Es war die Mofazeit, weiß Richie jetzt wieder. Einen solchen Streich spielte man als Halbwüchsiger.
Spaßti, so genannt, weil er immer nur Unsinn und Spaß im Kopf hatte, war es auch dieses Mal, den dieser harmlose Leser auf eine seiner hinterhältigen Ideen brachte. Nur mit dem kurzen Kommentar „Achdung!“ stand Spaßti auf und schlich sich im Bogen von hinten an den Ahnungslosen heran. Den Weg legte er dabei auf seine ganz eigene Weise zurück. Spaßti lief geduckt mit Katzenbuckel, die Hände wie ein aufrecht stehendes Häschen haltend. Dabei hüpfte er, die Knie bis zur Brust hochziehend, wie Comicfiguren es in Zeichentrickfilmen tun, und sprang zwischendurch wie Stan Laurel senkrecht in die Luft. Durch seine hagere Figur war der Anblick dieser Gangart schon alleine zum Totlachen.
Bei seinem Opfer fast angekommen, kramte Spaßti aus seiner Lederjacke ein Feuerzeug hervor und legte die letzten Schritte vorsichtiger zurück. Der Mann war derart in einen Bericht auf der rechten Seite vertieft, dass er nicht bemerkte, wie Spaßti die linke untere Ecke in Brand setzte. Der Leser wurde auch nicht gleich in den nächsten Augenblicken darauf aufmerksam, was dem Übeltäter genug Zeit ließ, sich weit genug zu entfernen. Sodann postierte sich Spaßti ein gutes Stück entfernt, um den weiteren Ablauf der Dinge zu beobachten, genau wie die anderen.
Die gelben Flammen fraßen sich langsam, aber unaufhaltsam höher, dabei in der Front immer breiter werdend. Erst, als sich die Wärme an den Fingern bemerkbar machte, reagierte der Mann, zuerst mit einem kleinen unterdrückten „Huch!“ und die linke Hand ausschüttelnd. Genau in dem Moment erkannte er aber, dass seine Zeitung in Flammen stand. Er ließ diese auch mit der zweiten Hand los und schrie erschrocken: „Ah! Ah!“ Das Tageblatt schwebte dann ganz langsam brennend zu Boden. Der Geschädigte versuchte jetzt auch noch, mit hektischem Hüpfen das Feuer auszutreten, wobei er sich anscheinend die Zehen verbrannte, die nackt aus den Sandalen hervorschauten, wie seine kurzen Aufschreie vermuten ließen.
Die Jungs bogen sich vor lachen und quiekten vor Vergnügen bei dem Anblick, den der Mann in seiner Verzweiflung ihnen bot. Er hüpfte und trampelte in seinem Bestreben, die Blätter zu löschen, mitten in den Flammen herum. Vielleicht tanzte er auch so, weil ihm die Zehen zu heiß wurden? Die Jugendlichen lachten sich schief bei diesem Gedanken und bei dem Bild, das sie zu sehen bekamen. Insgeheim warteten sie noch darauf, dass er sich die Schuhe ankohlen würde, was aber zum Glück dann doch nicht geschah.
Dann endlich war die gesamte Zeitung verbrannt und das Feuer erloschen und die großen schwarzen Ascheflocken wurden vom Wind davongetragen. Nun sah sich der Mann wütend nach dem oder den Brandstiftern um, weil ihm schon klar war, dass sich das Papier nicht von selbst entzündet haben konnte. Natürlich entdeckte er gleich die Gruppe Jugendliche, die sich immer noch kichernd die Bäuche hielten und zu ihm herüberlachten. Ihm war nicht zum Lachen zumute und er wusste sofort, dass sie seine Zeitung auf dem Gewissen hatten. Mit großen aggressiven Schritten und hochrotem Kopf, begleitet von wild wirbelnden Armen ging er auf die Verursacher des Brandes zu. Die blieben selbstverständlich, keine Angst zeigend, lässig stehen. Sie waren ja in der Mehrzahl und fürchteten sich nicht vor ihm in ihrem Halbstarkenalter, sondern grinsten ihm frech entgegen.
Auf halbem Weg stoppte er daraufhin, als er merkte, dass die Jungs keine Anstalten machten, ihm auszuweichen, und sich ihm vielleicht sogar entgegenstellen würden. Er schrie und schimpfte zu ihnen herüber, kam aber nicht mehr näher. Dann wendete er sich ab und stapfte mit zielsicheren Schritten davon, immer weiter vor sich hin maulend. Was er da von sich gab, verstanden sie nicht, aber einer der Helden meinte, dass der wütende Typ vielleicht zur Polizei gehen würde, um sie anzuzeigen. Daraufhin zogen sie es vor, sich schnell aus dem Staub zu machen. Das wollten sie nicht so genau wissen und herausfinden. So, wie sich der Typ aufführte, würde der sicherlich aus einer Mücke einen Elefanten machen. Und mit der Polente wollten sie wegen eines übermütigen Streichs nichts zu tun haben. Das fehlte ihnen gerade noch. Bei denen würden sie gleich als Schwerverbrecher abgestempelt, dachten sie sich. Einmal aufgefallen, würden sie diese Sache ihr Leben lang bei passender Gelegenheit vorgehalten bekommen. Nein, danke!
Ja, sie waren wirklich eine total verrückte Bande, ständig zu allerhand Unfug und Verrücktheiten aufgelegt, wenn diese auch manchmal etwas zu weit gingen. Die unmöglichsten Vorhaben und Ideen entwickelten sich andauernd irgendwo in den dunklen Gehirnwindungen ihrer Köpfe. „Lieber Unsinn als gar nichts im Kopf“, sagte Richie dazu immer. Manchmal waren sie zwar etwas zu ausgelassen und überdreht, aber wer ist das in seiner Jugend nicht? Jeder hat doch schon als Halbstarker Dinge getan, die er erst als Erwachsener Mann als gefährlich einstufte, weil sie zu unüberlegt und verrückt waren. Die einen mehr, die anderen weniger. Richie und seine Freunde gehörten halt zu denen, die von sich sagen konnten, sie hatten mehr erlebt. So verhielt es sich auch mit dem hinterhältigen Spaß, den sie mit dem bedauernswerten Zeitungsleser anstellten. Hinterher fanden es die meisten doch etwas grob, obwohl sie sich trotzdem jedes Mal vor Lachen ausschütteten, wenn sie sich daran erinnerten. Eine leichte Reue setzte ein und der Mann tat ihnen etwas leid, aber so war das eben mit dem jugendlichen Leichtsinn. In dessen Namen geschahen schon wesentlich schlimmere Handlungen. Meistens trafen ihre Späße nur sie selbst untereinander oder Mitmenschen, die es ihrer Meinung nach verdienten, einen Denkzettel zu bekommen. Unbeteiligte oder unschuldige Leute, so, wie in diesem Fall der Leser im Park, waren definitiv die Ausnahme.
Aber als sie damals aus dem Park heraus waren, war die Flucht vor der vielleicht anrückenden Polizei schon wieder vergessen und Richie hatte einen neuen lustigen Einfall. Zu seinen Kumpels sagte er, sie sollten sich im Gebüsch verstecken und abwarten. Er selbst stellte sich mitten auf den Gehweg. Dann kam auch gleich ein Fußgänger und Richie sprach ihn höflich an: „Entschuldigung, können sie mir bitte sagen, wo die andere Straßenseite ist?“ Richie gab sich echte Mühe, diesen Satz hochdeutsch zu formulieren.
Der angesprochene Herr zeigte Richie nur einen Vogel und ging ohne weiteren Kommentar weiter. Seine Freunde lachten schon darüber wie die kleinen Kinder, obwohl das noch gar nicht der eigentliche Gag war, den Richie darbieten wollte.
Den nächsten Passanten redete Richie im Dialekt an: „Tschuldigung, wo issn die anner Stroßeseit?“
Der Mann sah ihn verblüfft bis verständnislos an und meinte: „Natürlich da drüben“, und deutete mit dem Finger über die Straße.
Richie entgegnete daraufhin: „Komisch, die Leit dort driwe schicke misch imma do rüwer!“
Seine Freunde in ihrem Versteck konnten ihr Lachen dann nicht mehr unterdrücken und brüllten laut los. Dem Fußgänger wurde bewusst, dass er auf den Arm genommen wurde. Er ging einen Schritt zur Seite, um an Richie vorbeizukommen, und murmelte im Weitergehen: „Saubande! So etwas soll mir später einmal meine Rente bezahlen!“
Bei einem weiteren Ereignis, das sich in Richies Gedächtnis fest verankerte, ging es um eine ganz und gar tollkühne bis wahnwitzige Wette, die zwei aus der Clique miteinander abschlossen. Die beiden hießen Horst und Peter. Es ging darum, dass sie beide rauchten und sich dieser Sucht mit normalen Mitteln nicht entledigen konnten. So beschlossen sie, dieses Übel mittels einer Wette loszuwerden. Die üblichen Methoden, die es damals gab, hatten sie jeder für sich alle schon durchprobiert und waren kläglich gescheitert. Durch eine Wette versprachen sie sich einen gewissen Druck hinter den Versuch zu bekommen und so würde es ihnen gelingen, durchzuhalten, dachten sie. Für sie beide war das Schlimmste an der Sucht das Geld, das man im wahrsten Sinne des Wortes bei jedem Zug als Rauch in die Luft blies. Ein wenig dachten die zwei auch an die Gesundheit, die darunter ohne Zweifel ebenfalls litt, aber im Vordergrund stand das Geld, das dabei draufging. Denn gesund waren sie ja und wer denkt als junger Mensch schon daran, was später einmal sein wird? Die Aufklärungskampagnen waren damals auch noch nicht so massiv, wie in der heutigen Zeit. Also überlegten sie sich gemeinsam am Wochenende, als sie in ihrer Stammkneipe versammelt waren, eine Strafwette, die als Anreiz galt. Die sollte dann derjenige einlösen, der nach Abschluss der Abmachung innerhalb eines Jahres wieder anfangen würde, zu rauchen.
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