»Ich erwarte überhaupt nichts Sir. Das ist eine meiner Grundprinzipien. Erwarte nichts, dann kannst du auch nicht enttäuscht werden. Wie weit sind die Jungs da oben?«
»Die Nexus hat gerade ohne Probleme angedockt. Der erste kleinere Test ist also bereits abgeschlossen. Das System hat einwandfrei funktioniert. Wir konnten alles von hier aus steuern und Phil Morgan konnte die Kontrolle übernehmen.«, antwortet Charles Kepler.
»Gut. Dann wollen wir mal hoffen, dass wir die Kontrolle über die Station genauso reibungslos übernehmen können.«
Aaron dachte darüber nach, wie viel Arbeit in diesem Programm steckte und wer alles Anteil daran hatte. Er hatte das Programm zwar geschrieben und trug damit die Verantwortung für das Gelingen der Mission, doch wie auch in jeder anderen Firma, gab es immer eine Menge von Menschen, die ihren Teil zum Gelingen beitrugen und einer davon war Jeffrey Newman.
Aaron dachte in den letzten Tagen sehr viel an ihn. Er erinnerte sich daran, wie sie sich kennengelernt hatten. Sie studierten zusammen an der selben Universität und machten ihren Abschluss gleichzeitig. Aaron hatte Physik und Informatik studiert und Jeffrey konzentrierte sich mehr auf technische Belange. Er war ein Konstrukteur und konnte von einer Fernbedienung bis zu einem komplexen Computersystem alles bauen und reparieren.
Nach ihrem Studium bewarb sich Aaron sofort bei der NASA und wurde umgehend eingestellt. Jeffrey dagegen, wollte sich zunächst auf die Privatwirtschaft konzentrieren. Die beiden verloren sich niemals aus den Augen und irgendwann überredete Aaron ihn, sich auf eine freie Stelle in der Technikabteilung der NASA zu bewerben. Jeffrey war zunächst nicht begeistert von der Idee, doch die Überredungskunst von Aaron reichte aus, um ihn zu überzeugen.
Aaron half etwas nach und schließlich bekam Jeffrey den Job. Sie arbeiten in den letzten zwei Jahren fast täglich zusammen, um das System, mit dem die internationale Raumstation komplett von Washington und Houston aus betrieben werden sollte, zum Laufen zu bringen.
Das Ziel dieser Mission war es, dass die bemannten Missionen zur ISS von Seiten der USA wegfallen sollten. Der Etat wurde aufgrund der weltweit vorherrschenden Wirtschaftskrise ständig gekürzt und es war nur eine Frage der Zeit, bis die bemannte Raumfahrt für die nächsten Jahre auf Eis gelegt werden würde.
Das Problem war allerdings, dass die ISS ständiger Wartung bedarf und ständig Menschen dort oben sein mussten, um die Forschungsstation am Laufen zu halten. Mit dem neuen System sollten die Gelder, die benötigt wurden, um die Astronauten in die Umlaufbahn und wieder zurück zu bringen, eingespart werden und die gesamte Station musste irgendwie von der Erde aus in Schuss gehalten werden.
Aber letztendlich hatten sie es geschafft. Das System war fertig und sollte an diesem Tag auf der Raumstation installiert werden.
Doch Jeffrey konnte an diesem Tag nicht beim Start dabei sein. Aaron dachte daran, wie er vom Selbstmord seines Freundes erfahren hatte. Er war in seiner Wohnung und wollte sich gerade für das Bett fertig machen. Er war Single und seine letzte Beziehung lag schon einige Jahre zurück. Er hatte Angst davor, sich erneut zu binden, denn die Frau, mit der er einst zusammen war, hatte ihn verlassen, weil ihr ihre berufliche Karriere wichtiger war.
Er wollte sich gerade ins Bett legen, als das Telefon klingelte. Als er die Nummer sah und erkannte, dass der Anruf von der NASA kam, zögerte er keinen Moment, um ran zu gehen. Er wusste, dass Jeffrey an diesem Abend noch arbeitete und Aaron ging davon aus, dass sein Freund ein Problem hatte, das schnell gelöst werden musste. Das kam in den letzten Tagen öfters vor. Die letzten Feinheiten des Programms erforderten es, dass hier und da ein paar Veränderungen vorgenommen werden mussten.
Doch als Aaron den Anruf annahm, sprach er nicht mit Jeffrey, sondern mit seinem Vorgesetzten Charles Kepler.
»Es ist etwas passiert. Können Sie bitte sofort kommen?«, sagte Charles mit einer bedrückten Stimme.
»Was ist los, Charles? Warum sind Sie um diese Zeit noch im Gebäude?«, wollte Aaron wissen.
Charles Kepler suchte nach den richtigen Worten und sagte schließlich:
»Jeffrey Newman ist tot. Es sieht so aus, als wenn er Selbstmord begangen hat. Bitte kommen Sie sofort hier her!«
Aaron schwieg. Er wusste nicht, was er auf diese schockierende Nachricht antworten sollte. Er glaubte nicht, was er soeben gehört hatte, doch er konnte sich auch keinen Reim darauf machen, warum ihn Charles Kepler persönlich um diese Uhrzeit sonst hätte anrufen sollen.
»Aaron? Sind Sie noch da?«, fragte Charles.
»Können... Können Sie das bitte noch einmal wiederholen?«, fragte Aaron, der immer noch hoffte, dass er sich gerade verhört hatte.
»Ich glaube nicht, dass ich mich noch einmal wiederholen muss. Es ist besser wenn Sie auf der Stelle herkommen. Mir ist bewusst, wie spät es ist, aber die Umstände erfordern ihre Anwesenheit.«
Dann hatte Charles auflegt. Aaron schaute auf sein Telefon und dann sah er gedankenverloren aus dem Fenster. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich gefangen hatte und dann dachte er nicht weiter nach. Er zog sich wieder an und machte sich sofort auf den Weg zur NASA.
Bevor er seine Wohnung verlassen hatte, schaute er noch einmal in den Spiegel. Seine kurzen rotblonden Haare saßen nicht richtig, aber das war jetzt egal. Er musste auf dem schnellsten Weg in die Firma und knallte die Tür hinter sich zu. Als er aus dem Treppenflur seines Mietshauses trat, zündete er sich eine Zigarette an. Sein Auto stand in einer Nebenstraße und unter normalen Umständen hätte er in dem Wagen nicht geraucht. Doch das war ihm jetzt egal. Er setzte sich mit der brennenden Zigarette in den Wagen und fuhr los.
Die Reifen quietschten, als er aus der Nebenstraße fuhr und Aaron dachte darüber nach, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit gerade die gesamte Nachbarschaft geweckt hatte.
Die Straßen waren für die Uhrzeit noch relativ stark belebt und er brauchte trotz seiner Eile etwas länger als gewöhnlich, bis er vor dem NASA-Gebäude stand.
Als er aus seinem Wagen ausstieg, wurde er von niemandem erwartet. Er ging hinein und fuhr hoch in seine Etage. Als er aus dem Aufzug stieg stand Charles Kepler bereits davor und erwartete ihn.
»Wo ist er?«, wollte Aaron wissen.
Charles zeigte mit dem Finger auf die Tür, die in den Raum führte, wo sich die Leiche von Jeffrey Newman befand.
»Was hat er da drin gemacht?«
»Ich habe keine Ahnung. Aber so wie es aussieht, hat er durch die Anlage eine elektrischen Schlag bekommen, den er nicht überlebt hat.«, antwortete Charles.
Aaron ging in den Raum, in dem sich zwei Wachmänner und ein Notarzt befanden. Er sah seinen Freund auf dem Rücken liegen. Die Augen und der Mund waren weit aufgerissen und im Gesicht waren einigen Brandverletzungen zu sehen.
Aaron kniete vor seinem Freund nieder und schaute ihn sich an. Nach einem kurzen Moment, der ihm ewig vorkam, stand er wieder auf und verließ den Raum. Charles kam wieder auf ihn zu und forderte ihn auf, mit ihm sein Büro zu kommen.
»Wir müssen uns unterhalten.«
Aaron folgte seinem Boss ohne ein Wort zu sagen.
»Aaron? Sind sie noch bei uns?«, fragte Charles Kepler, als er merkte, dass Dr. Hundley mit den Gedanken abschweifte und holte seinen Geist wieder zurück in den Konferenzraum.
»Ja Sir. Bitte entschuldigen Sie. Ich dachte nur gerade an Jeffrey. Das wäre heute auch ein großer Tag für ihn gewesen.«
»Das ist wahr.«, sagte Mike.
Charles Kepler schaute beide an und sagte erst einmal nichts. Er wartete darauf, dass sich beide von ihren Gedanken lösten und mit ihrer Arbeit fortfuhren. Als das nicht geschah, ergriff er das Wort.
»Meine Herren, ich kann verstehen, dass ihre Gedanken bei Mr Newman sind. Die gesamte Abteilung – und sicherlich auch der Rest der Mitarbeiter dieses Hauses – trauern um ihn. Doch wir haben heute eine Aufgabe zu erledigen, die unsere gesamte Aufmerksamkeit verlangt. Also verlieren wir bitte jetzt nicht den Blick für das Wesentliche. Mir ist bewusst, dass vor allem Sie, Aaron, in den letzten Tagen nicht die Zeit hatten, um über ihren Freund zu trauern. Doch glauben Sie mir, diese Zeit wird es geben. Vielleicht nicht heute und vielleicht nicht morgen. Doch irgendwann wird es sie geben.«
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