»Herrn Berger und Frau Tomaček wird erlaubt, an dem Projekt mitzuarbeiten. Aber nur im Holovers.«
Das ist weniger, als er gehofft hatte, aber eine deutliche Verbesserung. Und sie kommt gerade rechtzeitig. Die Biologen, die der Geheimdienst besorgte, sind in Wahrheit ausgezeichnet. Sam musste alle Register ziehen, um sie lange genug in die Irre zu führen, damit Schmidt nachgibt und Vilca und Paul mitarbeiten lässt.
Seit der Festnahme nach dem Galadinner hat er seine Freundin nicht mehr im Arm gehalten. Er sehnt sich so sehr nach ihr. Endlich wird er sie wiedersehen. Wenn auch nur im Holovers.
Kurz darauf ist es soweit. Sofort, als er die üppigen Locken sieht, die ihr fast bis zur Taille über den Rücken herabfallen, wird ihm schmerzlich bewusst, dass er lediglich ihrem Avatar gegenübersteht. Er verdrängt das schlechte Gefühl, breitet die Arme aus und geht auf sie zu. Doch Phire weicht zurück und vermeidet seinen Blick.
»Phire, was ist los mit dir?«, fragt er irritiert.
»Nichts, es ist alles in Ordnung.«, sagt sie distanziert zu ihm, fast wie eine Fremde.
»Geht es dir gut?«, fragt Cyclone besorgt.
»Ja.«
So geht das noch eine Weile, bis Cyclone schließlich frustriert aufgibt. Wieso ist seine Freundin so abweisend? Er kann es sich nicht erklären. Ist es wegen der Drohung des Geheimdienstes in ihrem Gehirn nach reproduktiven Symbots zu suchen? Das kann es nicht sein. Immerhin hat er sie davor gerettet. Ist es wegen der Haare?
Cyclone macht sich Sorgen. Er muss unbedingt herausfinden, was mit ihr los ist. Hinter dem perfekt gestalteten Avatar kann sich alles Mögliche verbergen. Bis hin zu dem schrecklichen Gedanken, dass er gar nicht von Vilca gesteuert wird. Der einzige Weg, sich ihres wahren Zustands zu versichern, besteht darin, sie im wirklichen Leben zu treffen.
Cyclone lässt sich nicht anmerken, wie er zunehmend unter ihrer Emotionslosigkeit leidet. Trotz seiner Beschwerden erlaubt der Geheimdienst ihm, mit Paul und Vilca nur im Holovers zusammenzuarbeiten. Schließlich hält er es nicht mehr aus und konfrontiert Schmidt.
»Sie können sie nicht persönlich treffen.«, keift sie los. »Das ist ein Befehl von General Reikonnen. Frau Tomaček ist unsere Garantie, dass Sie nicht auf dumme Gedanken kommen.«
Sam setzt sich, verschränkt die Arme und reckt das Kinn vor. Schmidts Büro ist genauso beamtenspießermäßig eingerichtet wie die Frau auftritt. Sie kultiviert sogar einen Gummibaum.
»Das ist mir egal. Frau Tomaček ist meine Lebensgefährtin und ich habe ein Recht darauf sie persönlich zu treffen wann immer ich will.«
»Sie irren sich!«, korrigiert Schmidt, dünnlippig wie immer. »Welche Rechte Sie haben, bestimmen wir. Es ist nicht nötig, dass sie Frau Tomaček persönlich treffen.«
»Doch! Denn ich werde auf keinen Fall weiterarbeiten, bevor ich mich nicht über ihren wahren Zustand vergewissert habe.«
»Wenn sie nicht kooperieren, werden wir Sie zwingen. Außerdem habe ich nicht den Eindruck, dass Frau Tomaček gerade darauf erpicht ist, sie zu sehen.«
»Ihre unmenschlichen Methoden kenne ich schon.«, entgegnet Sam, die Stichelei ignorierend. »Ich weiß, dass es Ihnen Spaß macht, andere Menschen zu quälen. Aber solange ich nicht weiterarbeite, gerät das Projekt in Verzug. Ich bin schon gespannt, wie Sie das General Reikonnen erklären.«
Schmidts Gesichtsausdruck lässt keine Zweifel darüber zu, was sie am liebsten mit ihm machen würde. Sam zeigt sich unbeeindruckt. Mit verschränkten Armen starrt er zurück. Auch dieses Blickemessen gewinnt Sam.
Kurz darauf steht er vor einer Türe, von der er annimmt, dass dahinter Vilca auf ihn wartet.
»Sechzig Minuten. Keine Sekunde länger.«, kommandiert Schmidt.
»Passen Sie auf, dass uns niemand stört.«, verabschiedet sich Sam grinsend.
Dann tritt er schnell ein, bevor die Aufpasserin es sich noch einmal anders überlegt. Dahinter erwartet ihn ein kurzer Gang. Offensichtlich hat man Vilca ein kleines Apartment zugewiesen. Weder in der Küche noch in dem kleinen Wohnraum ist jemand zu sehen. Die Schlafzimmertür steht einen Spalt offen. Gerade als er sie aufstoßen will, wird sie geöffnet.
»Sam. Endlich!«, haucht Vilca und stürzt sich auf ihn. Sofort beginnt sie, ihm die Kleider vom Leib zu reißen.
»Sternchen…, hey…, warte, die Knöpfe kann man auch auf … gut, abreißen geht auch.«
Er ist so überrascht, dass er gar nicht weiß, wie er reagieren soll. So ungezähmt hat er seine Freundin noch nie erlebt. Fasziniert verfolgt er, wie geschickt sie gleichzeitig sich und ihn entkleidet. Ihr Schädel ist noch immer kahlrasiert. Sam will eine Bemerkung darüber machen, dass er das sexy findet, aber sie lässt ihn nicht zu Wort kommen, sondern schubst ihn aufs Bett und setzt sich rittlings auf ihn.
Sam weiß immer noch nicht, wie ihm geschieht. Nachdem Vilca ihn tagelang wie einen Fremden behandelt hat, hat sie jetzt offensichtlich nur ein Ziel. So schnell wie möglich zum Höhepunkt zu kommen. »Sternchen, was …«
»Schhhhh!«, macht sie und legt ihm die Hand auf den Mund.
Dann passiert, was passieren muss. Auf dem Gipfel ihrer ersten Begegnung nach der Trennung schwelgen sie im Rausch ihrer gemeinsamen Empfindungen. Sam ist überrascht, wie sehr seine Freundin ihren Emotionen freien Lauf lässt. Nach den ersten Erfahrungen mit vereinigten Gefühlen hatten sie beschlossen, die gegenseitige Privatsphäre zu respektieren. Nach vielen Fehlversuchen hatten sie einen Trick gefunden, das Teilen zu unterbinden. Sam hat ihn aus Gewohnheit angewandt.
Nachdem ihn Vilca so mit ihren Empfindungen überfallen hat, lässt er seinen nun auch freien Lauf. Sie vermischen sich und kurz darauf ist es ihm unmöglich zu unterscheiden, was seine eigenen sind und welche die seiner Liebsten. Die Vielfalt verwirrt ihn. Vilca muss eine ganze Reihe widersprüchlicher Emotionen beigesteuert haben. Er spürt in rascher Folge Angst, Liebe, Schmerz, Freude, Sehnsucht und den Drang, dass etwas Wichtiges gesagt werden muss.
Nach einer Weile bemerkt er eine Veränderung in der Verbindung. Vilca versucht, die Emotionen zurückzudrängen. Nach mehreren Fehlversuchen hilft Sam mit. Gemeinsam gelingt es ihnen. Schließlich formt sich eine Vorstellung in seinem Kopf. Sam findet es eigenartig, wie sich ihre Gedanken in seinem Geist darstellen. Es ist nicht, wie etwas hören oder fühlen, sondern so wie mit seinen Gedanken. Aber sie benutzt ganz andere Bilder und Assoziationen. Einerseits verwirrt ihn das, andererseits ist es so aber auch leichter für ihn, ihre Gedanken von seinen eigenen zu unterscheiden.
»Sam, wir müssen fliehen. Uns bleiben nur noch vier Tage. Sie wollen, dass ich für die Regierung auf Tournee gehe. Sie haben mich für ihr Brot-und-Spiele-Programm rekrutiert. Ich fürchte, dass wir uns dann nie mehr wiedersehen. Du musst einen Fluchtweg für uns finden.«
»Nun mal langsam.«, versucht er sie zu beruhigen. »Von was für einem Programm sprichst du denn?«
»Na, du weißt schon. Sie wollen die Bevölkerung mit einem Unterhaltungsprogramm von den alltäglichen Sorgen und Problemen ablenken. In ganz Europa werden im Moment Shows aus dem Boden gestampft. Koste es, was es wolle …«
Sam liest ihre Gedanken wie ein offenes Buch. Allerdings sind sie völlig durcheinander. Auf ihn strömt eine Flut von Bildern, Assoziationen und Videoschnipseln ein, die er wie ein Puzzle in die richtige Reihenfolge bringen muss. Nach einer Weile versteht er. Der Geheimdienst hat vor sie zu trennen. Vilca will unbedingt fliehen, aber nur mit ihm zusammen. Die Überwachung in der Geheimdienstzentrale ist so durchdringend und umfassend, dass sie nur den Weg über die Gedankenübertragung für sicher genug hält. Dazu muss sie sich jedoch in der realen Welt mit ihm treffen. Aber man hatte alle ihre Bitten und Forderungen abgelehnt.
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