„Es ist alles in Ordnung“, erwiderte er daher nur, während er Sophie einen kurzen Blick zuwarf.
Jedoch musste er später noch mal ein ernstes Wort mit ihm sprechen. Dieser hätte ihn ruhig vorwarnen können, was da auf ihn zukam.
„Wieso rufst du mich dann an? Du weißt doch, dass ich heute zu Christian nach Judenburg fahren wollte.“
Matthias‘ irritierte Stimme riss Mario aus seinen Gedanken und er zwang sich, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.
„Sicher weiß ich das“, erwiderte er schnell und stand auf. „Nur hier ist jemand, der mit dir sprechen möchte. Ich reich dich mal weiter.“
„Hier“, sagte er leise und gab das Handy an Sophie weiter. Dabei bemühte er sich, nicht noch einmal ihre Hand zu berühren. Dann stand er auf und verließ das Büro.
Schweigend nahm Sophie das Smartphone entgegen und starrte ihm wütend nach. Da er sich aber nicht noch einmal zu ihr umdrehte, bekam er es gar nicht mit und sie stöhnte frustriert auf. So hatte sie sich ihre erste Begegnung mit Mario Hebbeler nicht vorgestellt.
Dann fiel ihr Blick auf das Handy in ihrer Hand und sie hielt es sich ans Ohr. Sie konnte sich später noch mit dem Filialleiter und seiner eher unfreundlichen Begrüßung auseinandersetzen.
„Hallo Matt“, begrüßte sie ihren Cousin schnell und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
„Sophie?“, fragte Matthias überrascht, bevor sie auch nur die Gelegenheit hatte, nach dem Grund seiner Reise zu fragen. „Was machst du denn in Wien? Ich dachte, du wärst noch in Los Angeles.“
Ist das sein Ernst , ging es Sophie durch den Kopf und sie stand auf. Angespannt ging sie im Büro hin und her. Irgendetwas Schreckliches war auf der Farm passiert. Etwas so Schlimmes, dass Matthias hier alles stehen und liegen gelassen hatte, um nach Hause zu fahren. Und das Einzige, was ihn interessierte, war der Grund, warum sie nicht mehr in Amerika war?
„Ich bin am Wochenende zurückgekommen“, sagte Sophie ernst. „Gestern war ich bei Alexander, der hat mir von dem Feuer erzählt. Ich bin froh, dass niemand ernsthaft verletzt wurde. Aber …“
Erneut wurde sie unterbrochen.
„Das hat mir dein Bruder gar nicht erzählt“, antwortete Matthias deutlich verwirrt. „Ich habe versucht, dich anzurufen.“
„Ich weiß“, gab sie zu. „Doch als du in Los Angeles angerufen hast, war ich bereits auf dem Weg zum Flughafen. Und mein Handy hat plötzlich den Geist aufgegeben. Wahrscheinlich ist der Akku kaputt“, ergänzte sie und stöhnte innerlich auf.
Das war nicht das Gespräch, das sie mit Matthias führen wollte. Aber wenn er sich dafür Zeit nahm, konnte sein Grund, nach Hause zu fahren, nicht allzu ernst sein. Was sie im Grunde noch mehr verwirrte. Denn wieso hatte er damit dann nicht bis zum Wochenende gewartet? Doch sie hielt sich mit einer Bemerkung zurück.
„Verstehe“, erklang nach kurzem Schweigen wieder die Stimme ihres Cousins. „Wann fliegst du zurück?“
Und obwohl die Situation alles andere als lustig war, musste Sophie bei diesen Worten lächeln. Es war abgesprochen gewesen, dass er sie in der Wiener Filiale vertreten würde, bis ihre Arbeit in Amerika abgeschlossen war. Und er hatte das wirklich gut gemacht. Doch statt sich jetzt darüber zu freuen, dass sie endlich nach Hause gekommen war, ging er davon aus, sie wäre nur für einen Besuch nach Deutschland zurückgekommen. Dabei hatte seine Vertretung schon länger gedauert, als ursprünglich geplant.
„Ich kehre nicht in die USA zurück, Matt“, erwiderte Sophie belustigt. „Mein Projekt dort ist abgeschlossen und ich wollte nach Hause. Gestern kurz nach deinem letzten Anruf habe ich Alexander über meine Rückkehr informiert.“, erklärte sie ihm. „Er meinte, ich solle dir bei den Problemen in Wien helfen. Also habe ich mir meine Sachen geschnappt und bin heute Morgen von Stuttgart nach Wien geflogen. Aber du warst nicht da.“
Kaum hatte Sophie ihre Erzählung beendet, musste sie über sich selbst lächeln. Zwar war die Geschichte nicht gelogen, doch ganz die Wahrheit hatte sie auch nicht gesagt. Denn sonst hätte sie noch erwähnen müssen, wie unerwünscht sie sich durch das Verhalten von Mario Hebbeler vorgekommen war. Aber sie wollte diese Geschichte nicht zu ernst nehmen. Und schon gar nicht, dass Matthias oder ein anderes Mitglied ihrer Familie davon erfuhr. Sie und der Filialleiter hatten einfach einen schlechten Start gehabt. Das würde sich mit der Zeit schon legen.
„Was ist eigentlich passiert?“, wechselte Sophie das Thema, um endlich auf den Grund ihres Anrufs zurückzukehren. „Du fährst doch bestimmt nicht grundlos so plötzlich nach Hause.“
„Es ist etwas Persönliches“, erwiderte Matthias ausweichend, ohne genauer darauf einzugehen. „Weißt du schon, wo du schlafen wirst?“
Überrascht ließ sich Sophie wieder auf einen der Stühle fallen, denn normalerweise hatten sie keine Geheimnisse voreinander. Im Gegenteil , ging es ihr durch den Kopf. Schon als Kinder waren sie enge Vertraute gewesen. Da sich ihr Bruder Domenik jahrelang die Schuld an der Entführung ihrer jüngeren Schwester Nicole gegeben hatte, wollte sie ihn nicht noch mit ihren Problemen belästigen. Und ihre anderen Geschwister waren entweder einige Jahre älter oder jünger als sie und hatten ganz andere Interessen gehabt.
Bei Matthias war es ähnlich gewesen, erinnerte sich Sophie und musste lächeln. Das hatte sie zusammengeschweißt. Fast täglich hatten sie miteinander telefoniert oder sich E-Mails und SMS geschickt, um den anderen auf dem Laufenden zu halten. Daran hatte sich auch nichts geändert, als sie älter geworden waren. Dass er ihr jetzt nicht die Wahrheit sagen wollte, verletzte sie schon ein bisschen. Obwohl , musste sie zugeben. Ich war ja auch nicht ganz ehrlich zu ihm.
„Du willst also nicht darüber sprechen, das muss ich akzeptieren“, sagte sie daher nur, ohne ihn weiter zu bedrängen. Er würde schon mit ihr reden, wenn er so weit war. „Was die Übernachtung betrifft“, beantwortete Sophie seine Frage. „Da habe ich mir noch keine Gedanken gemacht“, gab sie zögernd zu. „Ich werde wohl erst einmal ins Hotel gehen müssen.“
„Oder du wohnst bei mir“, bot Matthias ihr an. „Ich habe am Wochenende mein Türschloss ausgewechselt, da sich meine Exfreundin plötzlich in meiner Wohnung befand. Der Ersatzschlüssel liegt in meiner Aktentasche. Bitte Mario einfach darum, dir meinen Platz zu zeigen. Manuelas altes Zimmer ist so gut wie leer. Und ich weiß doch, wie ungern du im Hotel übernachtest. Außerdem komme ich heute Abend noch nach Wien zurück.“
„Danke“, erwiderte Sophie und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ich nehme dein Angebot gerne an.“
Denn es stimmte, sie hatte Hotels noch nie viel abgewinnen können. Sie liebte es, flexibel zu sein. Und wollte sich nicht von den vorgegebenen Zeitplänen des Hotels einschränken lassen. Besonders, da ihre Arbeitszeiten mitunter sehr unterschiedlich waren.
„Aber du musst nicht unbedingt zurückkommen“, ergänzte sie belustigt. „Du hast schon so viel Zeit für mich geopfert und dafür bin ich dir auf ewig dankbar. Aber jetzt bin ich hier. Kümmere dich in Ruhe um dein Problem.“
„Ich habe etwas angefangen, also bringe ich es auch zu Ende“, erwiderte Matthias. „Außerdem, bei allem, was bis zur Eröffnung noch gemacht werden muss, wird gerade jede Hand gebraucht.“
Dabei klang seine Stimme so bestimmt, dass Sophie keinen Versuch unternahm, ihm zu wiedersprechen. Denn er hatte recht. Überall hatten Kartons herumgestanden, als sie vorhin angekommen war, und die meisten Regale waren noch leer gewesen. Wenn sie pünktlich fertig werden wollten, mussten sie sich beeilen. Denn so wie der Raum bisher aussah, konnten sie die Filiale auf keinen Fall eröffnen.
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