Alles in allem war der Markt im Bettlerviertel für mich immer wieder schön anzuschauen. Er war nicht so überfüllt und jeder kannte jeden. Es war eine familiäre Atmosphäre. Ich hielt mich nicht lange auf und schlenderte weiter zur Brücke, die zum Festland führte. Mein Viertel war auf einer kleinen Insel in der Flussmündung des Vasyli gelegen und man musste über eine der Brückenanbindungen gehen, um in die anderen Bereiche von Maalan zu gelangen.
Vor den Stadttoren bildete sich eine ellenlange Schlange von Händlern und Leuten, die in die Stadt drängten. Die Tore waren noch nicht geöffnet.
Jede Nacht wurden zur Dämmerung die meisten Zugänge geschlossen, um zwielichtiges Gesindel davon abzuhalten, unerkannt in die wichtigen Teile Maalans zu kommen. Trotzdem war es nicht zu verhindern: Schloss man die Tore zum Bettler- und Fremdenviertel, blieben doch die zu den Vierteln mit besserem Ruf noch lange zugänglich. Es war eine der vielen Repressalien, die wir einfachen Bürger zu ertragen hatten.
Die Tore öffneten sich. Langsam setzten sich Winden in Gang und man konnte die Dampfmaschinen arbeiten hören. Eine kleine Rauchfahne stieg aus dem Schornstein des Torhauses. Kaum hatte sich das Tor weit genug geöffnet, strömten die Wachen hervor und drängten die Menschen zurück. In dicken Rüstungen und mit Feuerlanzen bewaffnet sicherten ein paar Soldaten das Geschehen.
Nach und nach wurde jeder, der in die Stadt wollte, durchsucht und nach seinem Grund befragt, ehe man sie betreten durfte. Es dauerte eine Weile, bis ich an der Reihe war.
»Hey du!«, rief mich eine der Wachen an. »Du bist dran. Träum nicht herum, sonst kannst du dich wieder hinten anstellen!«
Ich wandte mich ihr zu und zog einen alten, schon oft benutzten Passierschein aus meiner Tasche. Die Stadtwache warf nur flüchtig einen Blick darauf und ließ mich mit einer leichten Verbeugung passieren. Es war einer der Vorteile, an einer der Akademien zu studieren. Jeder Magier, jede Hexe und auch jeder der Technomanten hatte solch eine Genehmigung, die Stadt jederzeit zu betreten und zu verlassen. Die Regierung legte viel Wert auf ihr kostbares Gut.
Ich kam auf dem großen Marktplatz vor den Markthallen aus. Hier war einiges los. Die Marktkarren kamen aus allen Richtungen, um die besten Plätze zu ergattern. Geräumige Lastkarren transportierten Waren vom Hafen und den Kontoren, die sie anschließend an die Großhändler lieferten. Ein paar dampfbetriebene Kutschen bahnten sich hupend ihren Weg durch die fluchende Menschenmasse. Reiche Leute, die keine Rücksicht auf den kleinen Bürger nahmen.
Ich überquerte schnell den Platz und versuchte, mich nicht über den Haufen fahren zu lassen. Mein Weg führte mich die Gassen des Marktviertels entlang und immer wieder wich ich den Handelskarren aus. Markttage waren schrecklich hektisch und sorgten nur für eine Verstopfung der Straßen.
Es wurde langsam heller; erste Sonnenstrahlen fielen in die Gassen der Stadt und lösten den Nebel auf. Zu meiner Rechten befand sich nun der weitläufige Übungspark der Akademie. Hier sollten auch Teile unserer Prüfungen stattfinden. Die Mauern waren dick und hoch und mit Eisen ummantelt. In regelmäßigen Abständen gab es kleine Stahltüren, um eine Flucht oder Evakuierung vom Gelände zu ermöglichen. Zu oft gerieten manche Maschinen und Zauber außer Kontrolle und verletzten oder töteten Adepten. Zum Schutz der Stadt wurde das Mauerwerk fast jedes Jahr verstärkt, da die Kräfte, die hier freigesetzt wurden, ernsthaften Schaden anrichten konnten. Der sogenannte Übungspark war von vier mächtigen Wachtürmen umstellt, die schwer bewaffnet Sicherheit darstellen sollten. Doch für wen? Man hörte nie etwas von den Prüfungen, denn alles, was hinter diesen Mauern geschah, war streng geheim. Manchmal wurde beobachtet, wie die Geschütze der Türme während einer Prüfung in den Park feuerten und harte Geschosse und Zauber auslösten. Die Prüflinge bekam man danach nie mehr zu Gesicht. Es hieß immer, ihre eigenen Zaubersprüche und Maschinen hätten sie getötet und mussten von den Türmen gestoppt werden, um die Bevölkerung nicht zu gefährden. War das denn die Wahrheit? Es gab zahlreiche Gerüchte, aber ich wollte nicht viel darauf geben, bald würde ich es eh erfahren, wenn ich dort zu meiner Prüfung im Übungspark stand. Unter den wachsamen Augen der Turmbesatzungen.
Ich kam langsam zum Mittelpunkt der Stadt. Die Straßen waren hier gepflastert und ich konnte mehr Wachen entdecken als zuvor. Ich befand mich im Regierungsviertel. Mein Ziel war nicht weit entfernt.
Der große Platz lag jetzt vor mir. Das Herzstück Maalans. Direkt an der Magierakademie gelegen bildete der gut dreihundert Schritt durchmessende Platz mit seinen Mustern und mittigen Säulen ein eindrucksvolles Bild, welches nur von den imposanten Türmen der Akademie übertrumpft werden konnte. In seinem Zentrum beschäftigten sich noch einige Magier und Hexen mit dem Abbau von Bühnen. In der letzten Nacht hatte hier unser jährliches Fest zum Vollmond stattgefunden. Es erzeugte einen gewissen Rausch, dem man sich nicht entziehen konnte, und auch ich hatte mir den einen oder anderen Tanz mit einer hübschen Hexe genehmigt. Einmal im Jahr waren wir alle eine große Familie. Nun wurde es ernst; ab heute entschied sich, ob ich in dieser Sippe bleiben durfte oder nicht.
Grad in dem Moment, in dem ich fast in düstere Gedanken abdriftete, hörte ich jemanden meinen Namen rufen.
»Hey! Jonathan!« Es war die Stimme von Richard. Ich drehte mich zu ihm um und erblickte auch Cloe an seiner Seite. Sie waren zwei meiner besten Freunde.
»Was macht ihr denn schon so früh hier?«, rief ich und ging ihnen entgegen.
»Nicht nur du willst heute wieder zur Akademie, du Halunke«, entgegnete er mir.
»Wir haben uns heute extra früh auf den Weg gemacht, weil wir dich abfangen wollten. Wie kann man nur so ein Frühaufsteher sein?«, erklärte Cloe. »Komm doch mit uns mit. Wir haben ja noch ne Menge Zeit, bis wir uns in der Akademie melden müssen.«
Eigentlich mochte ich es, als Erster an der Akademie zu sein, aber für meine Freunde hatte ich immer Zeit. »Na gut. Was habt ihr denn vor?«, fragte ich zurück.
»Wir wollten noch etwas über die Märkte schlendern und gucken, ob wir nicht das ein oder andere Brauchbare finden können. Na komm!« Cloe hakte sich mit diesen Worten bei mir und Richard ein und führte uns hinein in den Trubel der Stadt.
Wir verließen den Platz in östliche Richtung und tauchten ein in die schmalen Gassen des Magierviertels. Kaum war man zwischen die alten, zum Teil schiefen Häuser getreten, kam es einem so vor, als hätte man eine andere Welt betreten.
Der Lärm der Stadt war nur noch leise zu erahnen. Mit jedem weiteren Schritt in das älteste Viertel Maalans verließ man die Normalität. Ein feiner Geruch von Zimt stieg mir in die Nase – eines der Zeichen, dass hier Magie am Werk war.
Die Dächer der Häuser schoben sich in der Höhe immer dichter zusammen und ließen die Wege schummerig und düster erscheinen. Kaum hatte man das Gefühl, komplett von den Gassen verschlungen zu werden, da gaben sie uns frei und wir betraten einen kleinen Platz. Rechts und links am Rand gab es eine Reihe von magischen Geschäften, jedes für eine andere Spezialität berühmt.
Auch hier war der Trubel der erwachenden Stadt angekommen und fleißig bauten einige Händler ihre Stände auf, in der Hoffnung, ihre Zaubereien und Zaubertrankzutaten an den Magier oder die Hexe bringen zu können.
Wir gingen über den Platz und beobachteten ein paar von ihnen beim Aufbau. Mit einem Mal wurde mir ganz warm und ich nahm die Gespräche um mich herum nicht mehr richtig wahr. Eine himmlische Melodie war an meine Ohren gedrungen und umfing mich sanft. Ich reckte mich in die Höhe und sah mich um. Cloe und Richard guckten mich nur verständnislos an.
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