Peter von Hückenberg sah nicht nur umwerfend aus, er verfügte ebenso über einen durchtrainierten Body, konnte nicht genug von ihren erfahrenen Liebesspielen bekommen und verdiente sein Geld als mäßig erfolgreicher Immobilienmakler, der beruflich sehr viel in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätig war. Er war ziemlich glücklich mit Maria verheiratet, gestand er sich ein – zeitgleich mit drei weiteren Frauen, die der potente Mann auf seinen beruflichen Reisen in seine Arme schloss. Alle vier Frauen waren deutlich älter als er.
Dass ihr Mann mehrfach der Bigamie überführt und verurteilt worden war, hatte Maria hart getroffen. In ihrer Eitelkeit gekränkt, zog sie sich einige Monate in sich zurück, wollte nichts und niemanden sehen und mit ihrer Trauer allein sein. Am schlimmsten trafen sie seine Worte vor Gericht. „Meinst du, ich hätte dich wegen deines Aussehens geheiratet? Du könntest als meine Mutter durchgehen.“ So ein Dreckskerl! Er wurde zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Noch schlimmer traf sie der Verlust ihrer Immobilien und Ersparnisse. Alles, wirklich alles hatte sie ihm überschrieben und mit der Spekulationsblase in den USA verschwand auch ihr Vermögen.
Ihr Anwalt machte ihr wenig Hoffnung, jemals wieder an ihr Geld zu kommen. Seither lebte sie von Sozialhilfe, musste zwangsweise in eine kleine Sozialwohnung umziehen und fühlte sich von der Welt betrogen und alleingelassen und war irgendwie nur noch fehl am Platze.
Den Gedanken, Suizid zu begehen, verwarf sie wieder, nachdem sie über verschiedene Selbstmordszenarien nachgedacht hatte. Pulsadern aufschneiden – nein, sie konnte kein Blut sehen.
Erhängen – nein, was würden denn die Leute denken, wenn man sie mit entleerter Blase und Darm fand, schaurig mit heraushängender Zunge vor sich hin baumelnd? Schlaftabletten – auch nicht. Schreckliche Krämpfe würden sich einstellen. Vor einen Zug werfen, kam auch nicht in Frage. Sie sah sich auf den Schienen liegen, nur noch der Torso übrig. Furchtbar! Was sollten die Sanitäter oder der Notarzt von ihr denken? Wahrscheinlich passte der Arzt auch noch in ihr Beuteschema… jung, gut gebaut und potent. Und sie lag da, mit ‚appen‘ Beinen… Das Wort ‚appen‘ war nicht richtig, gab es auch nicht, aber über abgetrennte Beine mochte sie nicht einmal nachdenken.
Der einzige Trost in ihrem tristen Alltag war Agnes, ihre Nachbarin, die jetzt hier im Altersheim lebte und die sie jede Woche einmal besuchte. Agnes hatte ihr auch ihren uralten Fiat Panda überlassen; eine Blechbüchse auf vier Rädern, aber noch fahrbereit und frisch über den TÜV gekommen. Dass er überhaupt ein Lenkrad hatte, empfand Maria schon als Luxus. Aber einem geschenkten Gaul…
Endlich. Agnes rollte mit ihrem Rollator durch die Tür. Die beiden Frauen umarmten sich herzlich und ein breites Grinsen erschien auf Agnes zerfurchtem Gesicht. „Du glaubst nicht, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen, Maria. Du wirst es nicht glauben, wie neidisch meine Zimmernachbarn sind, seitdem ich diesen tollen Rollator habe. Ein rasantes Teil“, gickerte sie. „Danke nochmals. Der war bestimmt teuer?“
„Ähh…, ging so“, druckste Maria herum und freute sich, dass ihr Geschenk so gut ankam. Sie streichelte Agnes sanft über die faltige Wange.
„Meinst du, Maria, du könntest Gertie, meiner Nachbarin hier, auch so einen besorgen?“
Maria bestellte Tee und zwei Stück Erdbeertorte ohne Sahne. „Ich muss mal schauen, der war im Angebot…“
Agnes Hand verschwand in ihrer Handtasche, die sich im Ablagekorb des Rollators befand. Sie zückte ihren Geldbeutel und holte sechs Fünfzig-Euro-Scheine hervor.
„Meinst du, das reicht?“
Zunächst lehnte Maria das Geld ab, doch Agnes drängte es ihr förmlich auf. „Es ist von Gertie, und die kassiert eine unverschämt hohe Pension von ihrem verstorbenen Mann.“ Maria nahm das Geld an sich. „Ich schaue mal“, lächelte sie verschmitzt.
Kapitel 4
Professor Doktor Kurt Martin
Professor Doktor Kurt Martin stellte sich wiederholt die Frage, was sein Leben eigentlich noch lebenswert machte. Nachdem er in den Ruhestand getreten war, fühlte er sich nicht mehr gebraucht; nutzlos, überflüssig, ungeliebt. Sein Tagesablauf schien ihm ereignislos. Außer Autowaschen, Gartenarbeit und gelegentlich ein Schwätzchen am Gartenzaun mit dem Nachbarn, der allerdings jetzt im Altersheim lebte, oder eine gemeinsame Tasse Tee mit seiner Reinemachefrau, gab es wenig Sinnvolles, was er dem Tag abgewinnen konnte. Manchmal spielte er noch ein wenig Klavier, brach zumeist nach kurzer Zeit wieder ab, weil die Erinnerung ihm Tränen in die Augen steigen ließ.
Gelegentlich telefonierte er noch mit dem einen oder anderen Arztkollegen, aber die Gespräche wurden immer kürzer, da die meisten Ärzte, mit denen er gearbeitet hatte, noch aktiv waren und unter Dauerstress standen. Oftmals bat der Professor um Rückruf – was jedoch immer öfter unbeantwortet blieb.
Nachdem er heute Vormittag seinen ehemaligen Nachbarn im Altersheim besucht und anschließend seine Tageszeitung studiert hatte, dachte er kurz an den großgewachsenen Mann mit dem graumelierten Vollbart, dem er im Café kurz zugenickt hatte. Er hatte sympathisch gewirkt und war ihm irgendwie bekannt vorgekommen. Aber er konnte sich nicht erinnern, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Vielleicht war er einer der zahllosen Patienten, die er operiert hatte oder auch nur ein Besucher der Klinik gewesen. Egal.
Die anderen beiden Frauen, wahrscheinlich Mutter und Tochter, wobei die Mutter flott mit ihrem Rollator unterwegs war, tuschelten miteinander, um anschließend herzhaft zu lachen.
Die rothaarige Tochter hatte ihn einige Male gemustert, wie er aus den Augenwinkeln beobachtet hatte. Doch er hatte nicht reagiert.
Nun saß er auf seiner Terrasse, trank einen Kaffee und besah sich seinen großen Garten. Der Sommertag war herrlich gewesen, nicht zu heiß und nicht zu kalt. Angenehme sechsundzwanzig Grad. Am Ende seines Gartens blühte eine phantastisch anzusehende Gebirgswiese mit vielerlei bunten Blumen. Bienen summten um die Blütenkelche herum. Ein Blaumeisen Pärchen sammelte eifrig Insekten für ihre Jungen, die im Kiwi-Strauch lautstark um die, sich im Schnabel ihrer Eltern befindlichen, Krabbeltiere bettelten. Der Feigenbaum direkt vor seiner Terrasse trug unzählige Früchte, die allerdings jetzt noch zu unreif waren. Er dachte daran, wie schön und mild es hier in der Ortenau war. Die Toskana Deutschlands. Das Wetter im Schwarzwald war meist einige Grad wärmer als im übrigen Deutschland. Grüne, hügelige Landschaften, bewachsen mit Reben, soweit das Auge reichte; in der Ferne dichte Wälder; von der Sonne verwöhnt. Hier wuchsen Bäume und Sträucher, die es sonst nur in mediterranen Klimazonen gab.
Der Professor öffnete den Brief seiner Bank, und obwohl er wusste, wie der Inhalt lautete, tat er sich schwer, mit der Wahrheit umzugehen. Der Kontoausdruck schien ihn höhnisch anzulächeln. Er war so gut wie mittellos. Natürlich hatte er seine Pension und konnte auch gut davon leben, aber seine Ersparnisse im oberen sechsstelligen Bereich waren futsch.
Er war drei Jahre nach Kriegsende in Osterode am Harz zur Welt gekommen. Sein Vater, Lehrer am Gymnasium, war nach kurzer Kriegsgefangenschaft wieder ins Lehramt zurückgekehrt. Seine Mutter, eine ehemalige Musiklehrerin, versorgte Kind, Mann und Haus und brachte ihm das Klavierspielen bei. Kurt durchlief die Schule wie für ihn geplant, erreichte achtbare Noten und bildete mit dreien seiner Mitschüler ein literarisches Quartett. Mit Ingrid aus seiner Klasse ging er zum Abiball, tanzte, lachte und flirtete die halbe Nacht und verlor anschließend im Schrebergartenhäuschen von Ingrids Eltern seine Unschuld. Das war das erste und einzige Mal, dass er mit einer Frau schlief. Er gestand sich ein, dass Männer ihn sexuell mehr anzogen.
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