1 ...7 8 9 11 12 13 ...33 So brauchte sie nicht schreien. Das Zimmer ihres Vaters lag eh auf der anderen Seite und Sam war nicht da. Einmal hatte sie ausprobiert, wie laut sie eigentlich das Radio machen konnte, ohne dass ihr Vater sich gestört fühlte. Sie war mehrfach hin- und hergelaufen. Am Ende war sie zufrieden, denn sie konnte es relativ laut drehen. Auch unten, im Wohnzimmer, hörte man es nicht.
»Ach, übrigens, bevor ich es vergesse«, fiel ihr zwischen zwei Kapiteln ein, »Steve kommt morgen zu uns. Er will bis Sonntag bleiben und Sam meinte, ich soll dich auf jeden Fall einladen!«
»Schön, klar, ich komme gerne vorbei. Ich wollte sowieso fragen, ob ich morgen Nachmittag zu dir kommen kann.
Wie lange musst du eigentlich arbeiten?«
»Von neun bis zwei oder so. Wundere dich aber nicht, wenn die Jungs mich aufziehen. Ich denke mal, sie werden mich auch mit oder wegen dir necken«, erklärte sie.
»Alles klar.« Er musste ein Grinsen unterdrücken.
»Ich denke mal, sie werden nicht glaube, dass wir nur Freunde sind.«
»Sind wir?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Glaub schon. Wie du schon bemerkt hast, wir schwimmen auf einer Wellenlänge. Und ich nehme an, wir können uns schon als Freunde betrachten, da wir viel übereinander wissen. Ach ja, und du hast mich schon im Pyjama gesehen!«, lachte sie.
»Dann sind wir auf jeden Fall Freunde«, bestätigte Thomas.
»Meinst du nicht?«
»Doch, klar. Ich hätte nur nicht gedacht, dass du das auch schon so siehst.«
Sie zuckte mit den Schultern. Sie unterhielten sich über die merkwürdigsten Dinge, aber es passte einfach und sie fühlte sich wahnsinnig wohl in seiner Gegenwart.
»Warum auch nicht.« Lydia musste plötzlich gähnen und Tom sah erschrocken auf seine Wanduhr.
»Oh, schon kurz vor elf. Du musst langsam schlafen.«
»Ja, das denke ich auch. Und du? Liest du noch?«
»Ich werde auch gleich schlafen gehen.«
Sie lächelte.
»Gute Nacht, Tom. Bis morgen!«
»Schlaf schön, Lydia und viel Spaß und Glück morgen.«
»Danke!« Sie schloss das Fenster. Zog ihre Strickjacke aus, ohne ans Licht zu denken, und machte dann die Jalousie runter, aber nicht ganz.
Einen Spalt ließ sie offen. Sie schaltete das Licht aus. Schlafen konnte sie aber noch nicht. Sie schaute durch den kleinen Schlitz zu Tom rüber und sah, dass auch er ab und zu zu ihr spähte. Dabei trafen sich ihre Blicke und sofort verkroch sich Lydia unter ihre Bettdecke.
3. Ein Tag, der alles ändert
Ihr Wecker klingelte um 7 Uhr 30.
Lydia machte die Jalousie hoch und öffnete das Fenster, sog die frische und kühle Luft ein und ging schließlich nach unten, um Kaffee aufzusetzen. Ihr Vater schlief am Wochenende immer bis 8 Uhr, während Sam erst nachts nach Hause kam und nicht vor Mittag aufstand.
Kurz bevor sie in die Küche kam, drang bereits der Duft von frischem Kaffee zu ihr durch und sie wunderte sich.
»Guten Morgen, Schwesterchen!«
»Steve!« Sie fiel ihm um den Hals. »Ich dachte, du kommst erst heute Nachmittag.«
»Ich wollte dich noch sehen, bevor du an die Arbeit musst und dir viel Glück wünschen!«
Er sah sie an und musste über ihren kurzen Pyjama lachen.
»Danke.« Sie setzte sich.
»Lydia, es tut mir leid!«
»Was denn?«, hakte sie überrascht nach.
Er stand auf, um ihr eine Tasse Kaffee einzugießen, und druckste etwas herum, ehe er sich räusperte.
»Das ich dich drängen wollte, weiter zur Schule zu gehen und irgendwas zu studieren.«
»Ach, schon vergessen.« Sie machte eine abfällige Handbewegung. »Das war die Sorge eines Bruders.«
In der Zwischenzeit hatte er ihr ein Brötchen mit Marmelade gemacht. Er brauchte diese Beschäftigung, denn so konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht wahrnehmen.
»Ich habe nachgedacht«, meinte der Brünette und setzte sich wieder. »Wenn du wirklich Buchhändlerin werden willst, unterstütze ich dich voll und ganz. Du kennst dich mit Büchern aus und ich denke mal, du passt ganz gut in den Laden von Madlen. Du strahlst immer so, wenn du über Bücher redest und das sollst du beibehalten.«
»Danke.«
»So, das wäre also gesagt. Sam hat gemeint, du hast einen Freund?!«, fragte ihr Bruder sie neugierig, legte seinen Kopf etwas schief und zog eine Augenbraue hoch.
»Tom? Ja, aber wir sind wirklich nur Freunde. Du hast ihn ja am Donnerstag gesehen.«
»Ja, und ich hab gesehen, wie du ihn angesehen hast und wie er dich. Da lag schon was in der Luft.«
Sie verschränkte ihre Arme und tat so, als sei sie leicht eingeschnappt. Lydia atmete tief durch und erzählte ihm, was am Tag zuvor alles geschehen war. Das Tom sie kurz vor der Schule eingeholt hatte und sie schließlich auch abholte.
»Du solltest dich doch auf die Aufgaben konzentrieren und nicht nach Jungs Ausschau halten!«, belehrte er sie und lachte dabei selber.
»Hab ich ja. Nur in meinen Denkpausen«, sie hob ihre Arme hoch, so dass Steve ihren Bauch sehen konnte, »hab ich eben aus dem Fenster geschaut.« Schließlich erzählte sie ihm ganz genau was passierte, wie sich Svenja verhalten hatte und strahlte, als sie über Toms Reaktion berichtete. Lydia vertraute Steve alles an. Sie verstanden sich blind und konnten auch mit dem Humor des anderen sehr gut umgehen.
»Scheint ein netter Junge zu sein.«
»Ja, das ist er. Ich hab ihm noch die Gegend hier gezeigt und dann sind wir zu ihm.
Papa hat ihn aber vorher noch gesehen, da ich ihm Bescheid sagte, dass ich zu den Nachbarn gehe.
Tom hat mir dann das Haus gezeigt - wirklich krass, total schick und elegant mit Kamin und so was. Dann sind wir in sein Zimmer.«
»Und, was habt ihr da gemacht?« Steve zog die linke Augenbraue hoch, als würde er sonst was erwarten.
»Wir haben seine CDs sortiert«, erwiderte sie.
»Ja, ja, das hätte ich jetzt auch behauptet!«
»Hey«, sie hob ihre Hände, »du kennst mich doch. Was du immer gleich denkst. Seine Mutter hat uns dann zum Kaffee gerufen.«
»Hast du gesagt, dass du keine Milch verträgst?«
»Natürlich. Und weißt du was? Tom verträgt auch keine Milchprodukte! Das ist komisch.«
»Was für ein Zufall!«, bestätigte Stephen.
Sie biss von ihrem Brötchen ab und nahm einen Schluck vom Kaffee.
»Ja, und seine Mutter hatte Kuchen gekauft, der eben aus laktosefreien Zutaten war.« Dann musste sie an das denken, worüber sie sich gestern ebenfalls unterhalten hatten. In der Nacht träumte sie von ihrer Mutter, einer Frau, der sie nie begegnet war. All die Fragen, brachten es wieder zum Vorschein. Schon früher hatte sie solche Träume gehabt. Manchmal schwebten Bücher in der Luft und eine Frau fing sie auf, um dann zu sagen: ›Lydia, was für ein schöner Name.‹ Es verwirrte sie stets, doch sie hatte noch nie mit jemanden darüber gesprochen.
»Was ist denn?«
»Ach, nichts.«
Er guckte sie skeptisch an, denn er spürte sofort, wenn sie was bedrückte.
»Steve! Dachte ich mir doch, dass ich dein Auto vorhin gehört habe!«
»Morgen, Papa!«, riefen beide.
»Ich werde mich mal anziehen gehen«, sagte Lydia, nahm sich die zweite Brötchenhälfte und verschwand.
Читать дальше