwar plötzlich alles andere, namentlich die fortschreitende Verschlechterung des meteorologischen und des gesellschaftlichen Klimas. Aber selbst wenn die Corona-Krise länger dauern und mehr Schaden anrichten sollte als alles bisher Dagewesene: Die Corona-Krise wird irgendwann ein Ende haben. Das Klima nicht. Es bleibt bestehen, und zwar sowohl das gesellschaftliche als auch das meteorologische Klima mitsamt jeweiliger Probleme und Gefahren: Nach der Corona-Krise ist mitten in der Klima-Krise.
Für die Schwarze Null dagegen beginnt mit Ende der Corona-Krise ein neuer Frühling. Das konservative Lager mit seiner traditionell unscharfen Programmatik wird die Gelegenheit ergreifen, sich in gewohnter Weise als Wahrer bewährter Werte zu positionieren und – wahrscheinlich im Verein mit weiteren politischen Gruppierungen – Neuverschuldung mit ausdrücklichem Verweis auf den mächtig weiter gewachsenen Schuldenstand ablehnen sowie Schuldenbremse und Schwarze Null in seine aktuelle Programmatik zurückholen. Der von der CDU gestellte Bundeswirtschaftsminister, PETER ALTMAIER, hat dies unverzüglich klar und deutlich angekündigt: »Altmaier stellt schnelle Rückkehr zur Schwarzen Null in Aussicht«, meldet die Nachrichtenagentur Reuters am 23.3.2020 und fährt fort: »›Wenn die Krise überwunden ist und wir hoffen, dass dies in einigen Monaten der Fall sein kann, dann werden wir zurückkehren zur Politik der Sparsamkeit‹, sagte der CDU-Politiker am Dienstag im ZDF. Nach Möglichkeit werde dies auch wieder die Schwarze Null sein.« 1
Die Corona-Viren setzen also Schwarze Nullen und Schuldenbremsen außer Kraft. Aber sie töten sie nicht. Corona nimmt sie lediglich aus dem Rampenlicht. Hinter der Bühne mästen die Viren sie sogar. Wenn die Schwarze Null zusammen mit ihrer Partnerin, der Schuldenbremse, zu gegebener Zeit wieder vorne auf der Bühne vor das Publikum tritt, stehen die bekannten Fragen wie eh und je im Raum – nur dass Wirtschaft, Gesellschaft und Staat dann als Folge von Corona ärmer, weiter geschwächt auf einem bedeutend höheren Schuldensockel stehen werden. Die Dreiecksbeziehung zwischen Staatsfinanzierung, Sozial- und Klimapolitik wird dann ziemlich konturscharf sichtbar, spätestens dann werden Fragen der Belastung, der Schuldentragfähigkeit sowie die Frage, welche Aufgaben der Staat zu übernehmen habe und wie sie zu finanzieren seien, hochaktuell.
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