War es vielleicht ihre Schuld, dass sich ihre Brustwarzen beim Anblick seiner leuchtend blauen Augen aufgerichtet hatten?
Oder war der Vorfall ein gänzlich unerwarteter Wink des Himmels?
Oh, hätte sie doch nur sicher sein können, die rätselhafte Sprache der Vorsehung richtig zu verstehen!
Sie wollte ja aufrichtig das Richtige tun. Das, was die Vorsehung für sie vorgesehen hatte. Denn das war es doch wohl, wofür die Vorsehung von der Vorsehung vorgesehen war.
Aber davon mal abgesehen: Das mit den Brustwarzen war unglaublich aufregend gewesen. Schon weil es so überraschend gekommen war. Sie war sicher, dass der junge Pater nichts bemerkt hatte. Trotzdem hatte sie aus den Augenwinkeln einen Blick aufgefangen, der ganz und gar nicht so keusch gewesen war, wie es sein Gelübde von ihm verlangte.
Ob es ihr wohl verboten war, diesen speziellen Kitzel zu empfinden, wenn sie daran dachte, was ihr Anblick in ihm ausgelöst hatte?
Vermutlich.
Doch sie war nicht sicher.
Dann aber stellte sie sich vor, ihn später zum Beichtvater zu haben. Der Gedanke erschreckte sie. Und war zugleich irgendwie verlockend.
Solange sie sich nicht eingelebt hatte im Kloster, würden die Versuchungen des Fleisches sie gewiss noch eine Weile verfolgen. Sie konnte sich nicht recht vorstellen, dass die leidenschaftlichen Träume von einem Tag auf den anderen aufhören würden, nur weil sie samt ihrem sündigen Körper dem sicheren Gewahrsam der Klostermauern anvertraut sein würde.
Oh, wie schlimm musste es um sie stehen, wenn selbst in dieser Zelle eine Hand die andere festhalten musste, damit keine von beiden den Griff in die unaussprechliche Zone jenseits ihres vibrierenden Beckens wagen konnte! Der Versucher war wohl noch mächtiger, als sie bislang geglaubt hatte.
Und ihre Handschellen waren so fern! Sie, die sie so oft gerettet hatten, wenn sie die Wollust des Fleisches nur durch die Stärke ihres Geistes – und eben durch die Härte der gnadenlosen Stahlringe – im Zaum gehalten hatte.
Ja, sie hatte gekämpft um ihre Reinheit, auch diesmal, und sie hatte nicht aufgegeben. Und doch war sie fast sicher, dass es an diesem Tag nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis sie der Versuchung erlegen wäre.
Bei aller Stärke war etwas in Gabi Schenke schwach. Sogar so schwach, dass sie sich von Herzen danach sehnte, auch einmal wirklich schwach sein zu dürfen. Sich hingeben zu dürfen an das eigene Verlangen, an diese brennende Sehnsucht in ihrem Herzen und in ihrem Schoß, die – hätte sie nur ein einziges Mal die Freuden der Liebe zwischen Mann und Frau erfahren dürfen – vielleicht ganz von selbst restlos verschwunden wäre.
Vielleicht aber auch nicht.
*
Schwester Eulalia schien zu ahnen, dass Gabi nicht ganz anwesend war. Prüfend sah sie der Besucherin ins Gesicht, sprach aber kein Wort.
Sobald sie sich beide zum Gehen wandten, stieß die schöne Buchhändlerin ihrerseits ohne nachzudenken das erste hervor, das ihr in den Sinn kam:
„Bringen Sie mich jetzt zur Domina?“
Schwester Eulalia schüttelte den Kopf:
„Haben Sie das nicht verstanden? Wir haben hier keine Domina.“
„Nicht?“, entgegnete Gabi irritiert.
„Nein. Wir sind kein reicher Orden. Auch kein Stift. Wir nennen unsere Oberin nicht Domina. Bei uns heißt die Äbtissin einfach Priorin.“
„Oh“, erwiderte Gabi überrascht. „Das wusste ich nicht.“
Du hättest es aber wissen müssen, dumme Kuh! , schalt sie sich im Stillen. Es gab unzählige Bücher, in denen so etwas nachzulesen war, und sie wäre die erste gewesen, die das hätte wissen müssen. Allerdings hatte sie die Möglichkeit, eines Tages wirklich ins Kloster gehen zu müssen, immer so vehement verdrängt, dass sie sich ganz gegen ihre Natur überhaupt nicht auf all die Kleinigkeiten vorbereitet hatte, die dabei von Belang waren.
„Warum haben Sie denn die Tür abgesperrt?“
„Um Ihnen Gelegenheit zur Kontemplation zu geben.“
„Aber warum abgesperrt?“
„Damit Sie die Zelle nicht verlassen konnten.“
„Aber warum?“
„Ordensfremden ist es untersagt, sich im Kloster frei zu bewegen.“
„Und wenn ich auf die Toilette gemusst hätte?“
„Haben Sie den Nachttopf nicht gesehen?“
„Aber ich bin eine erwachsene Frau.“
„Demut vor dem Herrn ist die oberste Pflicht der Kandidatin.“
Gabi schwieg. Schon wieder hatte sie den Eindruck, neben der Schwester in ihrer strengen Tracht ihre Weiblichkeit zu sehr in den Vordergrund gespielt zu haben. Aber was sollte sie denn tun gegen dieses Gefühl der Scham, das wie kaum etwas anderes ihr Denken und Fühlen beherrschte?
„Ich hätte mich sehr geschämt“, sagte sie schließlich, eher zu sich selbst.
Schwester Eulalia sah sich dennoch bemüßigt, ihr zu antworten:
„Eitelkeit ist Unbotmäßigkeit im Angesicht des Herrn.“
Das kam tadelnd, wenn nicht sogar herablassend, und zum zweiten Mal an diesem Tag hatte Gabi das Gefühl, in ihrer Gewissenspein auch noch ungerecht behandelt zu werden. Freilich blieb ihr keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Schwester Eulalia klopfte gegen die Tür am Ende des Ganges und nickte Gabi vielsagend zu:
„Versuchen Sie, einen guten Eindruck zu machen! Die Priorin ist sehr streng. Aber sie will nur Ihr Bestes.“
*
Tatsächlich wollte die Priorin alles ganz genau wissen:
„Weshalb ersuchst du um Aufnahme in unsere Gemeinschaft, meine Tochter?“
„Ich möchte unserem Herrn dienen.“
„Das kannst du außerhalb unseres Konvents ebenso tun. In Worten und auch in Taten.“
„Schon. Aber …“
„Aber was?“
„Es ist wegen …“
Gabi Schenke hob zögernd den Blick, senkte ihn aber sofort wieder. Ihr war, als könnte die Priorin tief in ihr Innerstes sehen.
Sie mochte um die fünfzig sein. Plusminus fünfzehn Jahre, genauere Angabe unmöglich. Wie Schwester Eulalia hatte sie keine Haarfarbe, jedenfalls keine, die zu erkennen gewesen wäre, und auch ihr Gesicht wirkte wächsern und faltenlos, fast so, als hätte jemand alle Spuren wegradiert, die das Leben darin hinterlassen haben mochte. Anders als Schwester Eulalia freilich strahlte die Priorin Führungsqualität aus: Sie wirkte hart und rigide, sprach knapp und akzentuiert, und jede ihre Bewegungen hatte etwas vom Gestus eines Feldherrn, der mit einer einzigen Armbewegung Abertausende ins Schlachtgetümmel und höchstwahrscheinlich sogar in den Tod schickt.
Zu gerne hätte Gabi mit der Priorin zunächst ein paar unverfängliche Worte gewechselt, um ein wenig Vertrauen fassen zu können. Sie wollte nicht gleich mit der Tür ins Kloster fallen. Musste sie wirklich jetzt schon gestehen, was sie tatsächlich an diesen Ort der Zuflucht getrieben hatte?
Doch die Priorin ließ sie erst gar nicht mehr vom Haken:
„Wenn du dem Herrn wahrhaft dienen willst, so ist es deine Pflicht, ihm deine Seele voll und ganz zu öffnen.“
Gabi mochte das wohl glauben, doch es erschien ihr unendlich schwer, ihr schlüpfriges Geheimnis einer Fremden zu offenbaren. Andererseits: Die Priorin war eine Frau. Natürlich nicht im eigentlichen Sinn. Sondern ein erhabenes Lebewesen ohne Geschlecht, eine Braut des Herrn. Erst nach langem Zögern stieß die beschämte Buchhändlerin stockend hervor:
„Ich muss … sehr oft … an Unzucht denken.“
„Wie oft.“
„Fast jede Nacht.“
„Nur in der Nacht?“
„Manchmal auch am Tag.“
Der Blick der Priorin war eisig streng. Sie sprach kein Wort.
Schließlich senkte Gabi Schenke den Blick und korrigierte sich:
„Oft.“
Verstohlen lugte sie zu der Priorin auf, um zu sehen, ob sie sich damit genug entblößt hatte. Und fing einen Blick auf, der so erbarmungslos strafend war, dass sie innerlich erbebte.
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