Ist anstrengend, wird also nicht probiert. Punkt.
Statt Sport oder anstrengende Ausflüge zu machen, lud ich Freunde zu legendären Brunches mit Video ein: „Miss Marple und die verdächtigen Lachsröllchen“ , „Poirot findet die Leiche im Pudding“ oder „Star Trek, Milky Way und Sternen-Pizza“. Lebensqualität, selbst erfunden. Damals hat meine Katze kulinarisch sicher besser gelebt als ich.
Beruflich bewarb ich mich in einem großen Call-Center, natürlich mit Bushaltestelle vor der Tür und Aufzug im Gebäude. Sitzend konnte ich mein Geld verdienen. Meine Stimme war toll – sie war das einzig Lebendige an mir; sie sprühte vor Witz und Vitalität. Oft wurde ich gefragt, ob ich für Sex-Hotlines arbeitete – mit meiner Stimme konnte ich wirklich beeindrucken! Dabei war das Ganze nur der kümmerliche Rest von mir. Ausgehen in eine Kneipe? Hm. Wer würde mir vorher verraten, was in dieser Kneipe für Mobiliar steht? Nur, wer mal in der Öffentlichkeit versucht hat, aus einem Stuhl aufzustehen, dessen Armlehnen sich tief in die nicht-vorhandene Taille gedrückt haben und wo der Stuhl mit dir aufsteht, kennt die Scham und die Angst vor unbekannten Sitzflächen. Jahrelang hab ich deshalb auf Bänken gesessen, im Bus, in der U-Bahn, im Restaurant.
Urlaub machte ich immer auf dem europäischen Festland. Jedenfalls da, wo ich mit einem Auto hinkam. Die Schmach, in einem Flugzeug nach einem Verlängerungsgurt für Dicke zu fragen, wollte ich mir nicht antun. Und überhaupt – Holland ist ja so schön...!
Dick-Sein ist ein anstrengender Überlebenskampf. Selbst mit Video-Pizza-Partys.
1.2. MODE? EHER NICHT. GEKAUFT WIRD, WAS PASST. NICHT, WAS GEFÄLLT.
Als Frau von Mitte 50 lerne ich gerade meinen eigenen Stil kennen. Wie verwirrend, in ein Geschäft zu gehen, fünf Kleidungsstücke zu probieren und alle fünf passen! Was soll ich denn jetzt kaufen? Woher soll ich wissen, was mir steht?
Das zumindest war früher einfacher: Als dicke Frau ging man in den 1980er und 1990er Jahren zu Ulla Popken oder nähte selbst. Große Größen gab es anfangs wirklich nur dort und ich bedanke mich heute noch dafür, dass sie uns nicht nackig im Regen haben stehen lassen. Sicher, solange es nur diese eine Marke gab, haben sich dicke Frauen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz immer wieder in derselben Bluse getroffen. Das konnte peinlich werden. Aber immer noch besser als in Omas Kittelschürze.

Foto Nr. 3 - Kleidung diente dem Verhüllen, nicht der Schönheit
Man darf nicht vergessen, das war ja alles vor den Zeiten von Amazon und Ebay. Niemand kaufte seine Kleidung online und die großen Bekleidungsgeschäfte hatten keine Abteilung für große Größen. Unvorstellbar, aber es gab eine Zeit, in der Modedesigner entschieden, dass Dicke kein Recht auf Stil hätten und alles über Größe 46 gar nicht erst produziert wurde. Auf die meisten Edel-Designer trifft das heute noch zu. Chanel in Größe 52? Ein No-Go!
Maite Kelly mit eigener Mode bei Bon Prix oder Harald Glööckler mit dem liebevollen Slogan „In jeder Frau steckt eine Prinzessin“ kamen erst Jahre später. Für die normal verdienende Bevölkerung änderte sich das Mode-Angebot nur ganz allmählich. Das wirft die Frag auf: Was kam zuerst? Dicke Menschen in Größe 58 oder Mode in Größe 58? Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass zuerst die Dicken da waren und das Angebot sich uns und unseren Formen anpasste. Anfangs nur einfarbig und in sehr schlichten Formen. Ganz langsam eröffneten auch Geschäfte, die Dessous für Dicke verkauften. Das trug uns von Harald Schmidt den Satz ein: „Dessous für Dicke? Gibt’s schon immer. Früher nannte man sie Leggins“ .

Foto Nr. 4 - Große Bikinis oder Unterwäsche gab es in schwarz
Die USA sind Europa bei manchen Entwicklungen immer ein paar Jahre voraus. Mit den Dicken und der Mode war das auch so. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gab es bereits Dicke in Größe 7XL, das ist XXXXXXXL, und für diese Boutiquen mit Kleidung in Übergröße. Auch die Engländer waren nach dem Krieg früher dick als wir Deutschen und ich kenne moppelige Frauen, die sich ihre Dessous aus England bestellen, weil die Auswahl dort stets größer und günstiger ist. Irgendwie ist die Mode auch bunter und lustiger.
Das zumindest ist ein Problem, was junge Dicke im Jahr 2020 nicht haben. Fast hätte ich „nachwachsende Dicke“ geschrieben und das beschreibt den aktuellen Zustand ziemlich gut.
Dicke Mütter bekommen dicke Kinder und später dicke Teenager. Als wäre es angeboren! Dabei wissen wir längst aus der psychologischen Forschung, dass die Gene nur einen sehr kleinen Teil ausmachen und der Rest ge-lernt und er-lernt wird, am einfachsten durch Nachahmung. Wenn Mama und Oma immer Riesenportionen servieren, ständig Snacks zur Verfügung stehen und jeder moppelig ist, ist das normal und als Kind machst du das mit. Du kennst es ja nicht anders. Deinen Nachtisch bekommst du nicht nur Sonntags, sondern „morgens halb zehn in Deutschland“. Die Werbung kennt doch jeder und die Verkaufszahlen sprechen für sich. Dieses Vererben von schlechten Gewohnheiten ist für mich ein wichtiger Grund, Frauen beim Abnehmen zu helfen: Sie tun es für sich und für die nachfolgenden Generationen, für die eigenen Kinder. Das geht so weit, dass viele erst werden schwanger (können), wenn sie schlanker sind. Zurück ins Jahr vor meinem Black Friday 1999. Es gab kaum passende Mode und Elasthan wurde nur sehr sporadisch verwandt. Was bedeutet das bei der Unterwäsche? BHs in Oma-Farben, also weiß und kratzig (der Krankenhaus-Flair), schwarz (das kleinere Übel und der Gatte fragt erschrocken: Ist was mit Oma?) oder in schlimmem Haut-Ton. Keine Ahnung, wer sich diese Farbe ausgedacht hat, aber „haut“ ist nicht hautfarben. Vielleicht ist es die Farbe einer Wasserleiche, aber keine junge, gesunde Frau hat diesen seltsamen Haut ton.
Passende BHs zu bekommen war also schwierig. Passende, hübsche BHs zu bekommen war fast unmöglich. Dafür gab es einen Vorteil bei den Höschen. Hej, als Dicke kann man Tangas anziehen. Die dünnen Bändchen links und rechts dehnen sich über einige Größen hinweg! Schließlich kann man den Slip ja unter dem dicken Bauch tragen und so ein Tanga besteht eh nur aus ganz wenig Stoff. Der gräbt sich zwar seitlich tief in die Haut und zwickt, ist aber um vieles schöner als eine Unterhose, die über den großen Bauch geht. Spätestens seit dem Kinofilm Schwer verliebt kennt jeder diese Unterhosen-Monster. Sich in zu kleine Größen quetschen ist nachvollziehbar, sogar mit String-Tangas. Ok, ich persönlich mag diese „Arsch-frisst-Hose-Modelle“ nicht, aber es war eine Möglichkeit. Eine Sache, die mich jahrzehntelang begleitet hat, war der Umstand, keine Taille zu haben. Da ging es gar nicht so sehr darum, ob man die wirklich hatte oder nicht. Schließlich gibt es ja dicke Formen in einer Vielzahl von Variationen. Egal, ob Bluse, Jacke, Pulli oder T-Shirt: Es wurde immer drüber getragen. Niemand von uns Dicken steckte das T-Shirt in die Hose! Niemand zeigte freiwillig seine Formen. Verstecken war in , kaschieren war ein Modewort und locker-fallend wäre heute das Keyword bei der Google-Suche nach großer Mode.
Auch Röcke oder Kleider gab es in meinem Schrank sehr lange gar nicht. Warum? Dicke Oberschenkel scheuern sich gegenseitig auf. Das kann bis zu blutigen Ekzemen führen. Also werden Hosen getragen. Selbst wenn man sich dann auf der Straße anhören muss, dass jeder Gaul auf diesen Brauerei-Pferd-Arsch stolz wäre. Klar halfen Hosen nicht wirklich.
Читать дальше