»Hallo Freunde des gepflegten Müßiggangs. Wer da?«
In der Tür stand Albert, Sonnyboy der fleischverarbeitenden Industrie, Vermieter des Hinterhofbüros und seines Zeichens Pferdemetzger aus Leidenschaft mit Ladenlokal im Vorderhaus. Er entsprach so gar nicht der landläufigen Vorstellung eines Metzgers – blonde, gelockte schulterlange Haare, ein hellhaariger Bart, strahlend blaue Augen, ein athletischer Körper mit Muskeln an den dafür vorgesehenen Stellen und mindestens dreißig leuchtende Xenon-Zähne jeweils oben und unten. Alles in allem eine Erscheinung, die Paul an Thor den nordischen Gott des geliebten Marvel-Superhelden-Universums erinnerte. Was der ganzen Figur ein wenig abträglich war, war die blutverschmierte weiße Gummischürze und ein immens beeindruckendes Metzgerei-Fleischbeil, das er in der Hand hielt. Das verschob ihn eindeutig weg von der schillernden Gottheit, hin zum Psychopathen Hannibal Lecter.
Albert sah nicht nur aus wie ein Surfertyp, vom momentanen Outfit einmal abgesehen, er war auch einer. Im Jahre 2011 trug er offiziell den Titel des Deutschen Wakeboard-Meisters und sackte mit diversen Preisgeldern und einigen gut dotierten Werbeverträgen einen beachtlichen Batzen Geld ein. Den investierte er in das Fleischfachgeschäft, den Innenhof sowie dem darin vorhanden Büro-Anbau. Gott weiß warum! Das Verständnis dafür lag weit jenseits von Pauls Vorstellungskraft. Aber es schien so, dass Albert in der Tätigkeit des Metzgers aufging wie ein Hefezopf im Backofen. Metzgerei war die Berufung des schnieken Surfers. Ironischerweise tat dies der Liebe zu Pferden keinen Abbruch. Regelmäßig nahm er Reitunterricht in einem Gestüt vor den Toren Kölns. Strange! Paul vermutete allerdings, dass er nach potenziellen Opfern auf vier Hufen Ausschau hielt und beste Beziehungen zu den hiesigen Gestüten pflegen wollte. Ein Schelm, wer Böses dabei dachte. Und immer wieder, das hatte die Gottheit aller Fleischer einmal im Vertrauen rausgelassen, verschauten sich die schönsten Mädchen der ortsansässigen Stallungen in den ansehnlichen Albert. Kam die Sprache auf den Job, war es aus, und zwar sehr schnell. Aus Schwärmerei für den gut gebauten Strahlemann wurde blankes Entsetzen. Die armen Pferde hieß es dann. Nicht etwa, die armen Kälbchen oder Ferkel. Nein, es waren halt nur die armen Pferde! Verquere Logik, als ob ein Tier besser oder schlechter wäre als ein anderes. Und das wurmte Albert immens. Er wollte eine Frau! Na klar, er hätte locker bei einer Fleischereifachverkäuferin landen können, die waren ästhetisch und intellektuell jedoch nicht ganz seine Kragenweite. Er brauchte etwas Schöngeistiges! Aber im Kosmos der holden Weiblichkeit schien es keinen Stern für Albert zu geben, was zur Folge hatte, dass er sukzessive auch mal über den Tellerrand schaute. Schließlich lebte man hier in Köln! Und unter den gut gebauten schwulen Männern der Stadt war die Chance einfach größer, einen Fleischliebhaber zu finden. Mann blieb meist Mann, also Fleischesser, abgesehen von irgendwelchen verschrobenen Veganern. Er konnte sich einen Kerl, der es ihm ab und an besorgte, ganz gut vorstellen und vielleicht würde ja tatsächlich eine Beziehung dabei herausspringen. Er hatte fest vor, das männliche Angebot in Kürze zu evaluieren.
»Was verschafft mir die Ehre, Hannibal?«
»Sehr lustig! Ich habe den Schuss gesehen, der aus deinem Büro kam und in das Porsche Cabrio an der Straße stieg.«
»Ja und?«
Alberts Metzgerei-Beil krachte zu Boden. Er riss die Arme nach oben und fing an, einen Tanz aufzuführen. Bizarr, wie Paul verunsichert feststellte.
»Gib mir M, gib mir ein I, gib mir ein E, gib mir ein T und gib mir ein E. Und nun alle zusammen: MIETE!«
Paul stöhnte. »Scheiße, ja, die Miete, ich weiß.«
»Ein Geldschub in Sachen Wohnberechtigungsentgelt wäre mal wieder sehr angebracht, mein Lieber!«
Dabei griff er das am Boden liegende Beil und machte diese typische Fingernagelprobe, ob das Ding scharf war. Paul hasste das. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
»Ich schieb dir die Kohle die kommenden Tage rüber. Versprochen!« Paul packte den Scheck und wedelte damit hin und her. »Denn wir haben einen Auftrag!«, flötete er.
Albert hob den Daumen, nickte anerkennend und verließ das Büro. Dann stoppte er und hinterließ ein Paket mit Wurst. Betont lässig schmiss er es auf den Tisch.
»Hier, dass ihr mir nicht vom Fleisch fallt. Lasst es euch schmecken.«
Paul war happy und fieberte der Rückkehr seiner beiden Kollegen Hannes und Margaux entgegen, um ihnen den Scheck gigantischen Ausmaßes zu präsentieren. Er platzte vor Freude und den neu gefundenen Glauben an eine erfolgreiche unternehmerische Zukunft. Nervös und hibbelig trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte des Schreibtisches. Er drohte jeden Moment zu explodieren. Wen könnte er anrufen? Vera! Vera Zakowski – einst gefeierter internationaler Bühnenstar – war die einzige Verwandte und eine Diva, wie sie im Buche stand. Im Laufe des beruflichen Werdegangs heimste sie zahllose Auszeichnungen für ihr schauspielerisches Talent ein, aus denen sie sich jedoch nicht viel machte. Die Bambis, ein Oscar sowie unzählige diverse kleinere Prämierungen dienten als Briefbeschwerer und Türstopper in der mondänen Villa. Mit Lobhudeleien in derlei Form hatte es die Teuerste nicht. Die Staubfänger erinnerten den einstigen Filmstar permanent an längst vergangene goldene Zeiten. Mit der Karriere war es eine halbe Ewigkeit vorbei. Dennoch, die Zakowski kannte man noch immer. Auch im fortgeschrittenen Alter – das exakte Baujahr hielt Vera streng unter Verschluss – bekam sie ab und an Einladungen in diverse Talkshows und Interviewangebote der Yellow Press, die sie konstant ablehnte. Tante wollte mit dem ganzen Zirkus nichts mehr zu tun haben. Insgeheim freute sie sich allerdings, dass ihr Name immer noch eine gewisse Bedeutung hatte. Die wahren und treuesten Fans kamen freilich aus einer anderen Szene. 1972, das Geld floss weniger als spärlich, ergatterte sie einen Synchronsprecher-Job beim Fernsehen. Sie sollte die Computerstimme des Raumschiffes Enterprise in der deutschen Synchronisation der gleichnamigen Serie sprechen. Gern hätte sie eine richtige Synchronrolle erlangt, aber man durfte damals kaum wählerisch sein. Und diese Tätigkeit füllte sie ebenfalls mit all der Gewissenhaftigkeit aus, die sie bis heute auszeichnete. Eine Eigenschaft, die Tantchen nie ablegte. Und die Scifi-Nerds dankten es ihr. Mit schönster Regelmäßigkeit erhielt Vera Einladungen auf diverse Conventions und Science-Fiction-Treffs. Von den vielfältigen Geschenken wie Phaser, Kommunikationsgeräte, spitze Spock-Lauscher und Uniformen ganz zu schweigen, die mehrere Male im Monat per Post das Anwesen erreichten.
Paul liebte und bewunderte die extrovertierte Tante, die es faustdick hinter den Ohren hatte, und zwar in sämtlichen Belangen des Lebens. Einzig die jünger werdenden Sexualpartner irritierten ihn und waren der Bewunderung ein wenig abträglich. Hier mochte er nicht recht ins gedankliche Detail gehen. Glücklicherweise hatte Vera seit geraumer Zeit eine feste Freundin. Dolores! Das illustre Liebesleben Veras blendete er vorsorglich zum Schutz der eigenen Libido aus. Ein sinnloses Unterfangen, da sich die in einem dauerhafteren Dämmerschlaf verabschiedet hatte.
Vera war nicht nur vermögend, Tante war enorm reich, was ihm, Hannes und Margaux immer wieder in Form diverser Finanzspritzen zugutekam. Obwohl sie genügend Reichtümer im Rahmen ihrer schauspielerischen Tätigkeit angehäuft hatte, startete sie vor 15 Jahren noch einmal so richtig durch. Und zwar mit etwas ganz anderem. Lange hatte sie überlegt und gelangte schließlich zu der Erkenntnis, dass es ein Edel-Escort-Service mit dazugehörigem Etablissement sein musste. Wie sie auf diese brillante Idee gekommen war, wusste niemand – Tantchen inklusive. Paul vermutete, dass sie die mondäne Kölner Gesellschaft brüskieren und schocken wollte – getreu dem Motto: Hauptsache, im Gespräch bleiben. Und das war ihr mit der Geschäftsidee perfekt gelungen. Geldverdienen stand dabei niemals im Vordergrund. Veras Dienstleistung wurde ausgenommen gut angenommen – der Laden brummte wie bescheuert. Ab und an ließ Vera durchblicken, dass sie eine illustre Klientel aus Wirtschaft und Politik hatte. Und sie nutzte das Etablissement – wie sie das Petit Noir gern bezeichnete – für deren Zwecke in beispielloser Art und Weise. Die geknüpften Kontakte waren mehr als Gold wert. Vera Zakowski genoss in den einschlägigen Kreisen einen exotischen und grandiosen Ruf. Weder die Konkurrenz – oder Marktbegleiter , wie man es neuerdings nannte – noch die städtischen Behörden in Form verkniffener Beamter machten ihr häufiger Ärger. Sie durfte weitestgehend unbehelligt agieren. Dessen ungeachtet hatte die rüstige Dame nicht nur Freunde , sondern ebenfalls den ein oder anderen Neider. Vera juckte das wenig. Sie hatte Nerven aus Stahlseilen und beste Verbindungen in die hiesige Politik und Wirtschaft. Generell machte sich Tante überschaubare Gedanken über das Gestern und Morgen. Sie sah das Leben nicht als Herausforderung; für sie war es eher ein Workshop – eine Oase der konsumlustigen Heiterkeit. Man hatte alles und es fehlte an nichts – manchmal nur etwas Abwechslung und Beschäftigung. Und da kam Neffe Paul mit seiner Agentur ins Spiel. Sie hielt das Geschäftskonzept von Froschkönig für famos – speziell die besonderen Dienstleistungen. Es amüsierte sie köstlich, bösen Menschen und allen, die es verdienten, einen reinzuwürgen. Vera hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und der dürstete von Zeit zu Zeit nach Ansprache und Befriedigung. Und da war Paul der perfekte Ansprechpartner, er war ein wahrer Desinformationsspezialist. Diese Befähigung hatte er sich im Wahlkampf eines namhaften Berliner Politikers angeeignet. Er brachte die Kollegen der anderen Parteien mit geschickt gestreuten Gerüchten bei Medien und Öffentlichkeit in Misskredit. Nichts Dramatisches, aber immer beträchtlich genug, um im negativen Gespräch zu bleiben – eine Strategie, die aufging. Als die Kampagne positiv für den Brötchengeber verlief, wollte der plötzlich vom besten Mitarbeiter nichts mehr wissen. Er wurde diskret entsorgt und finanziell eher bescheiden abgefunden. Aber seine guten Kontakte zu Medien, maßgeblichen Meinungsmachern und nicht zu vergessen Tante Veras Beziehungen zu den oberen Zehntausend nahm Paul als Kapital in sein neues Unternehmen mit. Zwar kochte er mit den Aufträgen der Auftragsgerüchteküche auf spartanischer Flamme – hauptsächlich Ehestreitigkeiten oder Unternehmensmobbing –, aber immerhin, er blieb zumindest in Übung.
Читать дальше