Dennoch war Schwester Eulalia fürwahr eine Braut des Herrn, ihre ganze Erscheinung entbehrte auch das geringste Anzeichen von Weiblichkeit. Unter der Ordenstracht war weder eine Hüfte zu erkennen noch eine Taille, weder Beine noch Brüste. Selbst ihre Stimme klang auf eine irritierende Art weichgespült und geschlechtslos, wie die einer maskulinen Frau oder die eines femininen Mannes, und doch zugleich wie keines von beiden.
Gabi hatte erwartet, dass die weihevolle Stille der geheiligten Hallen ihre innere Unruhe besänftigen würde, doch das tat sie nicht. Stattdessen wurde sie von Minute zu Minute unsicherer. Sie fühlte sich sündig, verdorben, unfromm, meinte, der Aufnahme ins Kloster gar nicht würdig zu sein.
Bis sie an einer Ecke des Kreuzgangs auf einen Mann trafen, dessen Gewand ihn als Diener des Herrn auswies. Schwester Eulalia entbot ihm den klösterlichen Tagesgruß und stellte ihn mit schlichter Förmlichkeit vor:
„Dies ist Pater Johannes, unser Beichtvater. Er vertritt zur Zeit Pater Laurentius, den der Herr mit einer schweren Krankheit zu prüfen beliebt.“
Gabi Schenke senkte erschreckt den Blick.
Freilich nicht wegen der schweren, eventuell ansteckenden Krankheit.
Sondern sie fühlte unvermittelt das Pochen ihres heißen Herzens, und sie musste sich keinen Moment lang fragen, warum. Der Pater hatte rostblondes, leicht vom Winde verwehtes Haar mit ein paar aufmüpfigen Haarschnecken darin, und er war garantiert noch nicht einmal dreißig Jahre alt. Gabi Schenke kannte das Mindestalter für die Priesterweihe nicht, doch sie wäre nicht überrascht gewesen, hätte der Pater eine Sondergenehmigung dafür benötigt. Er wirkte auffallend verhalten und schien Mühe zu haben, dem hübschen Gast des Konvents in die Augen zu sehen.
Als sie flüchtig seine Hand berührte und wahrnehmen konnte, dass diese schmale, feingliedrige Hand fast unmerklich zitterte, schoss Gabi das Blut in den Kopf. Sie stammelte eine Begrüßung und registrierte verblüfft, dass dem Pater beim Versuch einer Erwiderung sogar die Stimme versagte.
Ungläubig nahm sie wahr, dass ihre Brustwarzen sich völlig unangemessen aufrichteten. Sie senkte erneut den Blick, versuchte angestrengt, ihre Verwirrung zu überspielen, und war schließlich froh, dass Schwester Eulalia den Pater ohne weiteren Wortwechsel seiner weihevollen Wege gehen ließ.
Erst als der junge Pater außer Hörweite war, fragte sie mitfühlend:
„Welche schwere Krankheit hat denn Pater Laurentius?“
Der Habit neben ihr ging stocksteif weiter, wandte den Kopf keinen Millimeter und sah starr geradeaus. Schon glaubte Gabi, die fromme Schwester hätte ihre Frage überhört. Doch dann zog diese einen Mundwinkel nach unten und zischte zwischen zusammengepressten Zähnen hervor:
„Er säuft.“
Gabi Schenke schwieg betroffen. Die Antwort war ihr zu weltlich. Ganz entschieden zu weltlich.
Schwester Eulalias halbgefrorenes Lächeln jedoch war noch immer der Inbegriff vollendeten Gleichmuts.
*
„Wann werde ich denn die Domina sehen?“, fragte Gabi Schenke nach einer Weile bedrückenden Schweigens zaghaft.
„Überhaupt nicht.“
„Führen Sie mich denn nicht zu ihr?“
„Nein, ich bringe Sie in Ihre Zelle.“
„Aber ich wollte …“
„Was Sie wollen, ist hier nicht wichtig. Im Reich unseres Herrn haben Sie sich unterzuordnen.“
„Ich möchte doch nur …“
„Die Regeln in diesem Haus sind streng, und ihre Einhaltung wird unerbittlich durchgesetzt. Besser, Sie unterwerfen sich ihnen freiwillig.“
Sie waren in einem Seitengang angekommen, der vom Boden bis zur Spitzbogendecke schneeweiß gekalkt war. Nur die Strebebögen waren farblich abgesetzt, ließen die ursprüngliche Beschaffenheit des verwendeten Steins erkennen. Zu einer Seite öffneten einzelne schmale, hohe Fenster den Blick nach draußen, zur anderen reihte sich etwa ein Dutzend niedrige Türen aus nur grob bearbeitetem, massivem Holz aneinander.
„Das ist der Trakt der Kandidatinnen“, erläuterte die Schwester knapp. „Hinter jeder dieser Türen befindet sich eine Zelle.“
Gabi schluckte. Sie fühlte sich seltsam berührt. Warum eigentlich?
„Diese hier hat schon auf Sie gewartet“, erklärte Schwester Eulalia.
Gabi sah sie groß an. Sie wollte antworten, doch ihr Inneres kämpfte gerade mit so widerstrebenden Gefühlen, dass sie nur den Wunsch hatte, sich momentan mit nichts und niemandem auseinandersetzen zu müssen. So war es ihr gar nicht unrecht, als Schwester Eulalia sie mit einer nachdrücklichen Geste ihrer offenen Hand aufforderte, den kleinen Raum zu betreten.
Die Einrichtung der Zelle kärglich zu nennen, hätte einen Möbelverkäufer wegen unlauterer Beschönigung vor den Kadi gebracht. Schon beim Eintreten musste die schöne Buchhändlerin demütig ihr Haupt beugen, um sich wenigstens nicht den Kopf am Querbalken des Türrahmens zu stoßen. Was sie dahinter erwartete, war kaum mehr als der Kalk an den Wänden.
In dem winzigen Raum gab es eine schmale Pritsche mit grobem Stoffbezug, ein hölzernes Tischchen und in einer der beiden hinteren Ecken einen minimalistischen Betstuhl. Dazu an den Wänden ein winziges Waschbecken, zwei Regalbretter sowie je einen Haken für Kleidung und einen für das Handtuch, das bereits neben dem Waschbecken bereithing.
„Ich lasse Sie jetzt allein“, sagte Schwester Eulalia auf Gabis fragenden Blick hin. „Legen Sie ab, und sehen Sie sich um! Wenn Sie innere Einkehr halten wollen, um Ihre Sünden zu bereuen, so wäre dies die Stunde dafür.“
Damit wandte sie sich um und ging hinaus. Kaum hatte sich die Tür geschlossen, war von draußen das Vorschieben eines Riegels zu vernehmen. Die schöne Buchhändlerin fühlte einen Schauder über ihren Rücken laufen.
War sie tatsächlich eingesperrt?
Das konnte doch nicht sein.
Sie wollte kein Aufsehen erregen und wartete eine Weile unschlüssig ab. Dann erst versuchte sie halbherzig, die Tür zu öffnen. Und musste feststellen, dass es da zumindest für sie nichts zu öffnen gab.
Das hatte sie nicht erwartet.
Zu ihrer Verblüffung löste das Eingesperrtsein heftige Empfindungen in ihr aus. Es war keine Platzangst, eigentlich gar keine Angst, eher eine sonderbare Erregung, verbunden mit einer frivolen Neugier auf das Ungewisse.
Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte, und widmete sich zunächst lieber der Inspektion des Raumes, in dem eine beklemmende Stille lag. Allerdings klang es jetzt wie Hohn in ihren Ohren, als sie an Schwester Eulalias Aufforderung dachte, sich umzusehen. Einmal umsehen in dem ganzen Raum beanspruchte in etwa die Zeitspanne eines Wimpernschlags, und so ließ sie sich schon bald etwas ratlos auf die schmale Pritsche nieder.
Da es nicht viel gab, was sie hätte ablenken können, kam ihr die Aufforderung abzulegen wieder in den Sinn. Ohne dass sie groß darüber nachgedacht hätte, spürte sie in sich einen seltsamen Drang, ihr Folge zu leisten. Gedankenverloren verharrte sie eine Weile, dann begann sie wie von selbst, im Sitzen die Lodenjacke abzustreifen, die sie über der Bluse trug.
Der Erfolg war eher fragwürdig.
Schon das Entkleiden war nicht eben geeignet, sie zur Ruhe kommen zu lassen. Noch schlimmer wurde es aber, als sie am Ende auch noch die Arme nach hinten nehmen musste, um die Ärmel herunterzuziehen. Sie tat das sehr bedächtig, und dabei nahm sie schließlich eine Haltung ein, in der sie ungewollt ihre Brüste ausnehmend prominent nach vorne reckte.
Beim Entkleiden hatte sie sich zuvor wohl tausendmal auf diese Weise in Positur geworfen, aber nie war es ihr auch nur aufgefallen.
Jetzt aber schien es ihr angesichts der andachtsvollen Stille der geweihten Räume ein unerhörter, respektloser Affront. Ihr fraulicher Busen war eben ein Hingucker, gerade wenn die Spitzen vor leichtem Frösteln steif waren und er in einer solchen Pose zur Schau gestellt wurde. Schwester Eulalias Front war platt gewesen, das hatte sie bereits bei der Begrüßung bemerkt.
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