Suchend sah Sophie sich nach Mario Hebbeler um. Und es dauerte nicht lange, bis sie ihn entdeckte. Kaum hatte sie nämlich die Tür zum Verkaufsbereich geöffnet, fiel ihr Blick auf den kräftig gebauten Mann, der sich mit einer jungen schwarzhaarigen Frau unterhielt.
Lisa Farber , ging es ihr durch den Kopf, als sie sich an den Namen der Mitarbeiterin erinnerte. Sie war die Angestellte, die bereits ein kleines Kind hatte.
Lächelnd wollte Sophie auf die beiden zugehen, um sich den Rest der Filiale zeigen zu lassen. Aber irgendetwas hielt sie zurück. Sie konnte es nicht erklären. Doch die Art und Weise, wie die beiden miteinander sprachen und sich ansahen, verwirrte sie. Irgendwie schien die beiden mehr zu verbinden als eine einfache Chef-Angestellten-Beziehung. Und sie wünschte sich, sie könnte verstehen, worüber die beiden miteinander sprachen.
Irgendetwas ist zwischen den beiden , dachte Sophie verwirrt, und das gefiel ihr ganz und gar nicht. Dabei konnte sie nicht einmal erklären, warum das so war. Schließlich waren Beziehungen zwischen den Mitarbeitern in ihrem Unternehmen nicht verboten. Es gab somit keinen Grund, daraus ein Geheimnis zu machen. Jedoch hatte Mario Matthias versichert, dass es zwischen ihm und der jungen Frau keinerlei Verbindung gab. Und dass ihre frühere Anstellung in seiner alten Firma nicht der Grund war, warum er ihr hier diese Stelle als Verkäuferin gegeben hatte.
Doch wenn sie die beiden jetzt so ansah, fiel es ihr schwer, an diese Geschichte zu glauben. Sie wirkten zu vertraut, das konnte kein Zufall sein. Sie musste dieser Sache auf jeden Fall nachgehen. Dabei redete sie sich selbst ein, dass sie dabei nur das Wohl der Firma im Kopf hatte und es nichts Persönliches war. Schließlich war es wichtig, für einen reibungslosen Ablauf in der Wiener Filiale zu sorgen. Und dafür waren geeignete Mitarbeiter unerlässlich.
Als hätte der Filialleiter ihre Blicke gespürt, drehte er sich plötzlich um und kam auf sie zu. Der freundliche Blick, mit dem er bis vor Kurzem noch seine Mitarbeiterin betrachtet hatte, war einer ernsten Maske gewichen. Und Sophie lief ein kalter Schauer über den Rücken. Was hat er nur gegen mich? , fragte sie sich verwirrt. Schließlich waren sie sich heute zum ersten Mal begegnet. Trotzdem benahm er sich so, als hätte sie ihm irgendetwas getan. Und langsam wusste sie nicht mehr, ob sie wütend oder verletzt sein sollte.
„Herr Hebbeler“, sagte Sophie angespannt, als dieser, ohne ein Wort zu sagen, an ihr vorbeigehen wollte. „Wir sollten miteinander reden.“
Etwas verwirrt sah Mario sie an, so als hätte er sie vorher gar nicht wahrgenommen. Das machte Sophie nur noch wütender. Schließlich sollten sie zusammenarbeiten. Leider machte er ihr diese Sache nicht besonders leicht.
„So geht das nicht“, sagte sie daher ernst. „Wenn Sie ein Problem mit mir haben, sagen Sie es einfach. Sie müssen mich nicht ignorieren.“
„Ich habe Sie nicht ignoriert“, erwiderte Mario gereizt und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Ich war nur mit meinen Gedanken woanders. Schließlich muss ich mich um die Eröffnung dieser Filiale kümmern. Und Ihr Cousin ist nicht da, um mir zu helfen.“
„Matthias wird heute Abend nach Wien zurückkommen, um weiter bei den Vorbereitungen zu helfen“, antwortete Sophie kühl. „Er wird Ihnen also morgen wieder zur Verfügung stehen. Solange werden Sie mit mir vorliebnehmen müssen, wenn es Ihnen keine Umstände macht. Ich bin ebenfalls hier, um zu helfen. Wenn es also etwas gibt, was ich übernehmen soll …“
Schweigend sah Mario sie an, ohne auf ihr Angebot einzugehen. Dann betrachtete er ihre Kleidung und schüttelte mit dem Kopf.
„Sie sehen nicht so aus, als wären Sie zum Arbeiten hier.“
Noch deutlicher hätte er es nicht sagen können, dass er in mir keine große Hilfe sieht , dachte sie wütend. Dabei war sie es, die ein abgeschlossenes Studium in Betriebswirtschaft hinter sich hatte. Matthias war nur eingesprungen, weil sie noch in Amerika festgesessen hatte. Doch sie würde sich von diesem Mann nicht unterkriegen lassen. Auch ihre Kollegen in Los Angeles hatten sie am Anfang unterschätzt. Ihre Einstellung aber ziemlich schnell ändern müssen. Sie war kein verwöhntes Modepüppchen, das vom Geld ihrer Familie lebte. Sie war bereit, hart zu arbeiten, und das würde sie diesem Mann auch beweisen. Denn sie gehörte nicht zu denen, die schnell aufgaben.
„Ich komme gerade erst aus Amerika zurück“, erwiderte sie kühl und stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Fast alle meine Sachen sind noch auf dem Weg nach Deutschland. Meine Auswahl an Kleidungsstücken ist im Moment daher nicht besonders groß. Und da Matthias nicht in seiner Wohnung gewesen ist, konnte ich mein Gepäck auch nicht abstellen und einkaufen gehen.“
„Es …“, versuchte Mario, zu antworten. Aber Sophie war so sauer, dass sie ihn nicht zu Wort kommen ließ, sondern einfach weitersprach.
„Natürlich ist mir klar, dass das nicht die passende Arbeitskleidung ist. Doch im Grunde geht Sie das überhaupt nichts an“, wies sie ihn wütend zurecht. „Nach allem, was mir mein Bruder und mein Cousin über Sie erzählt haben, hätte ich nie gedacht, dass Sie so kleinlich sind und andere nach ihrem Aussehen beurteilen. Ich habe mein Studium in Betriebswirtschaft als einer der Besten abgeschlossen. Habe bereits während meines Studiums in der Filiale meines Bruders in München ausgeholfen. Und diese für ein paar Wochen selbstständig geleitet. Außerdem habe ich über ein Jahr bei einem amerikanischen Modelabel gearbeitet und dort beim Aufbau einer neuen Filiale geholfen. Ich kann Ihnen also versichern, dass ich die Leitung des neuen Onlineshops nicht nur bekommen habe, weil Alexander mein Bruder ist. Ich weiß, was ich tue. Auch wenn ich einmal nicht in der üblichen Bürokleidung zur Arbeit komme.“
Schweigend sah Mario Sophie an, deren grüne Augen vor Wut funkelten. Ich bin zu weit gegangen , ging es ihm durch den Kopf und er verfluchte sich selbst. Zwar hatte er sie nicht absichtlich ignoriert. Doch dass er sie anhand ihrer Kleidung eingeschätzt hatte, das stimmte. Woher hätte er auch wissen sollen, dass dies nicht ihre typische Garderobe war.
Trotzdem , ging es ihm durch den Kopf. Wirklich besser fühlte er sich nach ihrer Erklärung nicht. Im Gegenteil. Jetzt fragte er sich nur noch mehr, warum sie nach Wien gekommen war. Denn für die Leitung eines Onlineshops war sie deutlich überqualifiziert.
„Es tut mir leid“, versuchte Mario es erneut und diesmal ließ Sophie ihn zu Wort kommen.
Das Letzte, was er wollte, war sie zu verärgern. Immerhin war sie die Schwester seines Chefs. Und auch wenn er noch nicht genau wusste, was seine alten Freunde von ihm wollten, seinen Job durfte er nicht verlieren. Dafür hatte er in den letzten Jahren zu hart gearbeitet.
„Durch den Brand in der alten Filiale bin ich im Moment nicht besonders gut drauf“, versuchte er, sein Verhalten zu erklären. Auch wenn es nicht ganz die Wahrheit war. „Schließlich wurde dabei eine meiner Mitarbeiterinnen verletzt.“
Sophie musste schlucken, als sie seine Worte hörte, und schalte sich selbst. Natürlich , ging es ihr durch den Kopf. Wie konnte ich das vergessen? Selbstverständlich war er im Moment ziemlich durch den Wind. Immerhin hätte sich diese Kollegin auch noch schwerer verletzen können.
„Wie geht es ihr denn?“, fragte sie daher mitfühlend und drängte ihren Ärger zurück.
„Schon besser“, erwiderte Mario knapp. „Ende der Woche kann sie das Krankenhaus verlassen. Sie hatte großes Glück. Soll ich Ihnen jetzt die anderen Räume zeigen?“, wechselte er das Thema und schenkte ihr ein schwaches Lächeln. „Ich habe später noch einen auswärtigen Termin.“
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