»Ich protestiere offiziell gegen die Beschlagnahmung meines Bunkers.«, sagt Sam. »Laut Gesetz steht mir eine Bestätigung zu, dass der Bunker beschlagnahmt wurde.«, ergänzt er.
Der Major mustert Sam genauso wie er ihn. Dann greift er in seine Tasche und händigt ihm einen Briefumschlag aus. Der ehemalige Besitzer des Bunkers verzichtet darauf, den Umschlag zu öffnen. Er seufzt resigniert, blickt nacheinander seine Freunde an und verlässt wortlos den Raum.
Während der Fahrt nach Berlin grübelt Sam darüber, was er falsch gemacht hat. Er sitzt mit seiner Freundin und Paul in einem leicht gepanzerten geländetauglichen Kraftwagen des Militärs und macht sich Vorwürfe. Was hatte er sich dabei gedacht, einfach jemanden von der Cyberterror-Abwehr anzurufen und dann zu glauben, dass sie ihm alle Wünsche von den Augen ablesen und sie in ihren Kreis aufnehmen würden? Natürlich muss die Regierung Leute mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten unter ihre Kontrolle bringen. Er schilt sich einen Idioten, nicht vorher daran gedacht zu haben.
Schließlich reißt Vilca ihn aus seinen trüben Gedanken. Sie kennt ihn viel zu gut und weiß deshalb genau, was in seinem Kopf vor sich geht.
»Du solltest dir keine Vorwürfe machen. Früher oder später wären wir sowieso entdeckt worden.«
»Wahrscheinlich.«, sagt Sam. »Aber wir hätten uns Zeit lassen sollen, um uns besser vorzubereiten. Dann hätten wir eine Verhandlungsposition gehabt.«
»Meinst du?«, fragt sie ihn. »Es war doch klar, dass es mehr oder weniger so endet. Selbst, wenn sie den Bunker nicht beschlagnahmt hätten, hätten sie doch darauf bestehen müssen, dass wir die Lebensmittel, unsere Computer und unsere sonstigen Ressourcen hergeben müssen.«
Sam wirft seiner Freundin einen dankbaren Blick zu, sagt aber nichts weiter. Seine Stimmung wird immer düsterer, je näher sie ihrem Ziel kommen. Ihn plagen Vorahnungen.
In Berlin angekommen, werden sie gleich auf ihre Zimmer im Zentralgebäude des Geheimdienstkomplexes gebracht. Sam stellt erstaunt fest, dass sie groß und luxuriös eingerichtet sind. Vilca und er bekommen eine Suite und er nimmt an, dass für Urs und Aya das Gleiche gilt.
Man sagte ihnen, dass es um neunzehn Uhr ein festliches Abendessen geben wird und dass sie ihre Garderobe angemessen auswählen sollen. Falls man der Meinung sei, nicht über die geeignete Ausstattung zu verfügen, könne gerne ausgeholfen werden, hieß es. Sie haben etwas mehr als eine gute Stunde, um sich frischzumachen.
»Erst beschlagnahmen sie unseren Bunker und dann geben sie uns solche Zimmer.«, beschwert sich Sam bei Vilca, die sich gerade im Bad auszieht. Für einen kurzen Moment sieht sie ihn nachdenklich an.
»Ich nehme an, die wollen was von uns.«, sagt sie, dreht sich um und steigt in die Dusche.
»Die haben doch schon alles.«, erwidert Sam.
»Wirklich?«, fragt Vilca und sieht ihn mit einem Du-weißt-genau-wovon-ich-spreche-Blick an, über den nur Frauen verfügen.
Sam beschleicht eine dunkle Ahnung. Wenn es das ist, was er vermutet, befindet er sich in einer Zwickmühle. Ihm wird bewusst, dass sie weder von Hofer noch von sonst jemand offiziell begrüßt wurden. Unwillkürlich beginnt er, sich Gedanken um mögliche Fluchtwege zu machen. Die Fenster ihrer Suite führen in einen Innenhof. Sie sind zwar nicht vergittert, aber selbst wenn sie es aus dem sechsten Stock nach unten schafften, könnten sie von dem Innenhof aus nicht einfach so aus dem Gebäude spazieren. Sie brauchen auf jeden Fall einen Plan, den sie auch noch untereinander abstimmen müssen.
Sam versinkt so in trübe Gedanken, dass er gar nicht bemerkt, wie Vilca aus dem Bad kommt. »H-hm.«, räuspert sie sich, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er hebt den Kopf und reißt die Augen auf. In dem knöchellangen, schulterfreien grünen Kleid sieht sie atemberaubend aus. Mal wieder. Oder besser, wie immer, findet er. Keine Ahnung, wo sie das her hat.
Die Farbe harmoniert perfekt mit ihren smaragdgrünen Augen. Sogar die passenden Schuhe hat sie irgendwo aufgetrieben. Bestimmt ist es kein Zufall, dass ihm der Seitenschlitz ihres Kleides einen exklusiven Blick auf ihre Beine gewährt. Wie erwartet bringt ihn das auf andere Gedanken, aber die Dame schüttelt den Kopf.
»Hilf mir bitte mit den Haaren.«
Gemeinsam flechten sie ein kompliziertes Muster. Sam hat seiner Freundin schon oft dabei geholfen. Als Dank erhält er einen dicken Kuss. Mehr aber auch nicht.
»Du hast noch elf Minuten, dich fertig zu machen.«, verkündet sie Richtung Dusche zeigend. Nur ungern trennt er sich von dem Anblick ihrer einzigartigen Frisur.
Das Abendessen wird in einem Saal serviert, eingerichtet im Stil Ludwig XIV. An den Wänden hängen goldumrahmte Spiegel, von den Decken Kronleuchter und zu ihren Füßen liegt ein echtes Holzparkett, das bei jedem Schritt so ehrwürdig knarzt, dass man ihm ein Alter von vierhundert Jahren gerne zugesteht. Der Tisch ist festlich für neun Personen gedeckt.
Sam und Paul tragen einen klassischen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd, wie es für einen solchen Anlass erwartet wird. Beide verzichteten auf Accessoires. Im Gegensatz zu Urs halten sie nicht viel davon. Dieser sorgt für das Kontrastprogramm in einer umgekehrten Farbkombination. Am Revers trägt er das Hologramm einer roten Rose, die täuschend echt aussieht und an seinen Hosen einen Galonstreifen, der langsam zwischen Rot und Schwarz wechselt.
Sam und seine Freunde müssen nicht lange warten, bis sie ihren Gastgeber kennenlernen. Er braucht sich nicht vorzustellen. Es ist Marjo, einer der bekanntesten und beliebtesten Talkmaster der europäischen Unterhaltungsszene. Begleitet wird er von der spanischen Schauspielerin Marita Gomez und einer weiteren Dame mit brünetten Haaren und einem klassischen schwarzen Cocktailkleid. Alles an ihr ist so unauffällig, dass sie nur vom Geheimdienst sein kann. Solche festlichen Anlässe scheinen überhaupt nicht ihr Ding zu sein. Der Moderator stellt sie als Anna Schmidt vor.
»Eigentlich hätte ich Werner Hofer erwartet.«, kommt Sam ohne Umschweife zum Punkt.
»Herr Hofer ist verhindert.«, antwortet die Geheimdienstlerin. Dabei macht sie ein Gesicht, als ob man sie gezwungen hätte, einen halben Liter Lebertran zu trinken. »Er hat mich gebeten ihn zu vertreten. Er wird so bald wie möglich nachkommen.«
Sam will gerade etwas erwidern, als ihm Vilca die Hand auf den Arm legt und den Kopf schüttelt.
»Nicht jetzt, Sam.«, flüstert sie. »Dafür ist später noch Zeit. Ich habe einen Bärenhunger und freue mich auf die Show. Mal sehen, was sie zu bieten haben.«
Schmidt nutzt die Ablenkung und verdrückt sich an das andere Ende des Tisches. Dort überlässt sie das Weitere den Profis vom Showgeschäft.
Mario und Marita begrüßen ihre Gäste überschwänglich und legen sich so ins Zeug Stimmung zu machen, dass Sam die faulige Absicht dahinter 1000 Meilen gegen den Wind riecht. Im Gegensatz zu ihm scheinen Urs, Aya und Vilca die Aufmerksamkeit zu genießen. Er wirft einen kurzen Blick auf Paul und stellt fest, dass sich dieser auch nicht wohl fühlt. Im Grunde hat Sam nichts gegen die Show, die die beiden abziehen. Je mehr sie sich jedoch ins Zeug legen, umso misstrauischer wird er. Vilca spürt seine Stimmung und beschließt, etwas dagegen zu tun. Sie greift nach seiner Hand.
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