„Die Preminger wich dir ja heute nicht mehr von der Seite.“
„Sie war die Gastgeberin. Ich konnte sie ja schlecht wegscheuchen.“
„Du machtest nicht den Eindruck, dass du dich belästigt gefühlt hast.“
„Hör doch auf, ich habe weiß Gott andere Sorgen“, antwortete er unwillig, aber nicht zu unfreundlich. Er musste ihr noch beibringen, dass er nicht mit ihr nach Hause fahren würde.
„Ich weiß“, antwortete sie. „Breitschmidt hat mich angerufen.“
Sie gingen zum Adlon hinüber, in dessen Garage ihr Wagen geparkt war. Als gute Gäste des Hauses und gegen ein entsprechendes Trinkgeld war der Portier gern bereit, ihnen diesen Service zu bieten.
Verdutzt blieb Singer auf dem Mittelstreifen stehen.
„Was wollte er von dir?“
„Er sagte mir, dass du Dummheiten machst und dass ich dich davor bewahren könne. Sag einmal, stimmt das? Du provozierst Breitschmidt eventuell zu einem Rauswurf?“
„Das ist seine Version.“
Er erzählte ihr, was der Aufsichtsratsvorsitzende von ihm verlangt und wie er darauf reagiert hatte. Er verschwieg ihr auch nicht, wie ungeheuer erleichtert er sich durch seine Entscheidung fühlte. Er rechnete nicht damit, dass sie seine Haltung verstand, seinen Entschluss, für seine Überzeugung ein Ende seiner Karriere in Kauf zu nehmen. Vor dem Adlon angekommen, kam der Portier eilig die Treppe herunter.
„Ihren Wagen, Herr Singer?“, fragte er eifrig. Singer nickte.
„Manchmal bist du wirklich seltsam!“ sagte Helen, ohne den Portier zu beachten, der zurück ins Hotel eilte, um die Garage anzurufen.
„Seltsam?“
„Ja, um nicht verrückt zu sagen. Was heißt das, der Job macht dir keine Freude mehr?“
„Ich will nicht mehr. Jedenfalls nicht unter diesen Bedingungen. Ich werfe nicht fünfzigtausend Leute hinaus.“
„Es machen doch alle. Auch Vater hat dies bereits tun müssen. Du wirst die Welt nicht verändern. Wir haben in den guten Zeiten zu viel Fett angesetzt. Nun gilt es den Gürtel enger zu schnallen.“
„Wir?“, fragte er süffisant.
„Midlife crisis“, stieß sie ärgerlich hervor. „Ein typischer Fall von verspäteter Midlife crisis.“
„Unsinn. Musst du immer alles in deine Chi–chi–Kästchen tun?“
„Sei nicht unhöflich“, antwortete sie bestimmt, als spräche sie mit einem ungeduldigen kleinen Jungen. „Eigentlich passiert nichts Ungewöhnliches. Du bist jetzt über fünfzig. Da fragt man sich schon, was das Leben einem noch zu bieten hat. Klar, du suchst nach neuen Zielen und willst nicht bis an dein Lebensende Vorstandsvorsitzender von Michael Singers Gnaden sein.“
„Breitschmidt glaubt, dass dein Vater mich als Kronprinzen auserkoren hat“, antwortete er lachend.
„Nein. Das hat er nicht. Du bist ihm zu weich.“
„Ach so? Hat er sich so über mich geäußert?“
„Nein. Aber ich kenne meinen Vater und weiß, wie er sich seinen Nachfolger vorstellt.“
„Da wird er noch lange suchen müssen. Solche Kotzbrocken gibt es nicht mehr häufig.“
„Du bist ungerecht. Wir verdanken ihm so viel.“
„Du verdankst ihm viel.“
„Eugen, was ist mit dir? Du bist so aggressiv.“
„Das versuche ich selbst gerade herauszubekommen.“
Ihr Wagen kam nun angerauscht und Singer gab dem Wagenmeister ein anständiges Trinkgeld und dieser lüftete seine Mütze. „Immer zu Diensten, Herr Singer.“
Helen wollte sich hinter das Steuer setzen. Ohne dass sie darüber sprechen mussten, war zwischen ihnen ausgemacht, dass sie auf dem Rückweg nach einer Feier oder in diesem Fall der Vernissage den Wagen steuerte.
„Ich habe noch eine Verabredung“, gestand er verlegen.
„Du hast was?“ Ihre Augen waren nun sehr schmal und funkelten erbost.
„Ja. Mit Schneider vom Marketing“, log er und wusste, dass er dabei nicht sehr überzeugend wirkte. Er konnte nie gut lügen.
„Ich muss herausbekommen, ob Breitschmidt mit ihm bereits gesprochen hat und eine Veränderung der Ziele angekündigt hat“, machte er mit den Lügen weiter.
„Muss das wirklich sein?“, fragte sie. Es blieb unklar, ob sie das Treffen mit Schneider meinte oder seine allzu offensichtliche Lüge. Mit einer resignierenden Bewegung warf sie ihre Handtasche ins Wageninnere.
„Bei der Preminger hast du noch von einem schweren Tag gesprochen. Es ist halb elf.“
„Ich treffe ihn im Borchardt“, erwiderte er, ohne auf ihre Feststellung einzugehen. Aber die klare Ortsangabe schien sie zu beruhigen.
„Wann bist du zu Hause? Du weißt doch, ich kann nicht einschlafen, wenn du nicht da bist.“
„Es kann zwei Stunden dauern. Du kennst doch Schneider. Ehe der zum Thema kommt, vergeht einige Zeit“, log er verzweifelt. Er konnte ihr nicht sagen, dass er mit ein paar Stadtstreichern verabredet war. So weit war er noch nicht.
„Die Preminger“, sagte sie plötzlich. „Triffst du dich etwa mit ihr? Habt ihr deswegen so aneinander geklebt? Du, ich warne dich! Ich lasse mir das nicht bieten.“
„Hör auf, Helen! Du weißt genau, dass sie nicht mein Typ ist. Ich habe keine Lust mich in die endlose Reihe ihrer Geliebten einzureihen.“
„Na gut, wann kommst du nach Hause?“ Sie war jetzt bereits milder gestimmt und zeigte, dass sie entschlossen war ihm zu glauben.
„Spätestens um zwei bin ich zurück. Spätestens.“
„Na gut. Und morgen reden wir über die Geschichte mit Breitschmidt. Kommt nicht infrage, dass du dich von ihm ausmanövrieren lässt.“
„Das will er gar nicht. Es geht ihm nur darum, dass ich mitmache. Er würde froh sein, wenn ich auf die Forderung des Aufsichtsrats eingehen würde. Vor ein paar Wochen hätte ich es getan.“
„Und warum kannst du es heute nicht tun?“, fragte sie mit einer Stimme, die erkennen ließ, dass sie bereits ungeduldig wurde und ihn für einen trotzigen kleinen Jungen hielt, der partout ein anderes Spielzeug wollte.
„Ich weiß es nicht.“
Aber das war nicht ganz die Wahrheit. Er wusste bereits, was anders war: Er war nicht mehr bereit, alles um jeden Preis mitzumachen.
„Gemeinsam werden wir auch das überstehen.“
Ihre Loyalität rührte ihn. Doch dieses Gefühl währte nur kurz. Als sie ihm sagte, dass ihr Vater ihnen schon helfen würde, wurde Singer wütend.
„Lass deinen Vater aus dem Spiel! Er würde mir nur einen ähnlichen Job besorgen wie den, den ich bereits habe. Ab einer bestimmten Stellung sind die Spielregeln überall die gleichen.“
„Du bist wirklich etwas durcheinander! Wenigstens darin hatte Breitschmidt recht. Vielleicht würde dir ein kurzer Urlaub helfen. Fliegen wir doch nächste Woche nach Nizza. Ein paar Tage im Colombe d’Or in St. Paul de Vence haben dir noch jedesmal gut getan.“
„Diesmal ist es nicht das.“
„Ich werde trotzdem mit Vater reden“, beharrte sie.
„Auch er wird mich nicht umstimmen.“
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