Neben ihm funkelt ein Muttersöhnchen, das mich mit politischen Essays beeindruckte, aber seine stinkenden Socken von Mama waschen ließ. Mit 40 Jahren wohnte Bert noch immer in seinem großen Kinderzimmer, dass er sich mit Mister Spock, Captain Kirk und deren Raumschiff Enterprise teilte. Nur über dem Kopfende seines Bettes hingen signierte Fotos von Politikern. Besonders stolz war er auf das von Gerhard Schröder. Enterprise und Politik, das waren die beiden Seiten von Bert. Sie waren attraktiv verpackt in Muskeln und Humor. Mit mir unterschrieb der Kerl den ersten Mietvertrag seines Lebens, Carsharing und Ferienwohnungen nicht mitgezählt. Es war eine Unterschrift ohne Folgen. Für ihn. Er blieb in seinem Kinderzimmer und ich zog allein in „unsere“ Wohnung nach München-Haidhausen. Seitdem habe ich nichts mehr von Bert gehört, lese aber noch fast jeden Artikel von ihm. Er schreibt einfach brillant. Trotzdem hoffe ich schon lange nicht mehr, dass Mamas Liebling eines Tages auf seinem Mietrecht beharrt. Im Gegenteil. Bevor er flügge wird, muss ich in meinem Traumhaus am See sein, mit meinem Traummann in spe.
Jetzt wird nach vorne gearbeitet. Von nichts kommt nichts, erst recht kein Mann. Ich starre noch immer in den Spiegel und suche meine Vorzüge.
Mehr als ihm lieb sein kann
Leider bin ich nur Durchschnitt, allerdings guter Durchschnitt, von der Körbchengröße „B“ bis zum Musik- und Filmgeschmack. Ich stehe auf die Stones, Aloe Blacc und französische Liebesfilme. Ich lese Krimis von Henning Mankell, weiß aber erst seit kurzem, wie man seinen Namen richtig betont, „Mankl“ nämlich, und halte Tom Tykwer für den besten deutschen Regisseur, obwohl ich natürlich nicht alle kenne. Ich koche gerne italienisch, weil mir die französische Küche zu kompliziert ist und gehe gerne in französische Restaurants, denn italienisch kochen kann ich selbst. Ich glaube nicht an Sternzeichen, finde aber, dass ich alle guten Eigenschaften vereine, die man Wassermännern, Zwillingen und Löwen zuschreibt.
Der Mann meiner Träume verpasst definitiv mehr, als ihm lieb sein kann. Und das nur, weil ich ihn noch nicht gefunden habe. Wer trifft seine große Liebe schon beim Bäcker, im Straßencafé oder an der Ampel? Die meisten Paare lernen sich in der Arbeit kennen. Blöd, wenn man freie Journalistin ist und gewöhnlich allein am Schreibtisch sitzt. Was dabei heraus kommt, wenn man sich auf Interviewpartner einlässt, hat mir Moritz gezeigt: ein Verlobungsring und das Etikett „Restposten“.
„Du musst deine Suchmethoden optimieren“, meint meine beste Freundin Amelie, die jeder nur „die Hummel“ nennt. Weil sie eine Frau der Tat ist, hat sie mich zum „Speed-Dating“ angemeldet. Die Voraussetzungen klingen gut: In einer coolen Münchner Bar warten sieben Männer auf mich – und auf sechs andere Frauen.
Zur Begrüßung gibt’s Prosecco, ganz zweifelsfrei meine liebste Lockerungsübung, und wenig später läuft die Uhr. Ich habe genau sieben Minuten für jeden Mann und spüre: Heute Abend werde ich meinem Prinzen begegnen. Frösche habe ich schon genug geküsst.
Franz ist der Erste und kann sich sehen lassen. Er hat dunkle Locken, breite Schultern und ein markantes, sympathisches Gesicht. Trotzdem schaut er verlegen auf den kleinen Tisch zwischen uns. Ich muss den Anfang machen und frage: „Gefällt dir der Tisch?“
Franz wird rot. „Ich bin Schreiner. Weißt, was für ein Holz das hier ist? Das ist Eiche. Die Eiche erlebt gerade ein Comeback. Das hat sie wirklich verdient. So ein starkes Gewächs. Robust und gut zu verarbeiten. Magst du Eiche?“ Er klopft dreimal auf das Holz. Ich habe mir bislang keine Gedanken darüber gemacht, aber jetzt ist es höchste Zeit. Im ersten Moment fallen mir nur massive Schrankwände ein und deshalb glaube ich, Eiche nicht besonders zu mögen. Das versuche ich Franz diplomatisch zu vermitteln.
„Vermutlich mag ich Eiche, wenn sie nicht als Schrankwand im Wohnzimmer steht.“ Franz mustert mich kritisch und fragt: „Was steht denn in deinem Wohnzimmer?“
„Billy-Regale.“
„Die sind mit nichts zu entschuldigen“, urteilt er.
Mich sieht er jetzt nicht mehr an, stattdessen betrachtet er liebevoll den Holztisch zwischen uns. Er ist verkratzt, hat Glasränder und Fettflecken. Franz streicht genüsslich über die Oberfläche. „Du kannst spüren und sehen, dass Holz lebt. Und nur damit du es weißt: Ich mag Eichenschrankwände.“ Ich finde, das kann man auch freundlicher sagen, trotzdem versuche ich es noch einmal mit Humor. „Es könnte sein, dass wir beim Einrichten unserer ersten gemeinsamen Wohnung Probleme bekommen.“
Der Schreiner schiebt seinen Stuhl zurück, bevor er seine Meinung rüberrückt. „Keine Sorge, so weit wird es nicht kommen.“
Viel mehr gibt es nicht zu sagen. Es war sein Schlusswort und mein erster Korb des Abends. Ich warte auf das Zeichen zum Partnerwechsel. Sieben Minuten können verdammt lang sein.
Der Zweite ist ein Quickie
Als endlich der Gong das Zeichen zum Partnerwechsel gibt, erscheint mir Ingo wie ein Retter. Für seinen Namen kann er schließlich nichts. Für sein Hawaiihemd, die drei offenen Knöpfe und das Goldkettchen auf dem Brusthaar schon. Nun gut, es zählen die inneren Werte. Mut. Humor. Neugierde. Damit kann Ingo dienen. Nach fünf Minuten Smalltalk über die Stadt, in der wir leben, legt er seine Hand auf die meine, senkt seine Lider auf Halbmast und flüstert mir zu: „Sei ehrlich Leni, wie oft hast du in den vergangenen Minuten an Sex mit mir gedacht.“
Ich bin ehrlich: „Kein einziges Mal.“ Ingo ist Optimist: „Macht nichts. Du hast ja noch zwei Minuten Zeit.“ Ich nutze die Zeit, um mich auf den nächsten Kandidaten zu freuen. Diesmal vergebe ich den Korb.
Du bist also der Richtige?
Er ist ein bisschen groß für den aufs Wesentliche reduzierten Holzstuhl in der aufs Wesentliche reduzierten Bar. Während er seine langen Beine vorsichtig unter dem Tisch parkt, tritt er mir auf die Füße. Wir müssen beide lachen. Ein guter Anfang. Endlich! Wir kommen leichtfüßig ins Gespräch.
Paul ist Grafikdesigner. Gut aussehend. Lässig gekleidet. Mit Geschmack. Am rechten Ringfinger trägt er einen Silberklunker mit asiatischen Zeichen. Hoffentlich kein Ehering! Ich frage vorsichtshalber. Paul kann mich beruhigen.
„Den Ring habe ich mir mit glubschäugigen Frauen, prallen Brüsten und langen Schwertern verdient.“ Er hat vor Jahren in Japan das Mangazeichnen gelernt und sich als Erinnerung daran das Silberband gravieren lassen. Was die Inschrift bedeutet, will er mir allerdings nicht verraten. „Noch nicht.“
Leicht verlegen, zumindest wirkt es so, rückt er die schwarze Brille auf seiner Nase zurecht. Irgendwie erinnert mich sein Gesicht an den Schauspieler Johnny Depp. Vergeblich versuche ich an den TV-Kaspar Atze Schröder zu denken. Das Gefühl ist nicht mehr aufzuhalten. Ich weiß: Gleich wird meine Aufregung stärker sein als mein Geist und ich nur noch rumstammeln. Die ersten Anzeichen erkenne ich sofort. Es wird in wenigen Momenten peinlich werden.
Panik! Johnny Depp, also Paul, soll mich nicht für eine Frau halten, die nichts zu sagen hat, aber leider habe ich keine Kontrolle mehr über das, was mir von der Zunge purzelt. Offenbar hat sich mein Herz gerade darauf breit gemacht. Ich hauche: „Depp!“.
Ja, solche Frauen gibt es wirklich und am Ende bleiben sie allein. Ich möchte mich unter dem Tisch verstecken, aber Pauls lange Beine versperren mir diese Möglichkeit. Jetzt schießt mir auch noch das Blut in die Wangen und ich werde rot. Die nächste Stufe ist weiß, dann kommt nur noch die Ohnmacht.
Paul scheint meine Verzweiflung nicht zu stören. Er schmunzelt, sagt „Depp trifft es bisweilen“ und schiebt mir seine Visitenkarte über den Tisch. „Eine kleine Gedächtnisstütze, damit du am Ende den Richtigen anrufst. Nicht irgendeinen Deppen, sondern mich.“
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