„Um Gottes willen, lassen Sie das nicht unseren Künstler hören. Sie wissen ja gar nicht, wie empfindlich Schanek ist. Überhaupt Künstler, wenn man tagtäglich mit ihnen zu tun hat, erlebt man Dinge, sage ich Ihnen … unfassbare Dinge. Ich bin froh, wenn ich mich mal mit einem normalen Menschen unterhalten kann. Ihr Männer aus der Wirtschaft seid so ganz anders. So gediegen, so zuverlässig.“
„Ich bin wie jeder andere Mann auch“, sagte Singer verlegen. Die Preminger legte ihm die Hand auf den Arm.
„Ich finde Sie sehr, sehr sympathisch“, sagte sie und der Druck ihrer Finger verstärkte sich. Singer fühlte sich gegenüber Frauen, die so direkt die Initiative ergriffen, stets hilflos. Er konnte nie einschätzen, wie ernst sie es meinten oder ob es nur eine Pose war, wie es von sich emanzipiert gebenden Frauen als chic empfunden wurde.
„Sehr gesprächig sind Sie nicht gerade!“
„Ich gehöre zu den Schüchternen“, gestand Singer.
Mit einem Lächeln gab er zu erkennen, dass sie dies als Koketterie ansehen sollte. Die Grauäugige nahm die Perlenkette in den Mund und sah ihn scheinbar nachdenklich von der Seite an, als denke sie über die Ernsthaftigkeit seiner Worte nach. Ihre grauen Augen funkelten begehrlich.
„Ich mag schüchterne Männer!“, flüsterte sie.
Sie waren durch die Galerie gegangen und stießen in der Ecke, neben dem Buffet, auf Helen, die immer noch mit dem Künstler zusammenstand. Er gehörte zu der Sorte, die Singer am wenigsten mochte. Er hatte das revolutionäre Gehabe gerade erst abgelegt und spielte bereits den Arrivierten, ohne es zu sein.
„Hier wurde eine interessante Frage aufgeworfen. Wovor wird die Skulptur auf dem Pariser Platz warnen?“
Die Preminger stellte Singer kurz vor. Der Künstler nahm mit einem unwilligen Blick zur Kenntnis, dass er es mit dem Mann seiner Gesprächspartnerin zu tun hatte, verbeugte sich leicht und murmelte etwas.
Helen hauchte Singer einen Kuss auf die Wange und hakte sich bei ihm unter.
„Schade, dass du so spät kommst. Es war ein wahnsinnig interessantes Gespräch“, rief sie und warf Schanek einen bewundernden Blick zu.
„Wir haben uns sehr angeregt unterhalten“, bestätigte der Künstler. „Ich beneide Sie um Ihre Frau. Ich habe nur wenige kennengelernt, die so fundiert über Kunst sprechen können.“
„Hört, hört!“, kommentierte die Preminger mit ironischem Lächeln.
„Meine Frau versteht sich auf so etwas“, antwortete Singer trocken.
„Was bedeutet nun die Hand?“, wiederholte die Preminger ungeduldig ihre Frage. Es schien ihr nicht besonders zu gefallen, dass ihr Star und Helen so voneinander angetan waren.
„Es ist eine Mahnung, das Wesentliche nicht zu vergessen.“
„Das Wesentliche“, hauchte Helen beeindruckt.
„Und was ist das Wesentliche?“, fragte Singer und erntete sowohl von der Preminger als auch von Helen einen vorwurfsvollen Blick.
„Das Leben.“
„Ich verstehe“, sagte Singer und hoffte, dass dies stimmte.
Auf Michelangelos Bild spendete Gott Leben, und Schanek wollte mit der Hand wohl ausdrücken, dass dies ein Geschenk war und dass man bewusster leben sollte. Jedenfalls reimte Singer sich dies so zusammen und fand nun die Skulptur sinnvoller als manche, die bereits in der Stadt standen.
„Woraus ist Ihre … … Plastik?“, fragte er den Künstler.
„Plastik? Natürlich aus Bronze. Wir haben die Hand in Mailand gegossen. Nur in Mailand findet man die Leute, die so etwas machen können. Es wird die größte freistehende Figur sein, die in diesem Jahrzehnt aufgestellt wurde.“
Er sagte dies mit einem Pathos, als verkünde er ein neues Zeitalter und so verstand er es wohl auch.
Schanek war ein großer stämmiger Mann mit struppigem, rötlichem Haar, einem Schnauzer und roten Augen. Auf den ersten Blick sah er nicht unsympathisch aus. Es war sein Sendungsbewusstsein, die Überzeugung von der eigenen Wichtigkeit, die ihn so unerträglich machten.
„Und die Hand ist wirklich so wie Michelangelo sie gemalt hat?“, fragte Helen vor Bewunderung ganz aufgeregt.
„Es ist original die Hand des göttlichen Funkens. Eins zu eins. Nur vergrößert. Thiel gefiel die Idee.“
Dies schien den Wert des Kunstwerks zu verdeutlichen. Damit war es eine bedeutende Schöpfung. Helen und die Preminger nickten eifrig.
„Du arbeitest ja oft mit Thiel zusammen“, sagte die Preminger, um noch einmal zu unterstreichen, welch bedeutenden Künstler sie vertrat.
„Ich war sein Meisterschüler. Wir sprechen die gleiche Sprache“, antwortete er. „Die gleiche Vibration, du verstehst?“
„Es muss aufregend sein, mit ihm zu arbeiten“, hauchte die Preminger.
„Er ist ein Großer“, bestätigte Schanek. „Vielleicht sogar der Größte.“
„Er bekommt fünfhunderttausend Euro pro Auftrag“, ergänzte die Preminger.
„Natürlich ist er ein Medienprodukt“, wiegelte nun Schanek ab. „Du verstehst, was ich damit sagen will.“
Singer hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Helen dagegen schien im Bilde zu sein.
„Mehr kann man nicht erreichen“, sagte sie ergriffen.
„Michelangelos Hand wird meinen Anspruch sichtbar machen. Ein Brückenschlag zu den alten Meistern. Genau so absolut.“
„Genauso absolut“, wiederholte Helen.
Singer schämte sich für sie. Sie war einmal anders gewesen. Selbstbewusst und kritisch. Sie hatte es früher nicht darauf angelegt, anderen zu gefallen. Er erinnerte sich an ihre erste Begegnung. Helen studierte an der Kunstakademie. Im Café Zuntz auf dem Kurfürstendamm hatten sie sich kennengelernt. Helen hatte am Nebentisch gesessen und ihn auf seine bewundernden Blicke hin angelächelt. So banal hatte es begonnen. Noch am gleichen Abend waren sie miteinander ins Bett gegangen. Seine Freunde hatten ihn um diese Schönheit sehr beneidet und er war sehr stolz auf sie gewesen. Ihre blonden Haare trug sie damals so kurz wie ein Junge. Als sich herausstellte, dass sie aus sehr begüterter Familie war, die den Singers kaum nachstand, war dies kein Nachteil gewesen. Es stand sehr früh fest, dass sie heiraten würden. Schon wenige Jahre nach der Hochzeit endete die Zeit der heiser geflüsterten Liebesschwüre. Ihre Beziehung glitt ins Fahrwasser verlässlicher Kameradschaft. Dies ließ sie jahrzehntelang eine gute Ehe führen. Sie war immer noch schön. Noch immer sahen die Männer sie mit glitzernden Augen an.
Auch Schanek schien von ihr sehr angetan zu sein. Es stimmte Singer traurig, dass sie ihm jetzt so töricht vorkam. Er zuckte zusammen, als Helen begeistert aufschrie, nachdem Schanek gesagt hatte, dass seine Skulptur in der kommenden Nacht aufgestellt werden würde.
„Nachts? Das ist ja irrsinnig geheimnisvoll.“
„Hat aber ganz profane Gründe. Tagsüber würde es den Verkehr Unter den Linden und die Anreisenden vor dem Adlon zu sehr stören. Der Regierende Bürgermeister wird auf jeden Fall dabei sein, natürlich auch einige vom Senat und der Vertreter des Bundestagspräsidenten.“
„Ein großer Bahnhof“, sagte die Preminger andachtsvoll. „Direkt vor der Akademie der Künste. Dort wo Speer einmal sein Büro hatte.“
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