Sophie nickte, während sie mit aller Kraft ihre Neugier unterdrückte. Gerne hätte sie gewusst, um was für einen Termin es sich handelte. Doch sie wollte den aktuellen Waffenstillstand nicht sofort wieder zerstören.
„Wo fangen wir an?“, fragte sie daher nur und sah Mario erwartungsvoll an.
„Ich finde, wir sollten gleich oben anfangen“, antwortete er und deutete in die Richtung, aus der sie gerade gekommen war. „Den Verkaufsraum und das Büro haben Sie bereits gesehen.“
Sophie nickte und folgte Mario schweigend in den ersten Stock, während sie sich neugierig umsah. Es gefiel ihr, dass man die Wände nicht einfach weiß gestrichen hatte, sondern sich hier die sanfte hellorange Farbe des Verkaufsbereiches fortsetzte. Auf diese Weise wirkte selbst der Treppenaufgang einladend. Und sie freute sich schon darauf, mit ihrer eigentlichen Arbeit zu beginnen.
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg , dachte sie fassungslos, als sie die oberen Räume erreichten. Die beiden Zimmer, von denen später der Onlineshop aus betrieben werden sollte, waren völlig zugestellt mit Kartons und anderen Möbelstücken.
Entsetzt sah Sophie sich um.
„Was …?“, begann sie zu sprechen, doch ihre Stimme versagte.
So hatte sie sich ihren neuen Arbeitsbereich nicht vorgestellt.
„Mir ist klar, dass es im Moment ziemlich chaotisch aussieht“, sagte Mario entschuldigend. „Wir haben in den letzten Tagen einfach nur alles hier oben reingestellt, weil wir im Lager keinen Platz mehr hatten. Die Verzögerungen durch die Malerarbeiten im Verkaufsbereich haben uns im Zeitplan stark zurückgeworfen. Doch in den nächsten Tagen werden die Kisten nach und nach verschwinden.“
Sophie nickte nur und seufzte auf.
„Matthias hat mir von den Verzögerungen erzählt“, gab sie angespannt zu. „Aber nicht, dass meine Räume gerade als Lager benutzt werden.“
„Wir haben nicht damit gerechnet, dass Sie so früh aus Amerika zurückkommen“, versuchte Mario, die Situation zu erklären. „Und Matthias hatte hiermit kein Problem.“
Früh , dachte Sophie ungläubig. Eigentlich hatte sie schon vor Monaten nach Deutschland zurückkehren sollen. Doch sie verkniff sich die Antwort und wandte sich wieder Mario zu.
„Schon in Ordnung. Im Moment ist die Eröffnung der Filiale sowieso wichtiger. Hier oben werde ich anfangen, wenn unten alles fertig ist.“ Dann wechselte Sophie das Thema. „Können Sie mir vielleicht noch zeigen, wo Matthias‘ Arbeitsplatz ist. Er hat mir angeboten, in seiner Wohnung zu übernachten.“
„Natürlich. Kommen Sie“, erwiderte er ernst und ging zurück zur Treppe. „Seine Tasche befindet sich im Aufenthaltsraum der Mitarbeiter. Dort befindet sich auch eine Kaffeemaschine, falls Sie etwas trinken wollen.“
Sophie nickte und folgte dem Filialleiter nach unten. Gerne hätte sie sich auch den Verkaufsraum in Ruhe zeigen lassen, doch Mario führte sie direkt in den Bürobereich zurück. Dabei sah er immer wieder auf die Uhr und wirkte mit jedem Mal ungeduldiger. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus.
„Sie können ruhig zu Ihrem Termin fahren“, sagte Sophie lächelnd, als er ihr eine Tasse Kaffee reichte. „Ich komme schon klar. Ich werde mich einfach an Ihre Mitarbeiterin hängen.“
Mario nickte und sah noch einmal auf die Uhr.
„Tun Sie das“, erwiderte er geistesabwesend. „Solange sich Frau Herzog noch im Krankenhaus befindet, kümmert sich Frau Farber um die Arbeiten im Verkaufsbereich. Wenden Sie sich einfach an sie, wenn Sie irgendwelche Fragen haben. Wir können uns ja morgen noch einmal in Ruhe unterhalten. Dann ist auch Matthias wieder da.“
Ohne ein weiteres Wort verließ Mario den Aufenthaltsraum und Sophie sah ihm fragend nach. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. Zwar hatte er sich für sein schlechtes Verhalten ihr gegenüber entschuldigt. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass er sie loswerden wollte. Außerdem hatte er teilweise so abwesend gewirkt, als würde er mit seinen Gedanken ganz woanders sein. Irgendetwas beschäftigte ihn, da war sie sich ganz sicher. Und auch wenn sie dafür keine Beweise hatte, schien es nichts, mit seiner Arbeit zu tun zu haben.
„Und wenn schon, es geht mich nichts an“, sagte Sophie leise und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.
Sie musste sich endlich diese Neugierde abgewöhnen. Schließlich war dieser Mann nicht dazu verpflichtet, ihr alles zu erzählen. Auch, wenn er für ihre Familie arbeitete.
Um sich abzulenken und um nicht länger über Mario Hebbeler nachgrübeln zu müssen, stand sie auf und ging in den Verkaufsbereich zurück. Suchend sah sie sich nach Lisa Farber um, doch sie war nirgendwo zu sehen. Verwirrt machte sie sich auf die Suche. Bis sie im Lager schließlich fündig wurde.
„Verdammt, hier muss es doch irgendwo sein.“
Schon von Weitem hörte Sophie die Verkäuferin fluchen und ging lächelnd auf sie zu. Sie schien etwas zu suchen, denn sie hatte bereits einige Kartons geöffnet und anschließend zur Seite gestellt.
„Na endlich“, erklang erneut ihre Stimme. „Ich wusste doch, dass es hier oben ist.“
„Kann ich Ihnen helfen?“, wollte Sophie vorsichtig wissen, um die Mitarbeiterin nicht zu erschrecken.
Doch sie hatte keinen Erfolg. Denn kaum hatte Sophie ihre Frage gestellt, zuckte die junge Frau zusammen und sah sich erschrocken um. Dabei ließ sie die Hose fallen, die sie gerade noch in der Hand gehalten hatte.
„Frau de Luca“, sagte Lisa, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. „Ich habe Sie gar nicht kommen hören.“
„Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken“, entschuldigte sich Sophie und ging näher auf die junge Frau zu. „Eigentlich wollte ich nur meine Hilfe anbieten. Herr Hebbeler meinte, ich solle mich an Sie wenden.“
„Also, ich …“, erwiderte die Verkäuferin stotternd und sah Sophie irritiert an.
Sie schien sich mit dieser Aufgabe nicht wohlzufühlen. Und das konnte man ihr auch nicht einmal verdenken.
„Tun Sie einfach so, als wäre ich eine Ihrer Kolleginnen“, kam Sophie ihr daher entgegen. „Sagen Sie mir einfach, wo noch Hilfe benötigt wird.“
„Na ja“, sagte Lisa immer noch verunsichert. „Ein paar der Kartons müssen nach unten gebracht werden, damit wir die Sachen später einräumen können. Aber …“ Wieder stockte die junge Frau mitten im Satz und betrachtete Sophie skeptisch. „Dafür sind Ihre hellen Sachen nicht besonders gut geeignet.“
Sophie sah an sich herunter und musste der Mitarbeiterin recht geben. Ich hätte etwas anderes anziehen sollen , ging es ihr durch den Kopf. Aber wie hätte ich ahnen können, dass mein erster Arbeitstag gleich heute beginnt.
„Eigentlich wollte ich heute einkaufen gehen“, erklärte Sophie der jungen Frau. „Fast alle meine Sachen sind noch auf dem Weg von Amerika nach Deutschland. Das hier stammt noch aus meiner Schulzeit.“
Ein schwaches Lächeln huschte über Lisas Gesicht.
„Von mir aus können Sie gerne einkaufen gehen. Ich bekomme das schon hin“, versicherte sie. „Meine Kollegen müssten jeden Moment eintreffen und es stehen sowieso noch nicht alle Möbelstücke an ihrem endgültigen Platz. Daher können wir noch nicht alles einräumen. Morgen wollten sich Matthias und Herr Hebbeler als Erstes darum kümmern. Jedenfalls war das so geplant, bevor …“
Lisas Stimme brach ab und sie sah Sophie verwirrt an.
„Matthias ist morgen auf jeden Fall wieder da“, versicherte Sophie mit ernster Miene und atmete tief durch.
Sie fühlte sich schlecht. Scheinbar legte nicht nur der Filialleiter mehr Wert auf die Anwesenheit ihres Cousins als auf ihre.
Ich muss ihn fragen, wie er das geschafft hat , ging es ihr durch den Kopf und sie sah sich unschlüssig um. Vielleicht sollte sie sich wirklich erst einmal etwas Vernünftiges zum Anziehen kaufen. Etwas, was man auch während der noch anstehenden Arbeiten tragen konnte. Dann würde sie sich bestimmt auch besser und nicht mehr ganz so nutzlos fühlen.
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