„Nä, des geht nät!“
„Doch!“, bestanden seine Freunde auf den weiteren korrekten Ablauf.
Sie legten ihm dar, dass es jeden hätte treffen können. Es sei für alle das gleiche Risiko gewesen, doch keiner hätte sich verweigert. Und nun sei halt er wieder dran!
Specki wehrte sich. Er sei noch zu jung und wolle nicht sterben. Das Leben sei doch so schön, verfiel er in philosophische Aussagen, und sie könnten doch noch so viel mit ihm erleben. Er stotterte bei der Anstrengung, nach weiteren Argumenten zu suchen. Sie sagten ihm aber, dass er es machen müsse, es seien eben die Regeln und es ginge um seine Ehre. Ansonsten würden sie ihn festhalten und einer von ihnen würde das dann übernehmen. Er wäre an der Reihe. Basta!
Mit zittrigen Fingern und nun offensichtlicher echter Angst, die sich durch einen roten Kopf mit dicken Schweißperlen auf der Stirn zeigte, nahm Specki den Revolver entgegen. „Ihr seid Mörder!“
Richie fragte ihn mit ernster Miene noch nach seinem letzten Wunsch und ob er seinen Eltern etwas ausrichten solle, aber Specki schüttelte nur hysterisch den Kopf. Langsam führte er den Revolver an die Kopfseite und zitterte umso stärker, je näher er seiner Schläfe kam. Dann presste er die Lippen so fest aufeinander, dass sie ganz weiß wurden, drückte die flatternden Lider zu und zog den Abzug doch tatsächlich durch.
Natürlich klackte es wieder nur ohne weitere Folgen und Specki verstand die Welt nicht mehr. Er saß verstört da, als hätte er ein Ufo gesehen.
Sie erklärten ihm, als er ganz schüchtern fragte: „Bin isch jetzt tot?“, dass er noch auf der guten alten Erde sei und nicht im Himmel. Seine Mimik wechselte ständig zwischen unglaublicher Erleichterung, Erstaunen und Wut, als sie ihm alles erklärten. Specki war total fertig mit den Nerven und im ersten Moment sehr sauer. Aber nicht lange. Specki verzieh schnell und lachte dann mit ihnen gemeinsam über den Gag.
Das zweite Mal, dass sie Specki so richtig auf den Arm nahmen, war schon viel später. Das war bereits in der Lehrzeit oder sie standen schon im Berufsleben und hatten ihre Motorräder.
Ein Teil der Jungs war bei Specki versammelt, der schon als Lehrling eine eigene Bude besaß, als dieser Gag entstand. Specki hatte ihnen von einer unmöglichen Frau berichtet, die unter ihm wohnte. Diese ältere „Dame“ war demnach eine richtig neugierige Klatschtante, die das Haus überwachte. Wenn jemand durch das Treppenhaus ging, stand sie mit Sicherheit hinter der Tür und linste durch den Spion, um zu sehen, wer da kam oder ging. Ebenso wusste sie auch immer sämtliche Neuigkeiten aus dem Haus als Erste und war über alle Vorkommnisse bestens informiert. Specki sagte, das sehe man durch den Spion, ob da jemand dahinter lauerte, denn normalerweise sehe man das helle Licht aus der Wohnung durchscheinen und wenn es plötzlich dunkel würde, lugte eben jemand hindurch. Specki beobachtete dass das immer geschah, wenn man die Treppe hoch- oder herunterkam. Er selbst gewöhnte sich an, immer höflich zu grüßen, wenn er die Türe passierte, und freundlich mit dem Kopf zu nicken. Manches Mal sagte Specki auch nur: „Isch bin’s!“ Das Gesicht, das die Neugierige dann hinter der Tür machte, hätte Specki gerne gesehen.
Auf sein Verhalten sprach sie ihn bis dahin aber nie an oder ließ sonst in irgendeiner Form eine Andeutung ihm gegenüber fallen. Das wäre ja schließlich auch ein Schuldbekenntnis gewesen.
Ständig beschwerte sich dieser Agent in eigener Sache über zu laute Musik, Kinderlärm oder sonstige Geräusche der Mitmieter – niemals allerdings bei dem Nachbarn persönlich, der den Lärm verursachte, sondern immer nur bei anderen. Sie stellte das so hin, als wollte sie sagen: „Das war wieder ein Krach, aber ich will ja nichts sagen, das kann ja mal vorkommen.“
Das seltsame an der Sache war, dass nur sie alleine diese Lärmbelästigungen hörte. Sonst hatte noch kein anderer in dem Haus die Geräusche gehört, über die sie sich ständig beschwerte. Walter konnte sich ebenso wenig wie die übrigen Hausbewohner erklären, wie man in diesem alter Ohren wie ein Luchs haben konnte. Die Mitbewohner amüsierten sich köstlich untereinander über ihre seltsame Hausälteste. Das ganze ging sogar so weit, wie man sich unter den Mitbewohnern erzählte, dass diese Frau des Nachts beziehungsweise abends durch das Treppenhaus schlich, um an den Wohnungstüren zu lauschen. Dabei wurde sie schon von verschiedenen Mietern erwischt, schüttelte aber jedes Mal prompt eine sensationelle Ausrede dafür aus dem Ärmel.
Mit diesen Eigenschaften und der Ausdauer wäre sie sicherlich beim CIA bestens untergebracht, überlegten die Freunde. Die Jungs waren sich sodann auch einig: Der musste man eins auswischen!
Die Palette der Ideen war außerordentlich vielfältig. Einer meinte, man müsse per Nachnahme bei einem Sex-Versand einiges auf ihren Namen bestellen. Das eintreffende Paket würde sie bestimmt annehmen, auch wenn sie sich nicht mehr daran erinnern konnte, etwas bestellt zu haben. Diese Art von Paketen sind ja bekanntlich neutral und unauffällig, damit die Seriosität gewahrt bleibt. Ihre Neugierde würde jedoch siegen, wenn der Paketbote vor ihr stünde. Und mit dem Inhalt des Paketes wäre ihre Freizeit dann vielleicht sogar ausgefüllt und ausgelastet und sie bräuchte nicht mehr aus Langeweile spionieren.
Eine andere Idee war, dass man in einer lokalen Zeitung eine Annonce zur Partnersuche im Namen ihres Mannes aufgeben könne, was sicherlich zu einem herrlichen Ehestreit führen würde, womit sie dann auch erst einmal eine Weile beschäftigt wäre.
Specki hatte sich natürlich auch schon so seine Gedanken gemacht und einen Einfall. Er las einmal, dass man Flöhe oder Läuse züchten könne beziehungsweise dass die sich bilden würden, wenn man in Stroh oder Heu pinkelte. Er wollte ihr davon eine Schachtel voll zuschicken. Auch damit wäre sie dann einige Zeit beschäftigt.
Ein weiterer sehr makaberer Vorschlag war, dass man bei einem Beerdigungsinstitut anrufen könne, um den Namen der Frau anzugeben, so dass sie kamen, um sie abzuholen. Das wäre wohl ein harter Schock für sie, wenn da ein Leichenwagen vor der Tür stehen würde, um sie zu bestatten.
Einer der Gruppe, Stups, nutzte die Gelegenheit, die sich beim Zusammensein und gemeinsamen Grübeln über den passenden Streich bot, um Specki selbst eins auszuwischen. Stups, so genannt, weil er der Kleinste von allen war, schlug in seinem Charakter in Richtung Spaßti. Er war nur gerissener und schelmischer und nicht so sarkastisch in den Ausführungen wie dieser.
Durch ein Blinzeln zeigte er den anderen an, dass er nun Specki an der Nase herumführen wollte. Er erklärte Specki, dass er da etwas wüsste, womit man sicherlich in Bezug auf die Nachbarin etwas anfangen könne. Er wäre sich nur noch nicht sicher, wie man das gegen sie einsetzen könne. Vielleicht fiele ja ihm etwas dazu ein. Stups sagte: „Ich erkläre dir erst einmal, was ich meine.“
Nachdem er Specki gefragt hatte, ob er Eier im Haus habe, brachte der ihm auch gleich einen Zehnerkarton, in dem nur eines fehlte. Stups erläuterte dann mit todernster Miene den um ihn Sitzenden, was für eine unglaubliche Entdeckung er angeblich gemacht hatte. Er wies auf die besondere Form der Eier hin und behauptete, dass sie auf Grund dieser ovalen Gestalt, wenn man sie richtig werfen würde, wie ein Bumerang zurück zum Ausgangspunkt kämen.
Gutgläubig, wie Walter war, schluckte er die Geschichte sofort, als auch die anderen meinten, dass das sehr gut möglich sein könne. Die Eier hätten ja wirklich eine ganz spezifische Form.
Specki hatte auch gleich eine Idee, was mit dieser Erkenntnis anzufangen sei. Sofort versuchte er, sich weit aus dem Fenster lehnend, herauszufinden, ob ein Fenster der Nachbarin unter ihm offen stand, denn mit dieser Comeback-Methode könnte man ein Ei zu ihr in die Wohnung katapultieren und sie würde denken, es wäre von der Straße aus nach oben geworfen worden.
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