Doch wenn es sie erregte, auf diese überwältigende, diese hinreißend berauschende Art, so konnte es gerade deshalb der Versucher sein.
Das war furchtbar verwirrend.
Denn jetzt, als Erwachsene, fesselte sie sich doch nicht zum Vergnügen. Sondern gerade, um der Versuchung überhaupt noch widerstehen zu können. Die Stricke waren für sie das letzte Mittel, um keusch zu bleiben. Und die Buße für ihre sündigen Gedanken zugleich.
*
In der abgeschlossenen Klause ihres kleinen Appartements kämpfte sie nun schon so lange gegen die Versuchung an. Es wurde schwerer und schwerer. Von Monat zu Monat, von Tag zu Tag. Sie wähnte sich am Ende ihrer Kräfte, und sie wusste nicht, womit sonst – wenn nicht mit strengen Fesseln – sie ihrem sündigen Verlangen noch Einhalt gebieten sollte.
Würde sie der Versuchung überhaupt noch lange Paroli bieten können?
Abends und morgens war das Risiko geringer. Tagsüber ohnehin. Solange sie zumindest halbwegs wach war, erwies sich ihr Wille, sich gegen die Versuchung zu behaupten, bislang noch immer als stark genug.
Aber nachts war sie anfällig. Am schlimmsten tief in der Nacht, dann, wenn der Schlaf in Halbschlaf überging und sie nahe daran war, aufzuwachen. Dann verspürte sie früher oder später diese heiße Sehnsucht, sich liebevoll zwischen den Beinen zu streicheln. Nur zu streicheln, nichts weiter.
Erst einmal.
Da war es wichtig, dass sie zurückgehalten wurde. Wenn sie nicht vorsorgte für diese Momente der Schwäche, würde sie früher oder später ihre ewige Seligkeit aufs Spiel setzen.
So viel hatte sie probiert, und stets ohne Erfolg. Bis sie eingesehen hatte, dass sie ein schwieriger Fall war. Sie musste sich hart anpacken. Musste ihren Händen jede Chance nehmen, sich ihrer Scham unsittlich zu nähern.
Daher also die Fesseln.
Nach vielen Versuchen mit Seidentüchern, Stricken, Riemen und ähnlichem war sie auf plüschbezogene Handschellen mit Verbindungskette verfallen. Der Plüsch verhinderte, dass der Stahl in ihre zarte Haut schnitt. Und die Kette war lang genug für eine erträgliche Schlafposition. Aber kurz genug, um vorwitzige Finger am Vordringen zu delikaten Stellen zu hindern, von deren Existenz artige Mädchen besser gar nichts wissen sollten.
Doch die Hände im Rücken gefesselt zu haben, die ganze Nacht über, war dennoch sehr anstrengend. Unbequem. Zuweilen qualvoll. Trotzdem war es zumindest im Winter die einzige Möglichkeit.
Und in diesem Winter war es schlimmer gewesen als jemals zuvor.
Nicht weil die Fesselung qualvoller gewesen wäre als vorher. Sondern weil das Verlangen ihres Leibes, die sündige Wollust sie kaum noch eine Nacht durchschlafen ließ. Immer stärker verlangte ihr Leib, was sie ihm keinesfalls geben durfte. So wachte sie denn auf in jenen Nächten, das Herz voll Sehnsucht und den Kopf voll mit Träumen von einem netten Mann, der sie in den Armen hielt und ihr kosend Zärtlichkeiten ins Ohr flüsterte.
Die Träume waren etwas unvollständig und hatten oft auffällige Ähnlichkeit mit den unvollendeten Liebesszenen aus jenen alten Romanen, die Fräulein Gabi so gerne las. Natürlich kamen in den Romanen weder Handschellen noch andere Fesseln vor. Aber das war auch nicht nötig, weil den Heldinnen darin stets just zur rechten Zeit ein leidenschaftlicher Mann verfiel, der sie nachhaltig von jeder falschen Zurückhaltung abhielt.
Solange Fräulein Gabi nicht den einen für jenen Teil hatte, der in den Romanen nie vorkam, musste sie sich behelfen. Und darum würde sie sich weiter in Fesseln legen müssen. Vielleicht sogar noch strenger als bisher.
*
Es gab diese große Truhe in ihrem kleinen Appartement, in der sie die geheimen Hilfsmittel zur Bezähmung ihrer verbotenen Lust aufbewahrte. Sie entstammte dem Nachlass ihrer innig geliebten Großmutter. Der Großmutter väterlicherseits, versteht sich, denn ihre Großmutter mütterlicherseits war gerade im Vergleich zu ihr überhaupt kein Vergleich gewesen.
Oma Grete, der die Truhe gehört hatte, war trotz ihrer Gicht bis ins hohe Alter lebensfroh und munter gewesen. Oma Josefa hingegen, ihr Pendant mütterlicherseits, hatte Gabi nur schmallippig und streng erlebt. Als Kind hatte sie oft geglaubt, bei ihr etwas falsch gemacht zu haben, doch die unnahbare, verbiesterte Art war wohl bloß der Großmutter Naturell gewesen.
Die Truhe nun hatte die Enkelin erst spät geerbt. Dennoch war sie ihr schon als Kind vertraut gewesen, weil sie Jahr und Tag auf dem Flur vor den Gesindekammern des elterlichen Hofes gestanden war. Allerdings war in den Zeitläuften der Schlüssel verlorengegangen, so dass die Truhe in jenen Jahren niemals geöffnet worden war. Gabis Mutter hatte die Truhe nicht angerührt, sicherlich auch deshalb, weil sie mit ihrer Schwiegermutter zeitlebens über Kreuz gelegen war. Immerhin hatte sie aber wohl respektiert, dass es sich um ein Erbstück von hohem ideellem Wert handelte, und so hatte sie das gute Stück nicht einfach den Flammen überantwortet. Vielleicht hatte sie sich aber auch bloß nie darum kümmern wollen.
Schon die kunstvolle Bemalung war ein Hinweis darauf, dass es sich um eine traditionelle Aussteuertruhe handelte. Dass sie nicht leer war, hatte Fräulein Gabi schon als Kind vermutet. Gewissheit darüber hatte sie freilich erst erhalten, nachdem ein zu Hilfe gerufener Schlosser an dem wunderschönen alten Stück seine Kunstfertigkeit bewiesen hatte.
Als Anerkennung für seine guten Dienste hatte Gabi dem Mann einen kurzen Blick in die Truhe gewährt, mehr jedoch nicht. Das eigentliche Auspacken der wundervollen Erinnerungsstücke hatte sie erst zelebriert, als sie wieder allein gewesen war.
Und das hatte sich als eine sehr kluge Entscheidung erwiesen.
Denn unter säuberlich geplättetem Bettzeug hatten sich unter anderem einige herrliche Stücke Unterwäsche mit handgeklöppelter Spitze gefunden, von denen jedes für sich einer Hochzeitsnacht würdig gewesen wäre. Sowie, zuunterst in der Truhe, ein samtenes Trachtenhalsband, ein viktorianisches Korsett, eine Hundeleine und mehrere Längen Kordel feinster Qualität, die sorgsam zu mehrfach gewundenen Schlaufen aufgebunden waren.
Zwei Besonderheiten daran hatten Fräulein Gabi von Anfang an Rätsel aufgegeben: Erstens hatte das schmucke Halsband vorne einen massiven Ring eingearbeitet, wie sie ihn nie zuvor an einem solchen Trachtenhalsband gesehen hatte. Und zweitens hatte sie während ihrer Kindheit auf dem Hof der Großeltern oft und gern mit den Hunden dort gespielt.
Aber nie war auch nur einer davon an die Leine gelegt worden.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.