Wer die schmächtige Figur des fast immer sanft lächelnden, gebrechlichen alten Männleins am Fenster des gelben Doppeldeckerbusses erblickt, fürchtet, dass es jeden Moment zusammenbrechen könnte. Er ahnt nicht, dass Ulli früher auch anders konnte. Jedenfalls erzählt er das. Angeblich hat er als junger Kerl den Studioboss von Paramount Pictures verprügelt, weil der ihn mit seinen Vorstellungen von einem guten Film genervt hatte und weil es Differenzen wegen einer Frau gab. Prompt zeigte der Hollywood-Tycoon ihn an und sorgte angeblich dafür, dass kein Major Studio der Filmmetropole ihn jemals beschäftigte. Ob er im Knast landete oder mit einer Geldstrafe davon kam, verschweigt Ulli. Das wäre ein eventuell nachprüfbares Detail und so etwas vermeidet er grundsätzlich. Der von ihm erzeugte Nebel um seine Person darf niemals gelüftet werden. Außer von ihm selbst.Noch schlimmer als diese Prügelei verlief gemäß einer seiner weiteren Stories die Begegnung mit Klaus Kinski im Jahr 1986. Der für seine Wutausbrüche und Frauengeschichten berüchtigte deutsche Leinwandstar spannte Ulli nach dem Dreh von „Diamant des Grauens“ – der Titel lässt die Qualität des Films erahnen - seine Ehefrau Suzanna aus, die bereits erwähnte Exxon Erbin. Sie war nach ihrem Auszug noch einmal zu Ulli zurück gekehrt, aber die Beziehung war zerrüttet. Doch Ulli hatte sie überzeugen können, den Film zu finanzieren und die Hauptrolle zu übernehmen. Während der Dreharbeiten hatte es zwischen den Beiden geknistert und der laut Ulli durch geknallte Kinski nahm sie nach Drehschluss einfach mit in sein Haus in San Francisco. Dort fesselte er sie und bewachte sie mit einem Gewehr. Ihr verzweifelter Anruf löste bei dem betrogenen Ehemann angeblich einen Kurzschluss aus. „Ich bin mit zwei Bodyguards und drei Pistolen sofort von Los Angeles aus zu ihm hingefahren, um sie rauszuholen. Als Kinski uns die Tür öffnete, glotzte er uns verblüfft an. Dann wollte er nach seinem Gewehr greifen, aber ich war schneller. Ich sprang auf ihn los und habe ihn mit einem Kinnhaken ausgeknockt“, berichtet unser Hollywood-Cowboy nicht ohne Stolz. Er fällt dabei in den Singsang eines California-Akzents, den er perfekt beherrscht. Aus seinem Mund klingt die Episode wie der filmreife Auftritt in einer Actionszene. Den Helden, der seine verzweifelte Frau befreit und dabei den Ver- und Entführer Kinski k.o. schlägt, spielt er in seiner Inszenierung natürlich selbst. Wie seine Frau gefesselt und bewacht von Kinski mit ihm unbemerkt telefonieren konnte, bleibt allerdings sein Geheimnis.
In die Glitzerwelt des fernen L.A. wurde er quasi hineingeboren, behauptet er. Das ist allerdings schwer nachzuvollziehen. Dieser Akt fand nämlich weit von Hollywood entfernt in einem kleinen Gutshof in dem polnischen Sulęcin statt, wohin sich seine Eltern vor den Wirren des Zweiten Weltkrieges zurück gezogen hatten. Ulli Lommel ist deshalb eigentlich polnischer Staatsbürger, wäre Polen damals nicht von Deutschland annektiert gewesen. 14 Tage nach seiner Geburt flüchteten seine Eltern vor der anrückenden Roten Armee nach Berlin. Vier Jahre später stand klein Ulli als Sohn des populären Radiohumoristen Manfred Lommel und der Schauspielerin Karla von Kleefs neben seinen Eltern bereits mit vier Jahren auf der Bühne des Familienunternehmens „Circus Lommel“. Damals sammelte er erste Erfahrungen mit dem grellen Licht der Scheinwerfer und dem Beifall des Publikums. Dieses Faszinosum weckte seinen Drang nach Ruhm und Anerkennung - und der ließ ihn nie mehr los. Später kam die Rebellion dazu, die seinen Lebensweg ebenfalls entscheidend prägen sollte. Sein Widerwillen gegen alles Bürgerliche, Traditionelle und Angepasste, also alles Aufständische an ihm, hatte laut seinen Angaben – natürlich - einen sehr, sehr prominenten Auslöser. Auf dem Schoß eines der ganz großen Rebellen der Musikgeschichte, dem von Elvis Presley, hat er angeblich an seinem vierzehnten Geburtstag gesessen und mit ihm seinen Hit „Teddy Bear“ gesungen. Was Elvis in ein schräges Licht geraten lässt und ihn auf eine Ebene mit dem berüchtigten Liebhaber von kleinen Jungen, Michael Jackson, hievt. Wenn die Geschichte denn stimmen würde, was aber niemand mehr überprüfen kann. Auf jeden Fall ist sie phantasievoll und wird von dem Meister der zahllosen Stories glaubhaft erzählt. Mr. Lommel behauptet mit todernstem Gesicht, es sei diese Begegnung mit dem „King of Rock´n´ Roll“ gewesen, die sein Leben verändert hätte. Tatsächlich war Elvis als Soldat für einige Monate im hessischen Friedberg stationiert gewesen. Aber ob er tatsächlich Ulli getroffen hat, weiß außer ihm kein Mensch. Ein Jahr nach der Session mit dem Superstar aus Memphis, die sein Vater ihm angeblich zum Geburtstag schenkte, packte Ulli seine Gitarre und riss von Zuhause aus, um mit einer Rockband als Leadsänger durch Deutschland zu tingeln. Die Logik dieser überstürzten Flucht vor einem liebevollen Vater, der seinem Sohn einen ausgefallenen Geburtstagswunsch erfüllt hat, erschließt sich nicht so ganz. Aber Logik spielt in Ulli Lommels Erzählungen sowieso keine Rolle. Er ist ein Sprachmagier und Menschenfänger. Seine abenteuerlichen Geschichten verzaubern den Zuhörer. Man hängt an seinen Lippen wie ein kleines Kind und fängt an zu träumen, wenn er erzählt, wie er mit Fassbinder bei der Verleihung des Berliner Bären mit einer Bierpulle in der Hand angesoffen am Boden des Festsaales lag. Angeblich trat damals der damalige Außenminister Genscher zu den beiden betrunkenen Filmschaffenden und ließ sich neben ihnen nieder. Dann trank er aus Ullis Flasche, während er mit Fassbinder über seine Filme diskutierte. Oder wie er Willy Brandt kennen lernte und der ihm seinen Referenten Günter Guillaume vorstellte, der später als Meisterspion der DDR enttarnt wurde und dessen nach ihm benannte Affäre Brandts Rücktritt als Bundeskanzler auslöste. Mit eben diesem Guillaume plauderte Ulli stundenlang über Filme und fand ihn unglaublich sympathisch. Was interessiert es, ob das alles wahr ist oder nicht? Es verleiht dem Zuhörer einfach ein gutes Gefühl, einem Mann zu begegnen, der so dicht mit den großen Gestaltern der Zeitgeschichte zusammen war und sie so nett und menschlich erlebt hat. Ulli verliert nämlich nie ein böses Wort über seine Mitmenschen. Mit einer Ausnahme: Rainer Werner Fassbinder. Ullis gelegentliche Wutausbrüche und sein kalter Blick wenn er Episoden von ihm erzählt, lassen den Autor ahnen, wie der menschenverachtende Tyrann den zartbesaiteten Ulli einst gequält haben muss.
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