Daraufhin sah ich nachdenklich auf meine Hände. Übung sagte er? Na schön!
Ich hatte die restlichen Stunden diese Zeichenabfolge wiederholt. Immer und immer wieder. Professor Blue war bereits bei den nächsten Zaubern angelangt, wie einem kleinen Windstoß, um Papier von seinem Schreibtisch runterzuwehen oder Wasser aus einem Glas schweben zu lassen. Er schaute einige Male zu mir, aber ich beschäftigte mich einzig mit der Übung des Feuerzaubers. Ich wollte es können. Wenn er Recht behielt und ich das wirklich bewerkstelligen könnte, würde ich nur genug üben, schaffte ich es auch und das schon sehr bald! Das nahm ich mir fest vor.
Ich schaute immer nur kurz auf, notierte mir die Praxis der nächsten Zauber und die Seitenzahl im Buch, wandte mich danach aber der Übung des Feuerzaubers zu. Ich musste es einfach schaffen. Unbedingt!
Die Klingel riss mich aus meinen Gedanken und ich sah, wie die anderen ihre Taschen packten. Professor Blue kam zu mir und lächelte: »Der Unterricht ist vorbei. Versuch es morgen nochmal. Du solltest dich nicht überanstrengen.«
»Ja, danke«, antwortete ich nur bedrückt. Ich wollte schreien. Wieso sollte mich die Übung eines einfachen Zaubers überfordern!? Sah ich so zerbrechlich aus?
Doch als ich aufstand, fühlte ich sofort, was er meinte. Er hielt mich am Arm, damit ich nicht fiel. Niemand bemerkte es – ein Glück.
»Du solltest dich hinlegen, bevor du heimgehst. Du siehst blass aus«, sagte er und ich spürte Mitgefühl in seiner Stimme.
»Es geht schon, danke«, antwortete ich nur und stieß mich etwas von ihm ab. Ich wusste nicht, was ich sagen musste, dass er sich keine Sorgen um mich machte. Deshalb winkte ich nur lächelnd und verließ das Klassenzimmer Richtung Innenhof.
Mir war bewusst, dass der Ausgang in der entgegengesetzten Richtung lag, doch ich konnte mich noch nicht unter die Leute mischen. Ich suchte mir ein stilles Plätzchen im Grünen, legte mich ins Gras und tankte ein paar Sonnenstrahlen. Jetzt spürte auch ich Wärme in mir aufkeimen und setzte mich auf. Die Hände auseinanderbreitend konzentrierte ich die Energien in meinen Handflächen, die ich von der Sonne empfing. Langsam bildete sich ein Licht in meinen Händen.
Ich schnappte sie augenblicklich zusammen und es verschwand. Kein Feuer, dachte ich gekränkt und drehte mich auf den Bauch. Vor meiner Nase krabbelte ein Marienkäfer den Grashalm hinauf und ich kicherte, als er das Gleichgewicht verlor, der Halm sich kräuselte und er im Fall davon flog.
»Okay«, sagte ich mir. »Auf zum praktischen Training.«
Ich wartete immer, bis das Licht der Sonne etwas verschwand und die Dunkelheit der Nacht sich ankündigte, ehe ich zu meinem Trainingsplatz ging und trainierte. Er befand sich zwischen dem Viertel der Händler und dem der Handwerker. Es war ein Platz ohne hohe Gebäude, ohne Pflastersteine, über deren Unebenheiten man stolpern konnte; aus glatten, bunten Steinen, die zusammen verschiedene Mandalas darstellten. Es war der Ort, an dem die Musik und der Tanz sich trafen und liebten, sich den Menschen zeigten, um von ihnen geliebt zu werden.
Auch heute waren viele Stadtbewohner zu unserem Trainingsplatz gekommen, um uns dabei zuzusehen. Um mich herum auf den umliegenden Mandalas tanzten bereits einige Akrobaten und Musiker. Sie hielten sich den ganzen Tag über hier auf und verdienten ihr Geld damit. Ich dagegen stand immer noch auf dem kleinsten Mandala des Platzes, das Händlerviertel im Rücken und mein Blick ins Himmelreich gerichtet.
Gleich ist es soweit, dachte ich und wartete auf den Sonnenuntergang, dass das Abendrot verschwand und der Himmel nur leichte Lichter zeigte. Sie sollten schließlich nicht das Abendlicht ansehen. Nur mich allein sollten sie sehen, wenn ich tanzte und das war die Stunde, die für mich schlug. Kein anderer Tänzer oder Akrobat auf diesem Platz vermochte in dieser Zeit so viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen wie ich.
Mit dem ersten Paukenschlag der Stadthymne, die jetzt erklang, setzte ich schleichend den Fuß nach vorne, den rechten Arm ausgestreckt vor die Brust und den Blick zum Himmel gerichtet. Ich wollte die Wellen rufen, also musste ich mich verhalten wie sie. Mein Körper schwang erst links dann rechts, wieder und wieder, langsam der Musik folgend. Meine Arme umspielten meine Bewegungen wie Schmetterlinge, und als mein Fuß im Sprung den Boden des Mandalas berührte, kamen die Wellen mit mir.
Es war, als würde ich auf dem Wasser tanzen. Dort, wo ich auf dem Mandala aufkam, erzeugte ich eine kleine Woge, einen Kreis, der von mir ausging und bis zum Ende meines Tanzbereichs schwappte. Doch es war kein Wasser, das die Wellen schlug. Es war Licht. Und es strahlte, wie auch ich, wenn ich tanzen konnte.
Die Stadtbewohner wichen ein wenig zurück, um nicht in die Lichtwellen hineinzulaufen. Sie blieben an der Kante meines Mandalas stehen.
Als die Musik schließlich an Schnelligkeit zunahm und die Geschichte der Stadthymne uns in Gedanken die damalige Flucht nachempfinden ließ, wechselte ich den Tanzstil. Es waren nicht mehr die sanften Wellen, die mich berührten. Es wurde schneller.
Ich sprang auf der Stelle in die Höhe, riss die Beine nach oben und kam auf dem rechten Arm wieder auf. So für einige Sekunden verharrend ging ich über in den eigentlichen Tanz. Er lebte von der raschen Rotation meines Körpers, sodass man die grundlegende Bewegung nur verschwommen erkennen konnte.
Daraufhin murmelte ich das Wort und meine Handflächen begannen zu leuchten. Durch die schnelle Rotation wirkte es wie ein einziges Leuchten meinerseits, bis ich die Abfolge verlangsamte und im seitlichen Sitz anhielt. Danach legte ich meine leuchtenden Hände auf den Mandalaboden.
Ich bemerkte das Staunen der Stadtbewohner, als um mich herum das gesamte Mandala aufleuchtete und ein seichter Windstoß die Lichter vom Boden löste. Ein Lächeln zauberte sich in mein Gesicht.
Ich erhob langsam meine Hand. Ein Lichtschleier erschien aus der Stelle, auf die ich mein Leuchten gedrückt hatte. Ich zog ihn empor und das Mandala verdunkelte sich, während ich aufstand und mit einem Schleiertanz begann, der so strahlend war, dass fast der gesamte Platz erhellt wurde.
Eine Panflöte setzte in die Hymne ein und ich bog mich nach hinten, die Hände auf den Boden und schlug meine Beine zurück. Dann sprang ich in einen Handstand, aus dem ich in die Hocke glitt und rotierte. Der Lichtschleier hüllte meine Gestalt völlig ein, und erst als ich emporsprang und auf einer Hand neben dem Schleier aufkam, folgte er mir.
Mit dem Einsetzen der Ratschen und Rasseln wechselte ich erneut den Stil und bewegte die Hüften hin und her. Die Arme waagerecht von mir gestreckt, die Wellen zu mir zurückfließend.
Jetzt sah ich ihn. Er stand da, mitten im Publikum. Unsere Blicke trafen sich und ich stockte ungewollt in meiner Tanzfolge. Der Lichtschleier löste sich in abertausende Lichtfunken auf, die um mich herum schwirrten wie leise Glühwürmchen. Die Lichtwellen brachen völlig ab. Und ich stand da und konnte mich nicht bewegen. Warum war er hier? Wieso sah er mich so an?
Plötzlich spürte ich ein unterdrückendes Gefühl und wandte meinen Blick zu einer Traube um, die für Unruhe unter den Stadtbewohnern sorgte. Stadtwachen!
Hastig schaute ich mich um. Und da entdeckte ich sie, meine Chance zur Flucht.
Ich wandte ihm ein letztes Mal meinen Blick zu und setzte meine noch leuchtenden Finger an meine Lippen. Ein Luftkuss wurde aus meiner abschließenden Tanzbewegung geboren. Die Lichter rieselten über der Zuschauermenge hinab wie leichter Regen und sie jubelten, als ich mich umwand und mit einem Satz über gestapelte Fässer auf ein Hausdach schwang und verschwand.
Kapitel 3 | Jonathan | Flucht
Mist! Die Stadtwachen kamen genau zum falschen Zeitpunkt. Ich war eben erst auf dem Platz angekommen, da holten sie mich schon ein. Es waren mindestens fünf, also war Verstärkung eingetroffen.
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