»Na mein Mädchen, wieder sicher gelandet?«, sagte er strahlend.
Sie umarmten sich und Florence küsste ihn auf die Wangen.
»Endlich«, sagte sie. »Es ist zwar toll, etwas von der Welt zu sehen, aber der Weg dorthin und wieder zurück ist einfach zu weit.«
»Ich habe jedes Mal Angst, wenn du nach Paris fährst, dass du nicht wiederkommst«, meinte Maurice spöttisch. Er wusste genau, dass dies wahrscheinlich nie geschehen würde.
»Ich glaube das passiert nicht mehr, nicht mehr in diesem Leben«, bestätigte Florence. Sie lachte. »Außerdem habe ich dort ja keinen Privatjet.«
»Oh, Madame, das Lufttaxi steht bereit. Wir brauchen nur noch eure Koffer zu verladen«, scherzte Maurice. »Deine Tasche kannst du mir schon geben.«
Maurice brachte zuerst die Tasche zum Jeep und stellte sie auf den Beifahrersitz. Florence drehte sich um. Der LKW war mittlerweile ebenfalls am Flughafengebäude angekommen. Er hatte nur einen Teil der Fracht aus der Maschine geladen, um zunächst das Gepäck der Passagiere zu bringen. Die Gepäckausgabe erfolgte nicht über ein Transportband, sondern direkt vor dem Flughafengebäude. Die Passagiere stellten sich in eine Schlange und zeigten ihre Flugtickets. Das Gepäck wurde dann direkt aus dem LKW heraus übergeben. Sie gingen gemeinsam hinüber und stellten sich in die Schlange. Bei nur neun Reisenden war Florence schnell an der Reihe. Sie zeigte dem Flughafenmitarbeiter ihr Ticket. Sie hatte gar nicht die Gelegenheit, ihre Koffer selbst zu nehmen. Maurice griff sofort danach und trug sie ebenfalls zum Jeep. Sie fuhren die wenigen Hundert Meter und erreichten die Maschine, die schon für den Start vorbereitet war. Maurice fuhr direkt hinter den Hubschrauber, stieg aus und öffnete die hintere Ladetür. Er klappte die beiden Türflügel weit auseinander. Es standen bereits einige Kartons auf der Ladefläche, direkt neben der Trage. Er schaffte Platz, indem er die vordere Reihe der Kartons vorsichtig nach hinten schob und mit Gurten sicherte. Er lud die Koffer aus dem Jeep und wuchtete sie hoch. Er stellte sie vor die Ladung und sicherte sie ebenfalls mit Gurten. Florence gab ihm noch ihre Reisetasche. Maurice stellte die Tasche zu den Koffern und sicherte sie mit einem extra Gurt. Mit Schwung schlug er die Heckklappen zu und überprüfte noch einmal, ob alles fest verschlossen war.
»Ich fahre den Jeep nur schnell zurück«, sagte er.
Florence nickte. Sie blieb bei der Maschine stehen und sah sich um. Sie sah aufs Meer hinaus. In dieser Richtung lag Hatu Iti, aber sie konnte die Insel natürlich nicht erkennen. Sie war zu weit weg und auch zu winzig. Florence hatte sie bisher nur aus der Luft gesehen. Sie war mehrere Male darüber hinweg geflogen, als sie Maurice nach Eiao begleitete. Es kam eine leichte Brise vom Meer. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Vom Flugplatz her hörte sie ein Hupen. Sie schaute hinüber. Der LKW rangierte immer noch um das Flugzeug herum, mit dem Florence vor zwanzig Minuten angekommen war. Maurice kehrte zu Fuß wieder zum Hubschrauber zurück. Er öffnete die Tür der Kanzel und schwang sich auf den Pilotensitz. Florence stieg von der anderen Seite ein und setzte sich neben ihn. Er gab ihr den Helm mit dem integrierten Mikrophon und setzte seinen ebenfalls auf. Dann klappte er zwei Schalter an der Instrumententafel um.
»Hallo, Florence, kannst du mich über die Kopfhörer verstehen?«, fragte er. »Test, Test, Test.«
»Ja, alles in Ordnung, Test, Test, Test«, bestätigte Florence und hob lächelnd den Daumen.
Florence kannte dieses Prozedere bereits. Sie konnte gar nicht mehr zählen, wie oft sie schon hier auf dem Copilotenplatz gesessen hatte. Maurice hatte ihr auch schon mehr als einmal die Instrumente und Knöpfe erklärt. Sie war sogar schon selbst geflogen, zumindest hatte sie den Steuerknüppel gehalten und hatte unter seiner Anleitung den Hubschrauber geradeaus gelenkt. Bei der Kurve hatte sie das Steuer gehalten und Maurice bediente die Fußpedale.
»Sonst alles in Ordnung bei dir? Bist du angeschnallt?«, fragte Maurice. »Dann starte ich jetzt den Motor.«
Maurice betätigte wieder einige Schalter und drückte dann auf den großen roten Knopf mit der Aufschrift »Engine«. Er musste ihn einige Sekunden gedrückt halten, bis die Turbine ansprang. Das Laufgeräusch wurde immer lauter. Dann kuppelte Maurice den Rotor ein. Die Rotorblätter liefen an und gewannen schnell an Drehzahl, um dann kraftvoll und laut über ihren Köpfen durch die Luft zu schneiden. Spätestens jetzt konnten sich die beiden nur noch über den Sprechfunk verstehen. Maurice trat noch einmal in beide Fußpedale und überprüfte die Funktion des Heckrotors. Über Funk verständigte er sich mit dem Tower. In der Nähe des Flugplatzes brauchte er eine Startgenehmigung. Florence konnte alles mit anhören, auch dieses Prozedere kannte sie so gut, dass sie es hätte selbst ausführen können.
»Ready?«, sagte Maurice schließlich zu ihr.
Er hob jetzt auch den Daumen. Florence nickte und erwiderte das Zeichen. Der Hubschrauber gewann schnell an Höhe. Maurice kreiste über dem Platz. Florence sah unter sich die Turboprop-Maschine der Tahiti Nui. Dann drehte der Hubschrauber ab und sie flogen über die Insel. Ab einer bestimmten Flughöhe konnte sie die gesamte Insel gut überblicken. Sie sah den Mount Tekao, die größte Erhebung und den etwas kleineren Mount Muake. Ihr wurde wieder bewusst, wie klein ihre Welt eigentlich war. Sie überflogen nur wenige Häuser. Zur Küste hin waren mehrere kleinere Dörfer und Orte zu erkennen. Nur der Hauptort Taiohae erstreckte sich über eine größere Fläche. Das Krankenhaus lag am Ortsrand, weit vom Zentrum entfernt. Noch ein Stück weiter außerhalb gab es mehrere bebaute Grundstücke. Eines davon gehörte der Familie Uzar. Es waren fünfzehn Kilometer Luftlinie vom Flugplatz bis nach Taiohae. Der Hubschrauber brauchte dafür keine zehn Minuten. Sie steuerten bereits auf das Krankenhausgelände zu. Ein großes »H« wies den Landeplatz aus. Maurice hielt die Maschine ruhig und ging dann senkrecht tiefer, bis sie sanft auf dem Boden aufsetzten. Er ließ die Rotoren sofort auslaufen. Sie blieben aber noch eine Minute sitzen. Florence nahm ihren Helm ab und Maurice verstaute ihn wieder hinter dem Copilotensitz. Sie hatte ihren eigenen Jeep während ihrer ganzen Abwesenheit auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus stehen gelassen. Beim Anflug hatte sie ihn schon gesehen.
»Ich werde meinen Wagen vorfahren, dann brauchst du die Koffer nicht bis zum Parkplatz schleppen«, schlug Florence vor.
Sie stieg aus und ging in Richtung der Gebäude. Sie hätte noch in der Apotheke vorbeischauen können, aber sie wollte jetzt schnell nach Hause. Sie ging direkt zu ihrem Wagen und fuhr um den Hangar und das Servicegebäude der Hubschrauberstation herum und hielt genau an einem Bein des großen H. Maurice hatte schon die Koffer und die Reisetasche ausgeladen. Er stellte sie auf die offene Ladefläche des Jeeps und deckte sie mit einer Plane zu.
»So Mädchen, jetzt bist du wieder zu Hause.«
Florence stieg aus dem Wagen. »Danke Maurice, danke für den Flug.« Sie küsste ihn wieder auf beide Wangen und stieg dann zurück in ihren Wagen.
Vom Krankenhaus brauchte sie zehn Minuten nach Hause. Sie parkte auf einem Platz vor dem Grundstück. Vom Tor aus führte ein kleiner Weg zu ihrem Haus. Sie beeilte sich, sie wollte sich frisch machen und dann hinüber ins Haupthaus zu ihren Eltern gehen. Bis vor ein paar Jahren hatte sie dort noch selbst gewohnt und sich dann aber auf dem Grundstück ihrer Eltern ein eigenes Haus bauen lassen. Ihr Bruder wohnte mit seiner Familie ein paar Kilometer weiter die Küste hinauf. Sie würde ihn spätestens morgen bei der Arbeit treffen. Die Apotheke hatte auch am Samstag geöffnet, für den Sonntag gab es einen Notdienst. Florence dachte an die Lederhosen, die sie ihrem Bruder gekauft hatte. Einen der Koffer nahm sie sofort mit zum Haus. Sie stellte ihn im Schlafzimmer ab und ging erst einmal unter die Dusche. Eine halbe Stunde später war sie bereits in dem kleinen Pavillon, in dem ihre Eltern mittags oft saßen und etwas aßen. Sie hatte sie gestern Abend das letzte Mal von Tahiti aus angerufen und ihnen mitgeteilt, wann sie wieder daheim sein würde.
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