Auf östlicher Seite:
- 7500 russische Atomsprengköpfe
Die EU war durch folgende Atomwaffen geschützt:
- 2688 US-Atomsprengköpfe seegestützt
- 1347 US-Atomsprengköpfe auf Interkontinentalraketen
- 300 französische Atomsprengköpfe
- 215 britische Atomsprengköpfe
- 110 US-Atomsprengköpfe auf dem Gebiet der EU
- 4660 Atomsprengköpfe insgesamt
- 625 Atomsprengköpfe auf dem Gebiet der EU
Selbst wenn man „nur“ die letzteren 625 Atomsprengköpfe anrechnet, war die EU eine Atommacht, mit der man sich besser nicht anlegt. Leider ist die Glaubwürdigkeit der atomaren Abschreckung auf Seiten der Europäischen Union gerade einer massiven politischen Erosion zum Opfer gefallen:
- Der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs bedeutet faktisch das Ende der Verfügbarkeit britischer Atomwaffen zur Verteidigung der Europäischen Union.
- Die Infragestellung der Artikel 4 und 5 des Nordatlantikvertrages durch Donald Trump im Jahre 2017 bedeutet faktisch das Ende der Verfügbarkeit amerikanischer Atomwaffen zur Verteidigung der Europäischen Union.
- Die Verfügbarkeit französischer Atomwaffen zur Verteidigung der Europäischen Union steht unter nationalem Vorbehalt.
In der Folge stünde also die Europäische Union militärisch nackt und frierend im eisigen Wind. Was also tun? In der Tat hat die EU ein altes, kleines, aber effizientes politisches Beiboot namens EURATOM , welches durch Ergänzung das Vertrages von Lissabon mit geringem Aufwand um eine militärische Komponente ergänzt werden kann. Die Waffentechnik, die Kerntechnik und die Fachkunde, beides zusammen zu führen, sind in den (verbleibenden) Mitgliedsländern der EU in Hülle und Fülle vorhanden. Alternativ kann die EU die 110 im Rahmen der Nuklearen Teilhabe auf dem Boden der EU lagernden Atomsprengköpfe den USA abkaufen, um erst einmal einen Grundstock an Atomwaffen zu haben.
Im Gegensatz zu den USA (Ein Atomkoffer beim Präsidenten) oder Russland (drei Atomkoffer, die autonom voneinander funktionieren), sollten die drei Atomkoffer der EU (Ratspräsident, Kommissionspräsident, Außenbeauftragter) so funktionieren, dass die Atomwaffen erst nach dreifacher Freigabe gestartet werden. Wenn man die oben genannten 625 Atomsprengköpfe als Anhaltspunkt für eine künftige quantitative Vorgabe sieht, befindet man sich in einem maßvollen, aber sicheren Bereich. Die EU braucht keine 4660 oder 7500 Atomsprengköpfe, um als Atommacht ernst genommen zu werden. Es reicht, ein kleiner Igel zu sein, der seine Stacheln ausfährt, wenn man versucht, ihn zu treten.
Von diesen 624 Atomsprengköpfen wären zweckmäßigerweise jeweils 208 in landgestützter, seegestützter und luftgestützter Form vorzuhalten. Seegestützt wären es vier U-Boote mit jeweils 26 Raketen und Atomsprengköpfen an Bord, zwei stationiert in Kiel, zwei stationiert in Neapel. Zusätzlich jeweils 52 Atomsprengköpfe und Raketen in Hafendepots in Kiel und Neapel zur Zweitbeladung. Luftgestützt wären es entsprechend dimensionierte Jagdbomberstaffeln in Karup und Decimomannu (also gegenüber der seegestützten Stationierung ein wenig zurückgenommen), mit denen jeweils 52 Atomsprengköpfe sofort geflogen werden können und die andere Hälfte zur Zweitbeladung vor Ort eingelagert ist. Landgestützt wären es 104 Marschflugkörper und 104 Mittelstreckenraketen, von denen jeweils die eine Hälfte (zur Abwehr der künftigen Bedrohung aus Südosten) auf Kreta, die andere Hälfte zur Selbstverteidigung in alle Richtungen in der Mitte, mithin also in Tschechien, stationiert wäre.
Selbstverständlich stünde es künftig auch Großbritannien und Frankreich frei, an einem EU-geführten System kollektiver nuklearer militärischer Sicherheit teilzunehmen, sofern sie bereit sind, das Kommando über ihre Atomwaffen zu teilen.
Bereits Nicolas Sarkozy hatte den Deutschen eine Nukleare Teilhabe an der Force de frappe angeboten, die bisher daran scheitert, dass Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet hat. Die Europäische Union allerdings hat dieses Problem nicht. Daher wäre diese Alternative für alle beteiligten in Europa die ideale Lösung, zumal die den für einige Nachbarländer bedrohliche Vision deutscher Atomwaffen vom Tisch wischt.
5. Fehlwahrnehmungen und ihre Konsequenzen
Jeder Mensch hat sich in seinem bisherigen Leben schon mindestens ein Mal verlaufen, verfahren oder verrechnet. Und jeder hat sich hinterher gefragt, wie ausgerechnet ihm das gerade passieren konnte.
Folgende Ursachen sind dabei immer wieder kehrend:
a) Man glaubt, mehr zu wissen als man tatsächlich weiß
b) Man missachtet sich verändernde Umgebungsfaktoren
c) Man ist zu stolz, nach dem Weg zu fragen
d) Man hat die Karte nicht eingenordet
e) Man hat keine Ausweichrouten recherchiert
f) Unzulässige Extrapolation
Fehlwahrnehmungen können durchaus unbeabsichtigterweise zu sehr produktiven Ergebnissen führen, allerdings ist dies in der Geschichte eher die seltenere Variante gewesen. Ein sehr prominentes Beispiel ist die „Entdeckung“ Amerikas durch Christoph Kolumbus , der bis zu seinem Tode der festen Auffassung war, in Indien gewesen zu sein. Dennoch war sein Irrtum für die spanische Volkswirtschaft höchst profitabel.
Dies, in Bezug auf die Entdeckung Amerikas, war dies allerdings nicht die erste Fehlwahrnehmung in der Geschichte gewesen. Um 1000 n. Chr. entdeckte Leif Eriksson die Ostküste von Kanada und nannte es Vinland . Die doppelte Fehlwahrnehmung, die einer dauerhaften Besiedlung entgegenstand, bestand darin, dass die Wikinger das nachbarschaftliche Verhältnis zu den Einheimischen zwei mal falsch einschätzten. Engere Nachbarschaft war etwas, was sie aus ihrer Herkunft im dünn besiedelten Norwegen oder Island nicht kannten und sie somit auch nie gelernt hatten, ihre unmittelbaren Nachbarn realistisch wahrzunehmen.
Freundschaftliche Gesten zu Anfang wurden in ihrer Wahrnehmung positiv überhöht, genau wie später entstandene Probleme und Konflikte in ihrer Wahrnehmung negativ überhöht wurden. Die Wikinger in Vinland befürchteten also eine rasch eintretende massive Eskalation und suchten schleunigst das Weite. Eine, so wie man die Wikinger heute wahrnimmt, untypische, weil eher als feige wahrgenommene Verhaltensweise. So viel zu unserer heutigen Fehlwahrnehmung der Wikinger.
Wären die Wikinger in Vinland geblieben, so hätten sie möglicherweise die Erfahrung gemacht, dass ihre Befürchtungen unbegründet waren. Die Indianer , wie sich auch in den USA im 18. und 19. Jahrhundert zeigte, waren eher darauf aus, im Einklang mit der Natur zu leben. Dieses beinhaltete auch, Einwanderer (solange diese nicht vollständig ihre Lebensgrundlage in Frage stellten) als Bestandteil ihres Lebensraums zu sehen. Da es den Wikingern, anders als später den Spaniern und den Engländern, niemals um dauerhafte Staatliche Landnahme, sondern immer nur um Lebensraum für ihre Familien gegangen ist, wäre die Prognose für ein dauerhaftes, leidlich friedvolles Zusammenleben mit den Indianern durchaus positiv gewesen. Das zeigt sich auch daran, dass in den Fällen, wo sie, aufgrund von Missernten, plündernd und brandschatzend durch Europa zogen, sich nirgendwo dauerhaft festsetzten.
Die Europäer haben jahrhundertelang auf engstem Raum nebeneinander gelebt. Die Zahl der Kriege, der Verträge und der Vertragsbrüche der letzten 1500 Jahre lassen sich gar nicht mehr wirklich zählen. Letztlich hat dies dazu geführt, dass die europäischen Völker sich gegenseitig ziemlich genau einschätzen können, wenngleich ein Großteil der gemachten Erfahrungen im Laufe der Zeit zu Stereotypen geronnen sind, die ihrerseits immer wieder kritisch hinterfragt werden müssen. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand Einigkeit darüber, dass es, auch bei unvollständigem Konsens, keine Alternative zu Kooperation gibt. Leider ist diese Einmütigkeit im Jahre 2016 durch das Erstarken der Europäischen Rechten in akuter Gefahr.
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