Frank und Susi tollten unterdessen auf den zerschlissenen Polstern des Rücksitzes herum und hüpften so wild und ausgelassen auf und nieder, dass das alte Auto mit dem Auspuff über den Asphalt schrammte. Funken sprühten auf.
„Meinst du nicht auch, Liebling, dass unsere Kinder da hinten etwas zu wild sind? Das Auto wird das auf die Dauer wohl nicht aushalten ...“
„Ach, lass sie doch, Al!“, beruhigte Isolde. „Die Kids sollen sich in den Ferien mal richtig austoben. Und diese Rostlaube hier wird die Fahrt schon überstehen.“
Und wiederum jagte Isolde den Wagen in halsbrecherischer Fahrt um die Ecke, dass ein Radfahrer entsetzt aus dem Sattel sprang, durch die Luft sauste und weich in einem Himbeergestrüpp landete.
Sein Besitzer kam mit wütend verzerrtem Gesicht in die Höhe, und da riss ihn das dröhnende Geräusch einer Autohupe aus seinen Mordgedanken. Gerade noch rechtzeitig konnte sich der Sportfanatiker durch einen Sprung nach hinten aus der Gefahrensituation retten. Ein bulliger Geländewagen preschte haarscharf an ihm vorbei.
Der Radfahrer landete erneut im Himbeergestrüpp und musste noch von Glück reden, dass ihm nichts Ernstes passiert war. Trotzdem konnte er seine Wut und seine Enttäuschung nicht ganz unterdrücken und krabbelte fluchend aus dem Gebüsch. Mit drohenden Handbewegungen torkelte er Richtung Straße und stieß dabei die übelsten Verwünschungen aus.
Zwei Halbstarke, die gerade des Weges kamen, bezogen die Beschimpfungen nun aber auf sich und reagierten dementsprechend sauer.
Mit einem Griff packte der eine den tobenden Radfahrer an seinem verschmutzten T-Shirt und zog ihn ganz nah zu sich heran. „Willst du was von uns, Kleiner?“, fragte er drohend und schüttelte den armen Mann gehörig durch. „Dir scheint wohl die Sonne nicht ganz zu bekommen, dass du dich mit uns beiden anlegst.“
„Mit übermütigen Leuten machen wir kurzen Prozess!“, ergänzte der andere und entblößte beim Lachen einige schwarze, verfaulte Zähne. Bekleidet waren die beiden Halbstarken mit engen, glänzenden Lederjacken und blauen, abgewetzten Jeans. „Wir lassen uns doch nicht mitten auf der Straße von einem Kerl wie diesem provozieren ...“
„Genau! Wo kämen wir denn dann hin!“, pflichtete der andere seinem Komplizen bei.
Mit einem energischen Ruck gelang es dem Sportler, sich aus dem harten Griff des Halbstarken zu befreien, und so schnell er konnte, suchte er sein Heil in der Flucht. Nur weg von hier! war sein einziger Gedanke - und deshalb sah er auch nicht den ziemlich schnell heranrollenden Bus.
Reifen quietschten, und gerade noch im letzten Moment erkannte der Radfahrer die große Gefahr. Nur ein verzweifelter Sprung nach vorn bewahrte ihn vor größerem Schaden. Mit einer gekonnten Rolle hechtete der fahrradlos gewordene Radfahrer erneut ins dichte Himbeergestrüpp, wo er sich fast schon wie zuhause fühlte. Und nachdem der arme Mann endlich wieder auf den Beinen stand, nahm er sich ganz entschieden vor, seine gefährliche Sportart an den Nagel zu hängen. Ihm war nicht mehr nach Radfahren zumute. „Ich hau’ mich vor den Fernseher“, murmelte er verheißungsvoll vor sich hin und machte sich zu Fuß auf den Weg in seine Wohnung.
Von all den Ereignissen bekam Familie Müller natürlich nicht das Geringste mit.
Isolde steuerte den altersschwachen Wagen inzwischen froh gelaunt über die schnurgerade Autobahn, wobei sie sich nicht um die Geschwindigkeitsbeschränkungen scherte.
Al saß mit geschlossenen Augen auf dem Beifahrersitz und kämpfte mit einem rumorenden Gefühl in seiner Magengegend.. Wie sehr sehnte er sich nach seinem kühlen, schattigen Büro zurück, in dem die staubigen Akten meterhoch standen. Stattdessen musste er jetzt in der größten Mittagshitze in halsbrecherischer Fahrt über die Autobahn flitzen und das Gekreisch seiner beiden Kinder hinter sich geduldig über sich ergehen lassen. Was für ein schlimmes Schicksal!
Plötzlich riss ihn das auf- und abschwellende Geräusch einer Sirene aus dem Dämmerschlaf.
Al zuckte zusammen und warf einen Blick in den rechten Außenspiegel.
„Siehst du, jetzt haben wir den Salat! Die Polizei ist hinter uns her!“
„Au, fein! Das wird spannend!“, krähte Frank vom Rücksitz, drehte sich zusammen mit seiner Schwester um. Gemeinsam knieten sie sich auf und starrten durch die Heckscheibe nach draußen, wo der Streifenwagen nun zum Überholen ansetzte.
„Ich hab’ dir doch gleich gesagt, dass du nicht so schnell fahren sollst!“, lamentierte Al und klapperte vor Angst schon mit den Zähnen.
„Keine Sorge!“, tröstete Isolde ihren Mann und hielt das Lenkrad fest umklammert. „Ich werd’ die Sache schon hinkriegen. Lass mich nur machen, Al! Wirst sehen, es ist alles halb so schlimm.“
Der Einsatzwagen hatte inzwischen überholt. Der Beamte auf dem Beifahrersitz schwenkte die Kelle und forderte zum Stehenbleiben auf.
Isolde stieg auf die Bremse und steuerte den hustenden Wagen nach rechts auf den Pannenstreifen. Nach einigen ruckenden Bewegungen kam das Gefährt zum Stillstand. Eine dicke Rußwolke verließ noch unter blubbernden Geräuschen den Auspuff, und dann kehrte Ruhe ein. Abwartend saß Isolde hinter dem Steuer und klopfte ungeduldig mit ihren dicken Wurstfingern auf den Hupring. Al beutelte es inzwischen vor panischer Angst gehörig durch, und immer wieder wischte sich der kleine Mann nervös über das schweißnasse Gesicht.
Frank und Susi grinsten sich bloß an. Sie waren gespannt, was jetzt passieren würde.
Der Beifahrer stieg aus, während sein Kollege im Wagen sitzen blieb. Mit langsamen Bewegungen kam der Polizist auf das Auto zu, nahm die dunkle Sonnenbrille aus seinem Gesicht und beugte sich in das Innere des Wagens.
„Sie wissen, warum wir Sie angehalten haben, Frau …?“
„Müller! Isolde Müller!“, antwortete die dicke Dame. „Nein, keine Ahnung Oberinspektor. Sie werden uns schon mit jemandem verwechseln ...“
„Das glaube ich kaum!“, brummte der Polizist und trommelte mit seinen Fingern aufs Wagendach.
„Sie haben die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei der Baustelle um 40 Kilometer überschritten. 140 statt 100. Das wird ein teurer Spaß ...“
„Aber ich bitte Sie, Inspektor!“, lachte Isolde auf und klatschte in die Hände. „So schnell ist diese Mühle ja gar nicht ...“
„Anscheinend schneller, als Sie glauben!“, brummte der Beamte und zeigte nach vor zum Einsatzwagen. „Wir haben Sie mit unserem Radar erfasst. Sie können gerne nachsehen ...“
„Schon gut, schon gut!“, lenkte Isolde überraschend schnell ein. „Natürlich glaube ich Ihnen, Inspektor. Denn wenn man der guten alten Polizei nicht mehr glauben könnte ...“
„Und da kommt noch was dazu!“, unterbrach der Uniformierte mit forscher Stimme.
„So? Was denn?“
„Beamtenbeleidigung, Frau Müller. Das wird Sie eine hübsche Stange Geld kosten ...“
„Sind Sie verrückt? Wen soll ich denn beleidigt haben?“, brauste Isolde auf und schlug wütend auf den Hupring. Doch kein Geräusch erklang.
„Aha!“, grinste nun der Polizist. „Ihre Hupe funktioniert also auch nicht. Damit entspricht Ihr Fahrzeug nicht den Bestimmungen der Verkehrssicherheit. Da kommt nun schon allerhand zusammen, finden Sie nicht? Und als ich vorhin von Beamtenbeleidigung sprach, meinte ich auch nicht Sie, sondern Ihre beiden Berggorillas auf dem Rücksitz.“
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