»Jetzt mach nicht so ein Gesicht.«, flüstert sie ihm ins Ohr. »Genieß endlich die Show und das Essen. Wer weiß, wann wir so etwas noch einmal geboten bekommen. Egal, wie das hier ausgeht. Nimm, was du kriegen kannst.«
Sam tut ihr den Gefallen, lacht über einen Witz und kehrt doch wieder zu seinen düsteren Grübeleien zurück. In Kürze wird er eine Entscheidung treffen müssen, von der ihr Schicksal abhängt. Der Gedanke daran verdirbt ihm den Appetit. Obwohl vor ihm ein Galadinner aufgefahren wird, das selbst vor dem EMP seinesgleichen gesucht hätte, kann er nichts davon genießen.
Schmidt sitzt steif am Tisch und schweigt, was letztendlich dazu führt, dass sie in Vergessenheit gerät. Sam entgeht aber nicht, dass sie ihn und seine Freunde aufmerksam beobachtet.
Nach dem Essen beteiligt sich Vilca mit ein paar Liedern an dem Programm. Auf ihre unnachahmliche Art bringt sie die Stimmung innerhalb kurzer Zeit zum Kochen. Selbst ihren Freund reißt sie mit. Je mehr die Sängerin die Aufmerksamkeit auf sich zieht, umso mehr verhärten sich die Züge von Schmidt.
Auf dem Höhepunkt öffnet sich plötzlich die Tür und Werner Hofer tritt ein. Schlagartig wird es still. Sein Timing ist so perfekt, dass er diesen Moment abgepasst haben muss. Sam hat ihn in seinem Anzug erst auf den zweiten Blick erkannt.
»Ah, der Herr Hofer.«, begrüßt ihn Sam. »Wie es scheint, haben ihnen die Computer erlaubt auszugehen. Wie lange dürfen Sie wegbleiben? Bis elf Uhr? Oder hat Mama Computer Sie für den Verrat an uns großzügig belohnt und Sie dürfen bis Mitternacht bleiben?«
Hofer zwingt sich ein Lächeln ab.
»Herr Lee, bitte. Ich habe für Sie und Ihre Freunde mehr getan, als sie sich vorstellen können.«
»Stimmt.«, erwidert Sam zynisch. »Nachdem wir euren Arsch gerettet haben, hätte ich mir nie vorstellen können, dass Sie das Militär beauftragen unseren Bunker zu beschlagnahmen.«
»Herr Lee, bevor Sie uns verurteilen, sollten Sie sich unser Angebot anhören. Ich bin sicher, es wird Ihnen zusagen.«
»Was haben Sie schon anzubieten?«, provoziert Sam.
»Also bitte. Wenn ich mich nicht irre, haben Sie uns doch Ihre Zusammenarbeit angeboten.«
»Das war bevor unser Bunker beschlagnahmt wurde.«
»Den Bunker hätten Sie sowieso nicht behalten können. Das muss Ihnen doch klar sein, Herr Lee. Allein der Besitz der Lebensmittel dort verstößt gegen das Gesetz. Außerdem wäre das Talent von Ihnen und Ihrem Team in so einer abgelegenen Gegend doch reine Verschwendung. Hier in Berlin haben wir ganz andere Möglichkeiten.
Denken sie doch auch einmal an Ihre Freunde. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Vilca abgeschieden in der hintersten Provinz versauern möchte. Sie braucht Öffentlichkeit und Anerkennung. Das kann ihr nur Berlin bieten.«
»Laut Gesetz kann jeder frei entscheiden, wo er leben möchte.«
»Die Dinge haben sich geändert. Solchen Luxus können wir uns nicht mehr leisten. Jetzt zählen Handlungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen. Dafür brauchen wir ein System, das durchgehend effizient und zielorientiert arbeitet. Anders wäre die Situation unter den gegebenen Umständen nicht zu kontrollieren.
Wie dem auch sei, es hat keinen Sinn, noch länger darum herumzureden. Sie sind hier, weil wir die Symbots brauchen.«
»Ihr habt doch schon alle Symbots in euren Gehirnen.«, entgegnet Sam. »Noch mehr Symbots werden euch auch nicht schlauer machen.«
Hofers Mundwinkel zucken.
»Sie wissen genau, was wir wollen. Wir haben keine Möglichkeit, die Symbots herzustellen. Ich gestehe, die ganze Welt bewundert Sie, wie Sie das gemacht haben. Seit Jahren ist es niemanden gelungen, Symbots zu kopieren. Wir brauchen diese Technologie.«
»Wozu? Für die meisten Menschen sind die Symbots nutzlos, weil sie keinen Computer mehr haben und auch keinen Zugang zum Cybernet.«
»Wir werden ihnen den Zugang verschaffen. Die ANEBs haben das bereits simuliert. Innerhalb weniger Monate können wir so viel Rechenleistung in Betrieb nehmen, dass wieder alle Menschen Zugang zum Cyberspace haben. Es wird auch genügend funktionierende Holoports geben. Das muss Sie doch freuen. Ich weiß genau, dass Sie das schon immer wollten.«
Urs knallt die Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirren.
»Ah, so läuft das also. Und so ganz nebenbei könnt ihr kontrollieren, was die Menschen so treiben, und welche Informationen sie bekommen. Das wird der totale Überwachungsstaat.«
»Zum Wohle aller Menschen.«
»Oder zu deren Hölle.«
»Alle Menschen werden glücklich und zufrieden in der virtuellen Welt leben. Ihre körperlichen Bedürfnisse werden sich auf ein Minimum reduzieren. Die ANEBs haben das genau ausgerechnet. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen reichen in diesem Fall für ungefähr sechs Milliarden Menschen.«
»Und was ist mit den anderen vier Milliarden?«, fragt Sam misstrauisch.
»Für mehr reicht es leider nicht.«
Sam studiert das Gesicht von Hofer. Es ist ihm unmöglich, dort eine emotionale Reaktion zu lesen.
»Und wer trifft die Auswahl?«
Hofer starrt ihn aus eisgrauen Augen wortlos an.
Vilca begreift es als Erste.
»Die ANEBs werden nur Menschen vom Typ B auswählen. Nur solche, bei denen die linke Gehirnhälfte dominiert und die wie ein Computer denken, werden überleben.«
Sie ist dabei blass geworden und schlägt sich die Hände vor den Mund, als ihr klar wird, dass außer Aya weder sie noch einer ihrer Freunde diese Bedingung erfüllt.
Langsam steht sie auf.
»Niemals werdet ihr die Symbots bekommen. Niemals!«, schreit sie.
Hofer ignoriert Vilca und fixiert weiterhin Sam. Ein Blick auf seine Freunde bestätigt Sam, dass sie Vilca zustimmen. Seine Gesichtszüge versteinern.
»Niemals.«, antwortet er schließlich.
Das scheint der Moment zu sein, auf den Schmidt den ganzen Abend gewartet hat. Zufrieden steht sie auf und brüllt einen Befehl.
»Wachen!«
Krachend schlägt die Tür auf und ein Dutzend schwer bewaffnete Polizisten stürmt herein.
»Abführen!«
Sam zuckt in seiner Zelle zusammen, als urplötzlich jemand die Tür öffnet. Er dreht den Kopf herum und wundert sich dann, dass niemand eintritt. Soweit er es von seinem Stuhl aus sehen kann, müssen draußen mindestens vier Männer stehen. Alle bewaffnet mit einsatzbereiten Tasern. Eine Stimme befiehlt ihm, die Hände hinter dem Kopf zu verschränken und rückwärts gehend herauszukommen.
Er tut wie befohlen, obwohl er sich wundert, wie vorsichtig die Wachen sind. Er hat in letzter Zeit keinen von ihnen angegriffen und so zurückhaltend waren sie noch nie. Sie fesseln ihm die Hände auf den Rücken. Sam bekommt zu seiner Linken und Rechten jeweils einen Wächter, der ihn am Oberarm packt. Dann führen sie ihn zu einem Raum, der wie ein Operationssaal aussieht. Auf dem OP-Tisch liegt eine Person. Neben ihr stehen eine Ärztin und deren Assistent. Ferner sind da noch Hofer, ein weiterer Mann und Frau Schmidt.
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