15 Stunden und 15 Minuten bis zur Ewigkeit
Ort:National Aeronautics and Space Administration (NASA), Washington, D.C. Zeit:09:15 Uhr EST – zur selben Zeit
Zur selben Zeit befand sich Dr. Aaron Hundley in seinem Büro im Hauptgebäude der National Aeronautics and Space Administration, die weltweit nur unter dem Namen NASA bekannt war. Genau wie das gesamte Personal der Behörde, wartete er darauf, dass die drei Astronauten in der ISS ihre Arbeiten beendeten, damit er mit seiner anfangen konnte. Er hatte sich schon seit Monaten auf diesen Tag vorbereitet, denn dieser Tag würde das gesamte Weltraumprogramm revolutionieren. Wenn heute alles so laufen würde, wie es die jahrelange Planung vorgesehen hatte, dann würde das für die Behörde eine Einsparung an Kosten in Millionenhöhe bedeuten. In der letzten Nacht hatte er so gut wie nicht geschlafen, und das spiegelte sich nun in seinem Gesicht wieder. Eigentlich hätte er es an diesem Tag ruhig angehen können, denn seine Arbeit war getan. Das Programm lief während der letzten Wochen in allen Testdurchläufen hervorragend an und es schien, als hätte er alles bedacht. Aber dennoch war er nervös und ging im Gedanken wieder und wieder jeden möglichen Fehler durch. Die Was-wäre-wenn-Szenarios , die er mit seinen Kollegen in den letzten Wochen durchgegangen war, hatten ihn nicht nur den Schlaf, sondern auch sehr häufig den letzten Nerv geraubt. Doch nun war alles abgeschlossen und er wusste, dass er jetzt nicht mehr in die Prozeduren eingreifen konnte. Wenn das Programm noch irgendwo Fehler aufwies, dann mussten Updates geschrieben werden, die, wenn sie fertig waren, zwar schnell eingespielt werden konnten, aber dennoch die Arbeitsleistung an Bord der ISS beeinträchtigen konnten. Aaron Hundley sollte sich zu diesem Zeitpunkt zwar in Houston befinden, wo die Mission direkt überwacht wurde, doch er hatte sich dafür entschieden, das Projekt, dass er zum größten Teil selbst entwickelt hatte, von seinem Büro in Washington aus zu verfolgen. Er konnte in Houston in diesem Moment sowieso nicht eingreifen. Alles, was zu tun war, konnte er von dem zehn Quadratmeter großen Büro aus genauso gut erledigen, als wenn er sich im Mission Control Center befinden würde. Genau dies war der Sinn und Zweck der Arbeit, die er schon so lange betrieben hatte. Als Aaron sich durch einen großen Stapel von Akten wühlte und noch einmal die letzten Handbücher zur Inbetriebnahme des neuen Systems durchging, die er alle selbst geschrieben hatte, wäre er beinahe eingeschlafen. Doch kurz bevor sein Kopf auf den Tisch fiel wurde er durch das laute Klingeln seines Telefons wieder aus dem Land der Träume gerissen. Er nahm nicht den Hörer ab, sondern betätigte die Freisprechtaste. »Hundley.« »Hey Aaron. Die Jungs fangen gerade mit dem Auspacken an. In etwa zwei Stunden dürfte deine große Stunde schlagen. Kommst du?«, fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung, die eindeutig männlich war. »Bin unterwegs.« »Alles klar. Bis gleich.« Aaron's Gesprächspartner wollte gerade auflegen, als er noch um einen Gefallen gebeten wurde. »Mike?« »Ja?« »Kaffee, bitte.« Mike lachte und versprach ihm, dass er sich sofort darum kümmern würde. Er wusste, dass Aaron ein paar schlaflose Nächte hinter sich hatte und sehr lange auf diesen Augenblick gewartet hatte. Dann betätigte Aaron erneut die Freisprechtaste und beendete damit das Gespräch. Aaron blickte auf seinem Schreibtisch auf einen Bilderrahmen, in dem sich nicht wie es normalerweise üblich war ein Foto von einer Freundin oder Frau befand. Er hatte keine Familie und seine letzte Freundin hatte er auf dem College gehabt. Aaron blickte auf den Ausdruck einer Kohlezeichnung, die er im Internet gefunden hatte. Er zeigte die Hauptfiguren aus seinen Lieblingsbüchern, die er schon seit Jahren fast jeden Abend vor dem Schlafengehen las. Es handelte sich um Sherlock Holmes und Dr. Watson. Darunter waren seine beiden Lieblingszitate aus den Geschichten des Meisterdetektivs aufgedruckt:
»Wenn man das Unmögliche ausschließt, dann muss das, was übrig bleibt, so unwahrscheinlich es auch klingen mag, die Wahrheit sein.«
»Wenn ich Sie mit Gewissheit vernichten könnte, dann würde ich mit Freuden dem Tod entgegentreten.«
Bei dem ersten Zitat handelte es sich um den Leitspruch von Sherlock Holmes, welcher ihn daran erinnerte, dass man immer zum richtigen Ergebnis kommt, selbst wenn man auf viele Hindernisse stößt. Und das man diese Hindernisse einfach aus dem Weg räumen muss, auch wenn es manchmal schwer fällt.
Das zweite Zitat sagte Sherlock Holmes zu seinem größten Rivalen, Professor Moriarty, als dieser ihn in seiner Wohnung aufsuchte, und ihn aufforderte, ihn in Ruhe zu lassen. Dieser Spruch versinnbildlichte für Aaron, dass man manchmal Dinge tun muss, die man unter normalen Umständen nicht tun würde, auch wenn diese Entscheidungen für einen selbst einen Nachteil bedeuteten.
Aaron Hundley konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass ihn einer dieser beiden Sprüche noch am selben Tag eine Entscheidung abringen würde, die für ihn den sicheren Tod bedeuten konnte.
Nachdem er das Bild einen Augenblick lang betrachtet hatte, stand Aaron von seinem Stuhl auf, zog sich sein Jackett an und nahm sein Smartphone vom Schreibtisch. Er prüfte noch einmal, ob er irgendwelche Nachrichten bekommen, oder Anrufe verpasst hatte und steckte es dann in seine Hosentasche. Dann verließ er sein Büro und begab sich in den Konferenzraum, wo er bereits erwartet wurde.
15 Stunden und 15 Minuten bis zur Ewigkeit
Ort:in einem Hotelzimmer im Großraum Washington, D.C. Zeit:09:15 Uhr EST – zur selben Zeit
Der Terrorist saß in seinem Zimmer in einem schäbigen Hotel. Auch für ihn sollte es ein großer Tag werden. Auf ihn hatte er sich fast zwei Jahre lang vorbereitet. Er hatte einen Auftrag, wie es ihn noch nie zuvor gegeben hatte. Nervosität war ein Fremdwort für ihn. Er hatte in den vierzig Jahren seines Lebens Sachen gesehen, die ihn derart abhärteten, dass ihm nichts mehr Angst machen konnte. Dieser Job war nichts anderes. Selbst das, was er vor wenigen Tagen für seinen Auftraggeber erledigt hatte, war für ihn nichts Besonderes. Als er den Namen seines Opfers erfuhr, fragte er den Auftraggeber nur nach dem Wo und Wann . Danach betrachtete er die Sache als erledigt. Dieser Mord hätte ihn weltweit berühmt gemacht, wenn die Ermittlungsbehörden herausgefunden hätten, dass er für den Anschlag verantwortlich gewesen ist. Doch das, was er heute tun würde, würde diesen Mord bei Weitem übertreffen und er würde in die Geschichte eingehen. Der Laptop, der sich vor ihm auf dem Tisch befand und dem er seine volle Aufmerksamkeit schenkte, lief schon seit Wochen durch und wurde nur abgeschaltet, wenn er seinen Standort ändern musste. Er wusste, dass er heute nicht alleine arbeiten würde, sondern Unterstützung bekam. Allerdings wusste er nicht, von wem diese Unterstützung kam. Die Frau schlief im selben Zimmer, wie er, doch er wusste nichts von ihr. Nicht einmal ihren Namen. Der Auftraggeber legte größten Wert auf Diskretion. Auch ihn hatte er bisher nicht persönlich kennengelernt, sondern wusste nur, dass er ihn für seine Arbeit gut bezahlen würde. Die gesamte Korrespondenz lief über ein Handy, dass nach Angaben des Auftraggebers nicht zurückverfolgt werden konnte. Es gab keine Anrufe, sondern er bekam lediglich SMS-Nachrichten, auf die er nicht antworten durfte. Als er an diesem Morgen aufgestanden war, machte er sich zunächst einen Kaffee und schaute im Computer nach, ob die Aktion bereits begonnen hatte. Er sollte zunächst nichts anderes tun, als das Geschehen zu verfolgen und wenn es soweit war, dann würde er die Kontrolle übernehmen. Was auf seinem Computer zu sehen war, war nicht besonders spektakulär. Er konnte lediglich die Desktop-Oberfläche sehen, auf der ein paar kleine Programme abgelegt worden waren. Mehr passierte hier nicht. »Gut, ich habe noch Zeit.«, dachte er sich und ging erst einmal unter die Dusche. Das Wasser war sehr heiß, genauso wie er es mochte. Die Strahlen stellte er so ein, dass sie seinen Rücken richtig durchmassierten. Seine Muskeln taten weh, denn die Nacht auf diesem Bett war nicht das, was er normalerweise gewohnt war. Doch der Gedanke an die bevorstehende Bezahlung entschädigte ihn für diese Nacht. Nach der Dusche genoss er seinen Kaffee und setzte sich wieder zu seinem Computer. Er konnte warten. Es war ja nicht so, dass er unter Zeitdruck stand. Der Abschluss seiner Aufgabe hing von der Schnelligkeit der anderen Beteiligten ab, auch wenn diese noch keine Ahnung davon hatten, dass sie an dieser großen Sache überhaupt beteiligt waren. Er lächelte. Er dachte darüber nach, dass an diesem Tag die Welt verändert werden könnte, wenn die Leute, die die großen Entscheidungen trafen, nicht dazu bereit sein würden, ihm und den anderen zuzuhören. Und selbst wenn sie es taten. Das Ende dieses Tages war bereits festgeschrieben. Was passieren sollte, würde passieren. Die Zeit der Diskussionen und das Fällen von Entscheidungen, die keinerlei weitreichenden und vor allem ausreichenden Einfluss hatten, war vorbei. Heute würde endlich gehandelt werden. Dann blickte er auf seinen zweiten Laptop, der direkt neben dem ersten stand und schaute sich den Videostream an. Er war begeistert. Der Auftraggeber hatte es tatsächlich geschafft, seine Leute in sämtliche Bereiche, die nötig waren, einzuschleusen. »Heute schreiben wir Geschichte.«, flüsterte er leise vor sich hin. »Die Welt gehört uns.«
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