Der Fritz, der war dann ein wenig verärgert über den traurigen Vorfall, denn jetzt würde er wieder das G‘schiss haben, meinte er. Aber es ging dann eh alles ganz schnell, weil der Doktor Maurer, den der Fritz zu Hilfe gerufen hatte, der wusste ja gleich, dass man in so einem Alter schnell mal daran sterben könnte, am Alter.
Es war gegen Mittag, als der Sirenenalarm Augsee aus der sonntäglichen Ruhe riss und die angeschlagenen Feuerwehrler aus dem Schlaf. Was aber gerade jetzt ein wenig deppert war.
Der Rosenhuber Rudi war der Erste, der am Feuerwehrhaus ankam und eine rechte Mühe hatte, das Tor zur Fahrzeughalle aufzusperren, weil er das Schloss nicht traf mit seinem Schlüssel. Währenddessen preschte der Behringer Franzl auf seinem Fahrrad heran und verfing sich damit im Gestell des Schaukastens, der links neben der Feuerwehrausfahrt stand.
Als etwas später der Heudobler Heini beim Gerätehaus ankam, war der Rudi schon dabei, das Löschfahrzeug aufzuschließen, was ihm ebensolche Mühe machte, wie zuvor das Aufsperren des Tores. Der Heini blieb vor dem offenen Tor stehen und blickte ungläubig in die Fahrzeughalle: Der Boden war verschwunden! Stattdessen sah er den Rudi inmitten von tosend gischtendem Wasser stehen, welches jenen mit immer höher werdenden Wellen zu verschlingen drohte. Der Heini trat erschrocken eine paar Schritte zurück, als eine Welle durch das Tor hinaus auf ihn zubrandete. Dann begann er heftig zu weinen und der Franzl versuchte derweil, seinen Spind aufzusperren, konnte jedoch die Zahlen am Zahlenschloss nicht entziffern.
Der Rosenhuber Rudi hatte von dem ganzen Wasser und den Wellen nichts bemerkt und seine Hosenbeine waren auch nicht nass. Und dem Behringer Franzl wäre es im Moment eh wurscht gewesen, wenn er nass geworden wäre, weil er sich gerade recht über das Schloss an seinem Spind ärgerte. Aber er war ohnehin ebenso trocken geblieben, weil der Heini sich wohl getäuscht hatte, mit all dem Wasser und so.
Nachdem der Franzl sich endlich hatte umziehen können und der Rudi die Fahrertür des Löschfahrzuges geöffnet hatte, war der Heini auch mit dem Weinen fertig geworden.
„Ich glaub‘, da kommt keiner mehr!“, sagte der Behringer Franzl eine Weile später zum rastlos umher wandernden Rudi und zum am Boden kauernden Heini. „Zu dritt brauch‘n wir gar nicht ausrücken!“, meinte er.
„Und überhaupts regnets ja eh schon wieder“, stellte der Franzl fest und der Rudi und der Heini schauten mit schmerzend geblendeten Augen in den sonnigen Frühlingshimmel hinauf und wunderten sich ein wenig.
Der Brand war in der Nachbargemeinde, in Kirchhof, ausgebrochen. Im obersten Geschoss eines vierstöckigen Wohnhauses verstarb ein alter Herr an Rauchvergiftung. Seine Frau hatte sich noch auf den Balkon gerettet, den sie aber dann hinuntergestürzt war. Was sie aber nicht mehr gemerkt hätte, weil wenn sie nicht bewusstlos geworden wäre, dann wäre sie eh nicht hinuntergestürzt, wusste der Feuerwehrkommandant der Kirchhofer Feuerwehr zu berichten, während er auf den zerschmetterten Körper zu seinen Füßen hinunterblickte, der ihn ein wenig an geplatzte Blutwurst erinnerte.
Es war dann auch gar keinem aufgefallen, dass die Augseeer Feuerwehr nicht zugegen war. Und es hätte sich eh nicht gelohnt, wenn noch ein weiterer Spritzenwagen im Einsatz gewesen wäre, weil die vierte Etage ohnehin ausreichend überschwemmt war.
„So ein Rausch hat ja meistens keinen Sinn. Aber einen Grund hat er meistens schon!“
Der Herr Doktor Maurer war ein wenig verwundert, als am Montagmorgen die halbe Augseeer Feuerwehr – teils mit Ehefrauen – in seinem Wartezimmer versammelt war. Hochrote Köpfe leuchtetem dem Augseeer Allgemeinarzt entgegen, als er sich nachdenklich umsah im überfüllten Raum. Er wusste noch nicht, dass der Herr Bürgermeister samt Gattin bereits vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht worden waren.
Der Heudobler Heini saß auf einem Stuhl in der Ecke und blickte gebannt auf ein Bild an der Wand gegenüber. Der darauf abgebildete Hirsch mit seinem mächtigen Geweih machte ihm gerade etwas Angst.
Der Rosenhuber Rudi lief nervös auf und ab, stieß sich dabei mehrfach das Schienbein am Kinder-Lesetisch, der inmitten des kleinen Warteraumes stand.
Der Behringer Franzl hatte Tränen in den Augen, weswegen der Schuhmacher Markus unaufhörlich kicherte, während die Heudobler Waltraud apathisch ins Leere blickte.
Auch das Verhalten der restlichen Patienten schien ihm seltsam, dem Herrn Doktor Maurer, da sprang der Heudobler Heini von seinen Stuhl auf und schrie:
„Hörts auf! Halts an, halts doch endlich an! ... Ich möcht‘ aussteigen! Auf der Stell‘ möcht‘ ich aussteigen!“
Der Doktor Maurer nahm den Heini in den Arm und fragte in die Runde:
„Ja, sagts einmal! Was ist denn mit euch los?“
Im wüsten Chor schallte es ihm entgegen: „Uns geht‘s gar nicht gut!“
Nur der Schuhmacher Markus rief laut dazwischen: „Mich hat meine Frau g‘schickt, weil‘s mir sooo gut geht!“ und begann sogleich hysterisch zu lachen und durch den Raum zu tanzen.
Gleich darauf begann ein wildes Plappern. Der Doktor Maurer machte ein paar Schritte durch das Wartezimmer blickte jedem tief in die Augen, ließ sich die eine oder andere klumpige Zunge zeigen, fühlte hier und da den Puls und meinte dann laut:
„Wissts ihr was? ... Ihr seids ja alle high! Im Drogenrausch seids ihr!“
Das Plappern hörte auf.
„Ein bisserl krank ist ja nicht gleich ungesund!“
Manchmal haben die Dinge ja recht verwirrende Namen. Die Weißwurst zum Beispiel, die heißt zwar Weißwurst, dabei weiß sie auch nicht mehr als eine Knackwurst. Sie ist halt nur weißer. Ja, und die Tollkirsche ist eben auch nicht eine besonders tolle Kirsche. Sie macht einen halt nur toll. Jetzt weniger vom Ausschauen her, sondern mehr vom Durcheinander im Hirn her gesehen.
Der Doktor Maurer hat sie ja gleich erkannt, die Tollkirschen im Beerenkompott, als ihm der Jakob tags darauf ein paar Gläser davon auf den Tisch gestellt hatte. Und zum Inhalt der unbeschrifteten Gläser meinte er entsetzt:
„Ja, Herr Teufel, das sind ja durch und durch nur Tollkirschen! Schauens her da: schwarze, kirschgroße Beeren mit ganz vielen Körnern. Ein wenig verkocht zwar, aber gut zu erkennen. Ja, du liebe Zeit, was da hätt‘ passieren können!“
Wo er die denn her hätte, fragte er den Jakob, der antwortete:
„Ja, mei, gell! Von der ... Dings, ... von der Oma halt hab ich das Kompott. Und die Schwammerl auch.“
Ein wenig aufgeregt fuhr er fort:
„Wissens Herr Doktor, ich hab mir da nichts dabei gedacht. Hab halt g‘meint, das wären feine Beeren, wo‘s doch so schön ausg‘schaut haben, im Glaserl, gell? Das ist mir jetzt alles recht zuwider. Ich wollt‘ doch niemandem was Böses, wissens, wie ich mein‘?“
„Ist schon recht, Herr Teufel, aber die Beeren müssens schleunigst entsorgen! Nicht, dass noch wer zu Schaden kommt!“
***
Ein paar Tage später, nachdem die Herrschaften wieder bei Sinnen waren, lud der Bürgermeister Haberecht zur vertraulichen Aussprache ins Rathaus ein. Man müsse gemeinsam entscheiden, was man denn nun unternehmen sollte, wegen dem Jakob.
Drei Tage könne so ein Tollkirschen-Rausch anhalten, wenn man nicht gerade vorher stirbt, erklärte der Doktor Maurer.
Bei fünf, sechs Beeren mag‘s ja noch gehen. Erweiterte Pupillen, einen recht trockenen Mund, hohen Puls und Sehstörungen, vielleicht auch schon ein wenig Herzrhythmusstörungen könnt‘s da geben. Und Weinkrämpfe, Rededrang und mehr oder weniger lustige Halluzinationen wären da auch ganz normal, meinte der Herr Doktor. Aber ab zehn, zwölf Beeren hätte es leicht der letzte Rausch gewesen sein können.
Es blieb eine Weile still im Sitzungssaal des Augseeer Rathauses, weil gerade alle ein wenig nachdachten.
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