„Hat wohl keinen Eintopf gemocht, der Herr Pfarrer!“, flüsterte der Jakob der Marianne verstohlen zu, wusste nicht, dass im Pfarrhaus gerade jetzt ein saftiger Hirschbraten auf den Herrn Pfarrer wartete.
Zwei Tage später war die alte Christl verstorben. Das Herz wäre ihr stehen geblieben, hieß es im Dorf, weil sie sich plötzlich gar so gegrämt hätte über den Tod von ihrem Heinz, der vor fast zwanzig Jahren gestorben war. Einer seiner Mastbullen hatte ihn versehentlich an der Stallwand zerquetscht.
„Bei der Feuerwehr, da geht‘s ja öfter mal heiß her!“
Jakob stand nachdenklich vor seinem Kellerregal. Der Fritz hatte ihn gebeten, für die Augseeer Feuerwehr zu kochen. Also nicht für den ganzen Feuerwehrverein, sondern nur für die aktiven Feuerwehrler und ein paar altgediente Ehrenmitglieder – wie den Schwanniger Herbert. Der Herbert war ja mit seinen über fünfundachtzig Jahren schon zu alt, um noch bei den Einsätzen mitzufahren. Aber essen mochte er immer noch ganz gerne und der Bärwurz schmeckte ihm auch noch recht.
Das „MANNSCHAFTSESSEN“ gab‘s zweimal im Jahr bei der Freiwilligen Feuerwehr und in diesem Frühjahr sollte der Jakob das Essen machen, wenn sich der Trupp beim Kirchenwirt treffen würde.
„Dreißig, vierzig Mann und Anhang dazu“, murmelte der Jakob vor sich hin. „Dann werden das ja gleich mal sechzig, siebzig Leut‘“, staunte er.
***
Der Jakob hatte sich ein paar größere Eimer zugelegt. Diese Investition musste schon sein, wo doch die Portionen immer mehr wurden, die er anzurichten hatte.
Glucksend und schmatzend erbrach sich der Inhalt der Gläser in die neuen Plastikeimer, als er die Krautwickerl aus den großen Einmachgläsern in einen davon plumpsen ließ, in einem anderen Rinder- und Schweinegulasch mischte und in wieder einen anderen die breiige, braune Tomatensoße schüttete.
In den Nachtisch-Eimer kippte er den Inhalt von sechzehn Kompottgläsern. Himbeeren, Heidelbeeren, auch Kirschen konnte er erkennen und Zwetschgen waren auch dabei. Und ein paar andere Beerenfrüchte, die er gerade nicht so genau kannte, passten farblich auch recht gut dazu. Während er die Masse im Eimer vorsichtig vermischte, musste er an Blutwurst denken und meinte, es dürfte ruhig etwas mehr sein. So schüttete er noch ein paar Gläser von den dunklen großen Beeren dazu. Dann schmeckte er sein buntes Fruchtkompott mit einer Flasche Marillenlikör ab, süßte noch ein wenig nach und war zufrieden mit seiner Nachspeise.
„Seltsam ist, was selten ist!“
Bei seiner Begrüßungsrede zum Mannschaftsessen der aktiven Feuerwehrler war der Bürgermeister Haberecht voll des Lobes über die Arbeit der Freiwilligen Feuerwehr Augsee.
Ganz toll wäre das alles, meinte er, und wenn‘s wirklich mal wieder brennen würde, hier in Augsee, dann wäre man mit so einer pfundigen Feuerwehr auch auf der sicheren Seite, erfreute er die Leute, die das recht gerne hörten.
Zum Löschen hatten die Augseeer Feuerwehrler ja nicht so viel. Der letzte Brand im Gemeindegebiet, der lag ja schon einige Jahre zurück. Da hatte der alte Dorfner Max in seinem Heuschober wieder einmal eine Zigarre geraucht. Heimlich. Weil, seine Bruni hatte ihm nach seinem Schlaganfall das Rauchen verboten und deshalb hatte er immer heimlich im Heuschober geraucht. Ja, und irgendwie war‘s an jenem Tag etwas saudumm hergegangen, weil er wahrscheinlich zu viel geraucht und auch zu viel getrunken hatte. Jedenfalls hatte man ihn mit einer Bärwurzflasche in der verkohlten Hand gefunden, nachdem der Heuschober abgebrannt war. Es war kein schöner Anblick gewesen. Weil das gibt ja eine rechte Sauerei, wenn so eine verkohlte und von herabstürzenden Balken zerschmetterte Leiche in einer riesigen Pfütze Löschwasser vor sich hin dampft.
Der Rest des Samstagabends wurde dann recht lustig und auch recht lang. Nachdem viel gegessen und noch mehr getrunken worden war, da wurde die Stimmung immer heiterer und bald auch ein wenig seltsam.
„Du, Jakob, dein Essen war ja wirklich gut. Und dein Kompott, ja so ein Kompott hab ich ja noch gar nie g‘habt, weil ich eigentlich gar kein Kompott nicht mag, weißt? Das war ja fast wie ein Rumtopf“, lachte der Behringer Franzl, als er den Jakob für sein Essen lallend lobte. „Aber ein bisserl viel Körner hat‘s g‘habt, dein Kompott!“
Dann nahm der Franzl, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Augsee, den erstaunten Jakob in den Arm und begann vor Rührung zu weinen.
Auch der Bürgermeister Haberecht war noch recht lange geblieben mit seiner Frau, der Rosmarie, die wohl auch schon etwas zu viel Marillenlikör gehabt hätte, vermutete der Jakob. Mit hochrotem Gesicht ging sie wackelig auf den Jakob zu und verfehlte ihn um einen halben Meter, als sie ihm ihre ausgestreckten Arme um den Hals legen wollte. Beim zweiten Anlauf erwischte sie ihn jedoch und er spürte, wie sich ihre Fingernägel in seinen Nacken bohrten, während sie ihm etwas zu sagen versuchte. Was aber nicht recht funktionieren hat wollen, weil ihr irgendwie gerade die Worte fehlten. Daher begann sie, dem Jakob sein Gesicht über und über abzubusseln. Und der Bürgermeister Haberecht stand daneben und kicherte glucksend.
„Sag einmal Jakob, war dein Essen denn so scharf, oder was? Die saufen ja wie die Löcher!“, war der Fritz erstaunt, dass immer mehr immer schneller getrunken wurde. Es war bereits weit nach Mitternacht und der Fritz wollte langsam schließen, aber die Gesellschaft dachte gar nicht daran, nach Hause zu gehen.
Kaum jemand saß an seinem Platz, vielmehr torkelten die Leute im Saal umher, plapperten kreuz und quer aufeinander ein, ohne sich zuzuhören, umarmten sich immer wieder und weinten zwischendurch auch ein wenig.
„Merkwürdig! Ganz merkwürdig, wie die sich alle aufführen. Da schau, der Rosenhuber Rudi hat gar seine Hose ausgezogen!“, meinte der Jakob überrascht zum Fritz, während die beiden in der Tür standen und das Treiben im Raum beobachteten.
Der Rosenhuber Rudi schlug mit seiner ausgezogenen Hose peitschend auf Tische, Stühle und auch den Boden ein, ganz so, als wolle er ein grausliges Ungeziefer erschlagen. Zwischendurch schnappte er sich das nächststehende Glas vom Tisch und leerte es in einem Zug.
Die Haberecht Rosmarie und ihr Mann, der Herr Bürgermeister, saßen am Tisch und begannen plötzlich mit ihren Getränken zu gurgeln. Die Rosmarie mit ihrem Mineralwasser und der Helmut mit seinem Weißbier, das ihm aus dem offenen Mund schäumte, als hätte er die Tollwut.
„Ich weiß jetzt auch nicht so recht, aber meinst nicht, wir sollten jetzt mal schauen, dass sie nach Hause gehen? Die sind ja alle wie toll, die Leut‘!“, meinte der Fritz etwas unbehaglich zum Jakob.
„Auf jeden Fall kriegens jetzt nichts mehr zum Trinken, dann werdens schon gehen!“, beschloss er und sah auf die Uhr. Drei Uhr morgens war es bereits.
„Heini! Du liebe Zeit! Da schau! Da steht ja ein Ochs‘ hinter‘m Tisch!“, schrie plötzlich die Waltraud ihrem Mann, dem Heudobler Heini, deutend zu. Der schaute sich um, sah aber nur den Bürgermeister Haberecht mit seiner Rosmarie am anderen Ende des Tisches sitzen und meinte lallend:
„Wwoo mmeinnns‘ jez‘?“
„Oder ist das gar ein Rhinozeros?“, plärrte die Waltraud entsetzt weiter und verschanzte sich duckend hinter dem Jakob, der neben dem Fritz stand und wortlos nach einem Rhinozeros Ausschau hielt.
„Manchmal ist man eben nicht ganz da, wenn man grad‘ nicht kann!“
Am frühen Sonntagmorgen hatte sich die wüste Feuerwehr-Gesellschaft endlich zum Schlafe gebettet. Nur der alte Schwanninger Herbert nicht. Den fand der Fritz erst später beim Aufräumen unter einem der Tische. Der Schwanninger Herbert selber wusste aber nicht, dass er dort lag, weil er war wohl verstorben, sonst hätte er noch gelebt.
Читать дальше